Als der alte Fahrenbach, der eine zunächst kleine Firma im Weinanbau und -vertrieb errichtet und im Laufe der Jahre zu einem bedeutenden Familienunternehmen erweitert hat, das Zeitliche segnet, hinterlässt er ein ziemlich seltsames Testament. Drei seiner Kinder scheinen Grund zur Freude zu haben, Frieder als neuer Firmenchef, Jörg als Schlossherr und Grit als Villenbesitzerin.
Bettina Fahrenbach saß in der kleinen Kapelle und schaute in die Kerzen, die gleichmäßig und ruhig abbrannten. Sie hatte die Kerzen aus vielerlei Gründen angezündet. Zuerst einmal für ihren Bruder Jörg, dessen Körper nach einem Flugzeugabsturz irgendwo im australischen Busch lag – unerreichbar und unauffindbar für die Suchtrupps, die ihre Bemühungen längst eingestellt hatten. Und ihr Bruder Frieder hatte ja inzwischen auch, wie auch immer, amtliche Dokumente erhalten, die Jörgs Tod bestätigten. Bettina wusste, dass sie sich damit abfinden musste, dass Jörg tot war und dass sie ihre Idee, er könne nur verschollen sein, nicht länger aufrechterhalten konnte. Aber es war nur ihr Verstand, der ihr sagte, dass Jörg tot sei. Ihr Herz sprach eine andere Sprache. Ihr Herz klammerte sich an den Gedanken, dass Jörg, wie durch ein Wunder, überlebt hatte. Schließlich hatte man seine Leiche nicht gefunden. Und gab es nicht diese Worte – die Hoffnung stirbt zuletzt? Sie schloss die Augen, dachte an Jörg, ihren ein wenig oberflächlichen, leichtsinnigen, aber doch liebenswerten Bruder. Sie sah ihn, wie er mit dem Boot über das Wasser jagte, mit dem Motorrad über sandige, gefährliche Pisten heizte. Sie sah ihn aber auch als Träumer, der leichtfertig sein Erbe aufs Spiel gesetzt hatte, indem er hochkarätige Musikevents veranstaltet hatte, ohne eine Ahnung davon zu haben. Das alles hatte sehr viel Geld gekostet, aber was sollte das jetzt noch. Sie würde alles hergeben, um ihn lebend wieder vor sich zu sehen. Sie versank in ihre Gedanken, und irgendwann, als sie in die Wirklichkeit zurückfand, war sie sich auf einmal sicher, dass Jörg noch lebte. Das allerdings musste sie für sich behalten, denn alle würden sie für verrückt erklären, wenn sie das jemandem erzählte. Vielleicht Leni nicht, die hatte ja auch noch Hoffnung. Bettina seufzte abgrundtief auf. Ach, Leni!