Название | Gerichtsdolmetschen |
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Автор произведения | Christiane Driesen |
Жанр | Документальная литература |
Серия | narr studienbücher |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783823300472 |
Im Rahmen einer Gerichtsverhandlung, einer polizeilichen Vernehmung oder einer Vertragsverhandlung wird dem Dolmetscher häufig ein Text zur sofortigen mündlichen Übersetzung überreicht. Es kann sich dabei um einfache Briefe oder um Vernehmungsprotokolle, Anklageschriften, Anträge, Verträge, notarielle Urkunden etc. handeln. Die Zuhörer erwarten eine fließende, sofort verwertbare Übersetzung.
Der Dolmetscher muss den Sinn einer Mitteilung exakt wiedergeben können, ohne durch die Form blockiert zu werden.1 Die Übersetzung sollte so fließend sein wie das Vorlesen in der Originalsprache. Die drei Etappen, die bei den Vorleseübungen definiert wurden, finden hier Anwendung:
Sinn mit den Augen erfassen
Während des Hochschauens: Loslösen von den „Worthülsen“ der Ausgangssprache (Entverbalisieren)2
Sinn mit den „Worthülsen“ der Zielsprachen „bekleiden“ und dann erst sprechen
Idealerweise sollten die Zuhörer den Übersetzungsvorgang nicht mehr wahrnehmen. Die folgenden Übungen sollen beim Erwerb dieser wichtigen Fertigkeit helfen.
3.2 Übungen zum Erwerb der Fertigkeit des Vom-Blatt-Übersetzens
3.2.1 Übung 1: In drei Progressionsstufen
3.2.1.1 Stufe 1: Inhaltsangabe in Ausgangs- und Zielsprache ohne Vorbereitungszeit
Setting: Allein-Übung, Gruppenübung mit oder ohne Dozent
Material: Aufnahmegerät, unterschiedliche Pressetexte mit steigendem Schwierigkeitsgrad
Übungszweck:
Aneignung des Translationsprozesses:
Erfassen des Sinns (Verstehen)
Deverbalisieren (Verarbeiten)
Neu formulieren (Vortragen)
Ausführung und Empfehlung
Zur Allein-Übung bzw. Gruppenübung wird ein Text aus der Tagespresse gewählt, der keine besonderen Schwierigkeiten hinsichtlich des Wortschatzes (keine Fachtermini) oder der Syntax (keine Schachtelsätze) bietet. Die Nachricht wird zuerst leise gelesen. Der Übende sollte sich dabei auf die Struktur konzentrieren und diese möglichst „vor seinem geistigen Auge“ visualisieren. Er sollte dabei primär den Sinn des Textinhaltes hinterfragen: „Was will der Autor mitteilen?“
Für das nachstehende Beispiel1 sollte keine Vorbereitung nötig sein. Es handelt sich um Wortschatz aus dem täglichen Leben. Die Sätze sind weder zu lang noch zu umständlich formuliert. Die Informationsinhalte sind einfach zu visualisieren.
FLUGHAFEN-CHAOS
02.04.2008
Gepäck aus Heathrow wird in Italien sortiert
Das Chaos am Londoner Flughafen Heathrow ist endgültig perfekt: Ein Teil der Koffer, die am neuen Terminal 5 liegen geblieben waren, sollen nun von italienischen Gepäcksortierern geordnet werden – und zwar tatsächlich in Italien. Tausende Gepäckstücke befinden sich auf dem Weg nach Mailand.
Eine Kurierfirma aus Mailand soll das Koffer-Chaos, das am Londoner Flughafen Heathrow bei der Eröffnung des Terminals 5 am 27. März entstanden ist, beheben. Das Unternehmen soll die liegen gebliebenen Gepäckstücke sortieren und zu deren Besitzern transportieren, die schon seit Tagen auf ihre Koffer warten.
Wenn der Koffer nicht mitgereist ist, geht das Ärgernis los
Die Mehrzahl der gestrandeten Gepäckstücke werde in Heathrow sortiert. „Aber für Koffer mit einer Adresse auf dem europäischen Festland geht es schneller, wenn sie zum Sortieren nach Mailand gebracht werden. Dies ist ein branchenübliches Verfahren", sagte ein Sprecher der British Airways der BBC.
Insgesamt waren an der neuen Abfertigungshalle nach britischen Medienangaben rund 30.000 Gepäckstücke liegen geblieben, weil die als hochmodern und effektiv gepriesene Gepäckbeförderungsanlage kurz nach der Eröffnung am vergangenen Donnerstag versagte. British Airways sah sich dadurch gezwungen, Hunderte Flüge zu streichen. Tausende Passagiere waren von dem Chaos betroffen. Etliche Fluggäste stellte die Gesellschaft vor die Alternative, entweder auf die Mitnahme ihrer Koffer oder ganz auf ihre Flugreise zu verzichten.
(…)
Nach Einschalten des Aufnahmegeräts wird der Inhalt in der Ausgangsprache und gleich danach in der Zielsprache wiedergegeben.
Selbstbewertung
Tonaufnahme abspielen und folgende Fragen stellen:
Wurden alle Informationsteile korrekt und vollständig wiedergegeben?
Gab es Übersetzungsschwierigkeiten?
Wie war die Kommunikation: Stimme, Rhythmus, Atem?
Gruppenbewertung
Nach dem Abspielen der Aufnahme und nachdem der Vortragende die eigenen Eindrücke mitgeteilt hat, beantworten Gruppenteilnehmer folgende Fragen zur Leistungsbewertung:
Fragen zur Rhetorik:
War der Vortrag (die Verdolmetschung) überzeugend?
Wie war die Atmung? (ruhig? gehetzt?)
Wie war der Sprechrhythmus? (fließend? abgehackt?)
War die Stimme moduliert, angemessen projiziert?
Wie war die Haltung (Körpersprache)?
Wie war die Gestik im Bereich des Oberkörpers? (Hin- und Herschaukeln, Verschränken der Arme sind verpönt.)
Wie war der Blickkontakt?
Waren Anfang und Schluss eindeutig?
Fragen zur Wortgewandtheit:
Wie war die Wortwahl?
Waren die Fachtermini korrekt?
Fragen zum visualisierenden Gedächtnis
War die Struktur logisch?
War die gewählte Reihenfolge schlüssig?
Verdolmetschung korrekt, logisch, vollständig?
3.2.1.2 Stufe 2: Verdolmetschung
Einer der Teilnehmer liest den ganzen Text zuerst nur mit den Augen. Nach Abdecken des Artikels trägt er dessen Inhalt laut vor. Als Gegenprobe gibt ein weiterer Teilnehmer die Information, wie er sie verstanden hat, in einer anderen Sprache wieder.
Bewertung
Zuerst erfolgt die Selbstbewertung durch die beiden Teilnehmer, wobei der Dozent Folgendes fragen kann:
Wie haben Sie sich bei der Übung gefühlt?
Haben Sie den Text wirklich verstanden?
Haben Sie Schwierigkeiten gespürt? Wenn ja, welche?
Mögliche Antworten des Teilnehmers: „Ich war sehr nervös,