So wie Archäologen nach Tausenden von Jahren aus zahllosen einzelnen Bruchstücken die zerschlagenen Büsten der Hat-schepsut wieder zusammensetzten, so wird auch das Leben der geheimnisumrankten Königin vom Nil in den überlieferten historischen Fakten nachvollziehbar. Das Bild von Hat-schepsut, das sich im Lauf der Jahre in der Geschichtsschreibung verfestigt hatte, war jedoch das einer machthungrigen Despotin, der es gelungen war, ihren Stiefsohn und Neffen Thot-mose erbarmungslos zu unterdrücken und von der Regierungsgewalt fern zu halten. Seltsamerweise galt Pharao Thot-mose III allerdings zu keiner Zeit als verweichlichter Schwächling, sondern vielmehr als einer der durchsetzungsstärksten Herrscher des Alten Ägyptens, den man gerne mit Alexander dem Großen und Napoleon verglich. Dennoch schien es nahezu unvorstellbar, dass Neffe und Tante nicht in einer unversöhnlichen Gegnerschaft gelebt hatten und auch die damalige, überaus konservative ägyptische Gesellschaft, einschließlich des Adels und der Priesterschaft, sich offensichtlich nicht gegen eine Frau auf dem Thron stellten. Was war seinerzeit geschehen? Wer war diese Frau, deren Thronbesteigung offensichtlich sogar mit breiter Zustimmung der regierenden Klasse, ja, des ganzen Volkes erfolgte? War es tatsächlich reine Machtgier was sie leitete? Oder sah sie es als ihre von den Göttern gestellte Aufgabe an, das Land anstelle ihres schwächlichen Brudergemahls und später in der Vormundschaft für dessen unmündigen Sohn zu führen? Waren Hat-schepsut und Thot-mose III womöglich gar keine Gegner, sondern Verbündete, die im gegenseitigen Einverständnis zum Wohle ihres Landes handelten? War Hat-schepsuts Günstling Sen-en-Mut tatsächlich ihr Liebhaber, wie man bis heute vermutet und damit zugleich auch unterstellt, dass eine Frau ohne einen Mann an ihrer Seite nicht zu dieser Fülle an Macht gelangen konnte? Und warum war Sen-en-Mut schließlich so spurlos wie plötzlich aus allen Aufzeichnungen verschwunden? Dies ist ein historischer Roman, der Antworten zu geben versucht, indem er die Geschichte des Mädchens erzählt, das durch seine Geburt, wie bereits ihr Name es besagte, zur Ersten der vornehmen Damen wurde und schließlich zur allerseits anerkannten Herrscherin über das Land am Nil.