Gespenst zugelaufen. Ingrid Mayer A.

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Название Gespenst zugelaufen
Автор произведения Ingrid Mayer A.
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783738061796



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von einer Sekunde in ein viel zu großes Seepferd.

      "Du wolltest doch ein Wunder, nicht wahr?"

      Melvin nickte vorsichtig. "Schon, aber..."

      "Was aber?" Das Seepferd schwebte taumelnd heran.

      "Ich dachte eher an das Wunder, das mein Bruder braucht, um eine Eins zu kriegen", erklärte Melvin schüchtern. Mutig fügte er hinzu: "Ich glaube, du hast dich da geirrt. Jemand muss sich so was wie dich gewünscht haben und jetzt bist du aus Versehen bei mir gelandet."

      "Papperlapapp!", widersprach das Wunder. "Ich bin hier genau richtig!"

      Jetzt verstand Melvin überhaupt nichts mehr. Dieses merkwürdige Geschöpf konnte Otmar gewiss nicht helfen. Während Melvin überlegte, wie er es schnell wieder los werden könnte, nahm das Wunder die Gestalt eines Seehundes an, der vergnügt über seinen Teppich robbte und dabei große nasse Flecken hinterließ.

      "Warum verwandelst du dich dauernd?", wollte Melvin wissen.

      "Ach, ist das nicht herrlich!", entgegnete das Wunder begeistert. "Dieses Jahr sind Meerestiere groß in Mode. Schick, nicht wahr?"

      Im nächsten Moment schlängelte es sich als Aal um Melvins Füße herum.

      "Melvin!", rief der Vater aus dem Wohnzimmer.

      "Du musst hier verschwinden, bevor meine Eltern dich entdecken!"

      Melvin streckte den Kopf aus seiner Zimmertür.

      "Ich komme gleich!"

      Rasch schlüpfte er hinaus, schloss die Tür hinter sich und betete, dass das merkwürdige Wesen in seinem Zimmer blieb.

      "Wir gehen einkaufen", teilte ihm sein Vater mit. "In etwa einer Stunde sind wir wieder zurück."

      Melvin nickte dankbar. Das kam ihm sehr gelegen. Erleichtert verfolgte er, wie seine Eltern das Haus verließen. Dann stürmte er in Otmars Zimmer.

      "Ich muss dir unbedingt etwas zeigen!", sprudelte Melvin hervor.

      "Was denn?", entgegnete Otmar, der in einem Lehrbuch blätterte, um sein Referat auszuarbeiten, gelangweilt. "Ich habe eigentlich gar keine Zeit."

      "Los, komm schon!", drängte ihn Melvin. "Da ist etwas ganz Merkwürdiges bei mir im Zimmer. Es verwandelt sich dauernd in verschiedene Tiere."

      "Ach was!" Otmars spöttischer Miene war anzumerken, dass er seinem Bruder nicht glaubte. Dennoch war er neugierig geworden und stand rasch auf, um zu sehen, was Melvin ihm zeigen wollte. Als beide auf den Flur hinaus traten, entfuhr Otmar ein schriller Schrei. Ein etwa zwei Meter langer Haifisch schwebte an ihnen vorbei, als befänden sie sich statt im Hausgang in einem riesigen Aquarium.

      "Siehst du!", rief Melvin. "Das meinte ich!"

      Es klingelte an der Haustür. Erschrocken sahen sich die Geschwister an.

      "Wir machen einfach nicht auf!", schlug Otmar leise vor. Doch das Klingeln hörte nicht auf. Schließlich klopfte jemand kräftig gegen die Tür und eine Frauenstimme schrie: "Ich bin's, Tante Edelgard. Macht auf! Ich weiß, dass ihr zu Hause seid. Ich habe eben eure Eltern getroffen."

      "Was sollen wir jetzt machen?", flüsterte Melvin, doch bevor die beiden darüber beratschlagen konnten, ruckelte es im Schloss der Haustür.

      "Mist!", wisperte Otmar. "Unsere Eltern haben ihr einmal einen Reserveschlüssel gegeben."

      Die Tante trat mit Schwung ein und begrüßte die beiden Jungen mit strafenden Blicken.

      "Warum macht ihr mir denn nicht auf?"

      "Wir, wir hatten die Musik laut und hätten beinahe das Klingen überhört", rettete Otmar die Situation, während sich Melvin verblüfft nach dem Wunder umsah, es aber nirgends entdeckte.

      "Ihr solltet lieber Hausaufgaben machen, als euch dieses neumodische Zeugs anzuhören!", empfahl sie und trat forsch auf ihre Neffen zu, um ihnen einen feuchten Schmatz auf die Wangen zu drücken.

      "Was habt ihr denn hier Schönes?"

      Voller Staunen wandte sie sich der Kommode zu und deutete auf etwas, das die Geschwister vorher noch nie dort gesehen hatten. Es war eine riesige weiße Muschel mit gewelltem Rand.

      "Ein wahres Prachtstück!", befand die Tante und begutachtete sie ausgiebig, bevor sie das Interesse an dem vermeintlichen Dekorationsstück wieder verlor.

      "Was macht die Schule?", fragte Edelgard streng und ging dabei auf Otmars Zimmer zu. Hinter ihrem Rücken hob sich der Deckel der Muschel leicht an. Melvin glaubte zu erkennen, dass aus ihrem Inneren ein Augenpaar herausspähte.

      Als die Tante gegangen war, rannte Melvin schnell zu der Kommode und schnappte sich die Muschel.

      "Puh, das war knapp!", rief er und trug das Wunder zurück in sein Zimmer, wo es augenblicklich verschwand. Unruhig sah sich Melvin um und erkannte erleichtert, dass das Wunder nicht geflüchtet war, sondern nur eine durchsichtige Färbung angenommen hatte und nun als Qualle durch die Luft schwebte. Interessiert begutachtete sich die Qualle im Spiegel von allen Seiten.

      "Na, wie sehe ich aus? Ich fand, der Haifisch stand mir irgendwie besser."

      Doch niemand antwortete ihm. Nachdenklich betrachtete Otmar das Tier, während sein Bruder ihm die ganze Geschichte erzählte.

      "Vielleicht könnte mir das Wunder doch nützlich sein", grübelte er, als Melvin fertig war. Verblüfft starrte Melvin ihn an.

      "Wie soll das denn gehen?"

      Otmar rückte verschwörerisch näher und berichtete ihm von seinem Plan.

      Am nächsten Tag ging Otmar froh gelaunt zur Schule. Er war sich seiner Sache sicher. In seiner Schultasche lag - sorgsam in Butterbrotpapier eingewickelt, damit keine Ecke abbrach - ein kleiner orangefarbener Seestern. Heute war der entscheidende Tag. Otmar musste sein Referat halten - gleich in der ersten Stunde.

      Während nach und nach seine Klassenkameraden eintrafen, bereitete er sich auf den großen Augenblick vor. Sorgfältig breitete er seine Unterlagen aus und befreite schließlich den Seestern, den er vorsichtig auf das Pult legte. Dann kam auch schon Herr Wimmerling, nahm in der ersten Reihe Platz und nickte ihm aufmunternd zu. Als Otmar das Thema seines Referates nannte, wirkte der Lehrer sehr erfreut. "Meerestiere, wie interessant!", sagte er freundlich und bedeutete seinem Schüler zu beginnen.

      Nach einer kleinen Einleitung begann Otmar, Seesterne zu beschreiben. Dazu nahm er das Exemplar, das vor ihm lag und hob es hoch.

      Währendessen kauerte sich Melvin draußen unter dem Fenster zusammen und schob sich nun langsam hoch, um das Geschehen zu beobachten. Zu neugierig war er auf die Reaktion des Lehrers und der Mitschüler.

      Als nächstes beschrieb Otmar Seeschlangen. Die meisten Kinder blickten recht gelangweilt. Doch als sich plötzlich dort, wo eben noch der kleine Seestern gelegen hatte, eine Schlange ringelte, ging ein Aufschrei durch die Klasse. Herr Wimmerling sprang auf. Doch Otmar ließ sich nicht beirren, sondern nahm die Schlange zwischen die Finger und erklärte, von was sich diese Meeresbewohner ernährten. Der Lehrer wollte ihm das Tier entreißen, da er vermutete, es sei gefährlich, doch als er die Hand ausstreckte, hatte sich die Schlange bereits in einen Delfin verwandelt, der über die Köpfe der Schüler hinweg schaukelte, als trügen ihn unsichtbare Wellen durch die Luft. Herrn Wimmerling stand der Schweiß auf der Stirn, doch er erkannte, dass er nichts gegen das sich ständig verformende Wesen tun konnte. Also ließ er sich wieder auf seinen Stuhl sinken und beobachtete mit offen stehendem Mund, wie Otmar nach und nach die Eigenarten von etwa einem Dutzend Meeresbewohner auf äußerst anschauliche Art erklärte.

      Als Otmar sein Referat beendet hatte, fragte er Herrn Wimmerling, der sich mit einem Taschentuch gerade das schweißnasse Gesicht