Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können.
"Nur nicht so stürmisch, ich komme ja schon", brummte Jonas, als die Flurglocke schon zum zweiten Mal anschlug. Dann stolzierte er mit gravitätischen Schritten nach dem schmalen, engen Korridor, öffnete die Tür und fuhr zurück. «Oh – der Herr…», stammelte er verwirrt, «ich bitte um Entschuldigung.» «Warum entschuldigst du dich denn?» fragte lachend der vor ihm stehende große blonde Mann. «Weil ich mir so viel Zeit mit dem Öffnen ließ, Herr.» «Ach so…», lachte der Besucher noch lustiger, trat in den Korridor und packte den Diener bei den Schultern. «Tag, Jonas, altes Haus, wo ist meine Mutter?» «Die Herrin hält ihr Kaffeestündchen.» «Ah, so…», meinte der Gast. Er durchmaß mit zwei Schritten den Korridor, klopfte an die letzte Tür und stand gleich darauf vor einer Dame, die an einem runden Tischchen saß und mit Behagen den geliebten braunen Trank schlürfte. «Mutti!» rief der große Junge mit verhaltenem Jubel, stand mit einem langen Schritt vor ihr, hob sie wie eine Feder empor und drückte sie an sein Herz. «Unband!» drohte die Mutter, als sie wieder auf ihrem Sessel saß. Helle Freude leuchtete ihr aus den Augen.
Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können.
In dem großen Krankenhaus herrschte die erhabene Ruhe, die sich den meisten Menschen so beklemmend aufs Gemüt legt. Scheu streifen die Augen die lackierten Türen, die trotz ihrer fleckenlosen Weiße so viel Unheildrohendes ausströmen, welches das Herz zu stürmischen Schlägen veranlaßt und die Knie weich werden läßt. Denn man weiß ja nicht, was hinter diesen Türen lauert – hoffnungsvolles Genesen oder hoffnungsloser Tod. An einem Vormittag huschte eine blutjunge Schwester den spiegelblank gebohnerten Korridor entlang, die die Empfindungen eben erwähnter angstgepeinigter Menschen nicht teilte, weil ihr all das ringsum vertraut war und sie diese beklemmende Luft geatmet hatte seit ihrem ersten Schrei. Mit der Sicherheit der Vielgeübten trug sie ein Tablett in den Händen, auf dem eine Karaffe mit funkelndem Wein und ein Glas standen. Sie wollte gerade zu einer der weißen Türen abbiegen, als aus dem gegenüberliegenden Zimmer der Professor der Anstalt in Begleitung des Oberarztes trat. Die klaren, durchdringenden Augen des Professors blieben an der Schwester haften, die darob eine solche Unsicherheit befiel, daß das Tablett heftig wankte und die Karaffe in gefährliches Rutschen geriet, während das Glas zu Boden klirrte und vor den Füßen des erstaunten Professors zerschellte. Und hätte der Oberarzt nicht rasch zugegriffen, so wäre auch die Karaffe dem Weg des Glases unweigerlich gefolgt. Nun stand die Schwester da – blutübergossen das reizende Gesichtchen und in den Augen so banges Flehen, als wollte sie den Gefürchteten um Verzeihung bitten, daß sie die Vermessenheit habe, auf der Welt zu sein. Kopfschüttelnd betrachtete der Professor das erschrockene Mädchen, und während er mit dem Oberarzt weiterschritt, zuckte ein Lächeln um den harten Mund. «Nun sagen Sie mal, mein lieber Doktor, was ist eigentlich mit der Kleinen los?» richtete er das Wort an seinen Begleiter. «Sehe ich denn so furchterregend aus, daß sie mir die mannigfaltigsten Dinge vor die Füße wirft, sobald sie mich nur sieht?» Der Blick des Arztes streifte den Vorgesetzten, der ihm in seiner imposanten Männlichkeit um eine halbe Haupteslänge überragte. «Muß doch wohl», war seine lachende Erwiderung. «Sie sind für dieses Aschenputtel der Anstalt wahrscheinlich der Gott, der über allen Wolken thront, und es zollt Ihnen den Tribut eben auf seine Weise.» «Sonderbare Ehrenbezeigung», trat der Professor die Erklärung trocken ab. «Da kann ich mich ja noch auf allerlei gefaßt machen.»
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Dem Kalender nach war es Frühlingsanfang, in der Natur jedoch noch tiefer Winter. Es schneite lustig und unaufhörlich in großen dichten Flocken. Blitzschnell setzten sich Millionen weißer Sternchen auf die Schutzscheibe des rasch dahinrollenden Autos, so daß die beiden Scheibenwischer es kaum schaffen konnten, die weißen Störenfriede hinwegzufegen. Dazu tobte ein Sturm, daß selbst der schwere Wagen nur mit Mühe die gerade Fahrtrichtung halten konnte. Dieses unvorschriftsmäßige Wetter war zwar nichts Ungewöhnliches in Ostpreußen: Man war daran gewöhnt, daß der Frühling immer auf sich warten ließ, manchmal sogar bis in den Mai hinein. Allein den Besitzer des eleganten Wagens schien das rauhe Wetter irgendwie zu beunruhigen; denn tiefe Besorgnis lag in seinem Blick, der immer wieder hinausschweifte. Fürchtete er sich etwa vor dem Schneetreiben? Er fürchtete sich tatsächlich, so sonderbar das auch anmuten mochte. Allerdings nicht für sich; er war an die rauhe Witterung gewöhnt. War in Norddeutschland geboren, als zweijähriger Knabe mit seinen Eltern nach Ostpreußen gekommen und dreiundzwanzig Jahre unausgesetzt dort geblieben. Wenn er sich jetzt vor dem rauhen Winter fürchtete, so geschah es um des neunjährigen Mädchens willen, das, fest in seinen Arm geschmiegt, mit nachtdunklen Augen in das weiße Flockengewirr hinaussah. Immer wieder ging des Mannes besorgter Blick zu dem schwarzen Lockenköpfchen hin. Jetzt wandte die Erzieherin sich den beiden hinter ihr Sitzenden zu, und ihre grauen Augen, das einzig Schöne an diesem unscheinbaren Menschenkind, ruhten mitleidig auf dem Gesicht des Mannes. «Sie machen sich wirklich zuviel unnötige Sorgen, Herr Uhde», sagte sie in der ihr eigenen Ruhe, die immer so angenehm berührte. «Graziella ist kerngesund, wie die Untersuchung des Berliner Professors erwiesen hat; sie wird daher den Klimawechsel ohne Schaden überstehen. Zumal sie ja auf der langen Seereise und in Berlin schon andere Luft geatmet hat als in Brasilien.» «Ich wünschte, Sie behielten recht», seufzte der Mann. «Sie wissen nicht, was mir das Kind bedeutet.»
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"Herr Baron, hier ist ein Einschreibebrief." Hellersen, der arbeitend am Schreibtisch saß, nahm der alten Barbe den Brief ab und setzte seinen Namen auf den Zustellungsschein, mit dem die Alte wieder hinausging. Gleichgültig öffnete er das Schreiben; doch schon bei den ersten Zeilen trat ein Ausdruck höchster Überraschung in sein Gesicht. Baron von Hellersen, Verwalter auf Rittergut Lorren, wird gebeten, nach Empfang dieses Schreibens unverweilt nach Waldwinkel zu kommen. Die Aufforderung geschieht auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn Leopold von Hellersen, des Besitzers von Waldwinkel, der schwer erkrankt ist. Unten stand der schlecht leserliche Namenszug des Notars. Swen schüttelte zweifelnd den Kopf: Wenn dem Herrn Justizrat da nur nicht ein Irrtum unterlaufen war! Waldwinkel, das sagenumwobene. So konnte man es wohl nennen, weil viele davon sprachen, wenige es jedoch mit eigenen Augen erschaut hatten. Ein wundervoller Besitz sollte dieses Waldwinkel sein, zu dem noch einige Vorwerke und die Güter Jagen und Trollen gehörten. Es war der Stammsitz der Hellersen, der immer auf den erstgeborenen Sohn vererbt wurde. Das war im letzten Falle der verwachsene Leopold von Hellersen gewesen. Seinem jüngeren Bruder Ewald waren das naheliegende Rittergut Hirschhufen und die beiden Nebengüter Wallen und Lutzen als Erbteil zugefallen. Er hatte jedoch ein so verschwenderisches Leben geführt, daß sein Besitz unter den Hammer gekommen war. Sein Bruder Leopold hatte die Familiengüter ersteigert, weil er sie nicht in fremde Hände übergehen lassen wollte. Ewald erschoß sich, und seine Familie, die nun mittellos dastand, wurde von Leopold von Hellersen unterhalten. Er fühlte sich dazu verpflichtet, weil sie seine nächsten Anverwandten waren. Swen von Hellersen entstammte einer entfernten Seitenlinie. Er hatte Leopold von Hellersen nur einmal gesehen und ihn als unfreundlichen, stark verwachsenen und grundhäßlichen Mann in Erinnerung, der einsam auf seinem herrlichen Besitz lebte und nicht einmal seine nächsten Verwandten und Erben um sich duldete. Und da sollte der alte Herr ausgerechnet ihn, Swen, der so entfernt mit ihm verwandt war, daß er eigentlich nur den Namen mit ihm gemein hatte, zu sich rufen?
Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können.
Gemächlich wanderte ein junges Mädchen den Weg entlang, der sich durch die Heide schlängelte. Die Augen, so blau wie der Himmel, der sich über das verträumte Stückchen Erde wölbte, schienen sich nicht sattsehen zu können an all dem Neuen, Niegeschauten. Der krautbewachsene Boden, die Baumgruppen und Büsche aller Art, der Bach, der munter und geschwätzig über blankgewaschene Steine hüpfte, weiter hinten der Wald, der die Ebene wie schützend umschloß, das alles war dem Stadtkind wundersam neu. An einer Stelle gaben die Bäume einen Durchblick zum Horizont frei, an dem die untergehende Sonne im Halbrund stand. Wie ein Feuerbrand lohte es ringsum. Die im Schauen versunkene Wanderin, die wie ein verwunschenes Wesen in dieser träumenden Einsamkeit anmutete, ließ sich auf den kniehohen Stein, an den sie fast gestoßen wäre, sinken. Dabei gab es ein helles Klingen. Es rührte von der Laute her, die dem Mädchen auf dem Rücken hing. Schräg über die Brust lief ein buntbestickter Lederstreifen, der oben und unten an dem Instrument befestigt war und sich lustig auf dem hellen Grund des Kleides ausnahm. Gleichfalls buntbestickte Lautenbänder flatterten leicht im sachten Abendwind. Eines davon berührte wie liebkosend des Mädchens Hand und weckte es aus seiner Versunkenheit. Den Blick wie trunken ins Weite gerichtet, zog es die Laute auf den Schoß, die Saiten klangen auf, und aus einer Wirrnis von Melodien zupfte die zarte Mädchenhand eine schwermütige Weise. an verlorenes Glück. als wär's ein Zauberland." O nein, was der jungrote Mund da sang, davon konnte das Herz nichts wissen. Ein Sehnen mochte es wohl erfassen, aber unter Tränen an verlorenes Glück zu denken, dazu war dieses Mädchen bestimmt noch zu jung. Hand in Hand mit dem Liebsten durch den Rosenhag wandeln, vielleicht? Wie unter einem Zwang löste sich der Blick der Sängerin vom Horziont, wo das Abendrot allmählich verblaßte, und blieb an zwei Menschen haften, die nur einige Meter entfernt standen und dem Gesang wahrscheinlich gelauscht hatten. Der Rollstuhl gehörte eigentlich nicht hierher, wo alles heiligen Frieden zu atmen schien, auch nicht das finstere Antlitz des Mannes, der hinter dem Stuhl stand. Erschrocken stand das Mädchen auf und näherte sich zögernd den beiden.