#4 MondZauber: VERGELTUNG. Mari März

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Название #4 MondZauber: VERGELTUNG
Автор произведения Mari März
Жанр Языкознание
Серия MondZauber
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753187174



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the girls are so pretty

      I first set my eyes on sweet Molly Malone.

      Lyra war, also würde sie eine Geige spielen hören. Da waren Stimmen, jede Menge Stimmen, die jene inoffizielle Hymne der Stadt Dublin sangen, die für den Überlebenswillen der Menschen dort stand.

      Alive, alive, oh

      Lyra öffnete die Augen. Nein, sie würde nicht aufgeben. Panisch ruderten ihre Arme, drängten ihren Körper zur Wasseroberfläche.

      Sie musste atmen!

      Aber der Weg zum lebensspendenden Sauerstoff war weit. Über ihr war nichts als Schwärze, unter ihr ebenso. In den dunklen Fluten hatte sie die Orientierung verloren. Wo war oben und unten?

      Angst überrollte Lyra, nahm sie gefangen und hielt ihren Körper im eisernen Griff. Ihre Arme fühlten sich tonnenschwer an, trotzdem bewegte sie ihre Muskeln, schwamm in jene Richtung, von der sie glaubte, dass es oben war. In ihrer Lunge brannte es, als wäre Säure darin.

      Sie musste atmen, musste leben!

      Ein Schatten kam auf sie zu, wurde größer. Etwas Glattes berührte ihre Haut, drückte sich gegen ihren viel zu schwachen Leib. Wie in einem Fahrstuhl sauste Lyra durch die Fluten und durchbrach endlich die Wasseroberfläche. Prustend rang sie nach Luft, sog sie gierig in ihre brennende Lunge.

      Was war das? Sie konnte nicht schwimmen. Unter ihr fühlte sie dieses glatte Etwas, das sich erneut in Bewegung setzte. Instinktiv drehte sich Lyra um, griff nach einem schwarzen Dreieck, das wie eine Finne aussah. Tatsächlich, sie ritt auf dem Rücken eines Orcas. Wie irre war das denn?

      Immer wieder versank Lyras Verstand in der Dunkelheit des nahenden Todes. Nur mit Mühe konnte sie sich an der Flosse des Schwertwals festhalten, der im stetigen Rhythmus mit ihr unter Wasser tauchte. Die Basaltfelsen der Reynisdrangar waren jetzt direkt vor ihr. Lyras sensible Augen fanden einen roten Punkt am Ufer, dann zwei.

      Ihre Hände lösten sich von der Flosse des Wals. Gewissheit durchströmte Lyra. Nein, sie würde heute nicht sterben. Anstelle des Orcas erhob sich wie von Zauberhand ein Wasserstrudel, der sie bis an den Strand von Vík í Mýrdal manövrierte.

      »Was ist es doch gut, Freunde zu haben«, hörte Lyra die Stimme von Freyja. Ihr letzter Gedanke galt der nordischen Hexe, die den Orcas dabei half, sich im menschlichen Wahnsinn aus Bohrinseln und Offshore-Parks zurechtzufinden. Als sich warme Hände auf ihren eiskalten Körper legten, ließ Lyra los und gab sich erschöpft der Ohnmacht hin.

      Sie war zu Hause.

      »Sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen?«

      Lyra blinzelte, ihr Bewusstsein rauschte zurück in das Hier und Jetzt. Über ihr grelles Licht, um sie eine weiche Decke, die Stimme ihrer Mutter.

      Nein, sie war nicht tot.

      Alive, alive, oh

      »Ich hoffe nicht«, murmelte sie und blinzelte erneut. »Die Geister meinen es gut mit mir, sonst wäre ich nicht hier, oder?«

      Jetzt öffnete Lyra die Augen, sah ihre Mutter, ihren Vater und ihren Großvater.

      »Wo ist Ian?«

      Lyra setzte sich auf, schaute sich um. Ihr wurde schwindlig. Mühsam schluckte sie, ihre Kehle war staubtrocken. Wie lange hatte sie geschlafen?

      »Du musst dich ausruhen!«

      Die Bemerkung ihrer Mutter ignorierend, stand Lyra auf, hievte sich von der Liege hoch. Sie trug eine Jogginghose, dicke Socken und ein Sweatshirt, ihr Haar war immer noch feucht. Lange konnte sie also nicht geschlafen haben. Das war gut. Sie fühlte sich gut. Na ja, nicht optimal gut, aber auch nicht schlecht.

      »Ausruhen kann ich mich, wenn ich tot bin«, erwiderte sie mürrisch und stellte sich aufrecht hin. Der Boden unter ihren Füßen wankte, was natürlich nicht sein konnte. Wahrscheinlich war ihr Gleichgewichtssinn nach dem Trip durch die kalten Fluten außer Kontrolle.

      »Wo ist Ian?«, wiederholte Lyra ihre Frage und blickte in sorgenvoll dreinschauende Gesichter. Niemand sagte etwas. Warum? War er etwa? Nein, das konnte nicht sein, durfte nicht sein!

      Hektisch scannten Lyras Augen ihre Umgebung. Sie war im Labor ihres Großvaters, durch die offene Tür konnte sie seinen Schreibtisch mit den Monitoren sehen. Der Raum, in dem sie sich mit ihrer Familie befand, war klein und schlicht eingerichtet – wie ein Zimmer auf einer Krankenstation. Etwas wacklig auf den Beinen lief sie durch die offene Tür und orientierte sich. Da war ein Geruch oder vielmehr ein beißender Gestank, vertraut und doch widerlich, die seltsame Mischung aus Ian und Verwesung.

      Lyra folgte ihrer Nase, lief in den hinteren Teil des Labors und fand eine weitere Tür. Sie war verschlossen, von außen mit einem massiven Riegel gesichert, darüber ein mit Gittern versehenes Guckloch. Sie spähte hindurch und fand ihren Liebsten, der nur noch entfernt an den Ian erinnerte, den sie vor einer Woche hier zurückgelassen hatte.

      »Ich bin wieder da, jetzt wird alles gut«, flüsterte sie durch die Gitterstäbe und glaubte sich selbst kein Wort. Die Gestalt regte sich. Ihr Äußeres war menschlich und auch nicht, eher das eines wandelnden Toten.

      Lyras Großvater trat an ihre Seite und schaute ebenfalls durch das etwa vierzig mal vierzig Zentimeter große Guckloch. Die Gitter waren auf beiden Seiten angebracht, dazwischen konnte Lyra eine Glasscheibe erkennen, die winzige Luftlöcher aufwies. Durch sie strömte der beißende Geruch nach Ian und Vergänglichkeit. Er sah furchtbar aus, nur noch ein Schatten seiner selbst.

      »Lebt er noch? Also …«

      Ihr Großvater nickte. »Noch! Die Infektion ist fortgeschritten, auch wenn es erstaunlich lange gedauert hat. Ian ist zäh, aber …«

      »Er wird sterben, oder? Und dann als Monster erwachen«, sagte Lyra und wischte sich Tränen von den Augen. »Unser Trip in die Marble Arch Caves war umsonst gewesen. Alles war umsonst!«

      Sie spürte die Hand ihrer Mutter. Miriam streichelte ihr übers Haar, strich eine Strähne hinter das Ohr ihrer Tochter. »Nichts war umsonst, du hast etwas viel Wertvolleres aus Irland mitgebracht.«

      Argwöhnisch drehte Lyra den Kopf und schaute zu ihrer Mutter. Diese schenkte ihr ein Lächeln. Es war freudlos und doch voller Hoffnung.

      »Noch wissen wir nicht, ob es wirkt, aber …«

      »Was?«, unterbrach Lyra ihre Mutter und schaute zum Alpha des isländischen Rudels.

      »Großvater, was?«

      Er gab ihr zu verstehen, ihm zu folgen. Sie liefen zurück zum Schreibtisch. Der Alpha zeigte auf einen der Monitore, wo eine Art Animation lief, die Lyra entfernt an ihren Biologieunterricht erinnerte.

      »Als du ohnmächtig warst, habe ich dir Blut abgenommen und es untersucht. Nachdem die Tochter der Geisterkönigin dich gebissen hat, wollte ich sehen, ob du ebenfalls infiziert bist.«

      »Und?«, fragte Lyra, die daran dachte, dass sie sich schon irgendwie anders fühlte, seit sie auf dem Frachtschiff erwacht war.

      »Dein Blut wäre eine Herausforderung für jeden Humangenetiker«, bemerkte ihr Großvater und schaute auf die Animation. Lyra kapierte wieder mal nichts. Da war ein kugeliges Etwas – die Darstellung eines Virus, wenn sie sich richtig an den Biologieunterricht erinnerte. Und dann waren da noch Dinger, die aussahen wie seltsam verdrehte Ypsilons.

      »Es ist unglaublich, aber offensichtlich wahr«, begann ihr Großvater.

      »Was?«, fragte Lyra ungeduldig. Ian konnte jeden Augenblick sterben, sie hatten keine Zeit für langatmige Erklärungen.

      »Redrubis Biss«, meldete sich jetzt ihre Mutter zu Wort. »Er könnte dich immer noch verwandeln, du hast Virus im