In der Bucht, welche die «Estrella de Málaga» und die «San Lorenzo» angelaufen hatten, um auf der Galeone eine neue Culverine zu montieren, sah es schaurig aus. Auch hier hatte die fürchterliche Flutwelle zugeschlagen. Durch den Buchtzugang gepreßt, hatte sich ihre Gewalt noch gesteigert. Mit elemetarer Wucht war sie auf die umliegenden Felswände geprallt und hatte Bäume und Sträucher entwurzelt. Treibgut schwamm im Wasser – tote Fische, Tang, Quallen und Krebse. Sogar ein Riesenkrake hing aufgespießt über einem Felszacken – und von Kraken hatten die Seewölfe und die «Le Vengeurs» die Nase voll. Dieser Krake war schon tot, dafür jedoch bot die Bucht noch andere Überraschungen – zum Beispiel die Leiche einer Frau…
Es stand unwiderlegbar fest: Der Gouverneur von Kuba, der Proviantmeister der «San José», der Kommandant der Schaluppe und dessen gesamte Crew waren mit dem Einmaster verschwunden. So etwas bezeichnete man als Fahnenflucht. Man hätte auch sagen können, daß die Ratten das sinkende Schiff verließen, denn Capitán Cuberas vormals so kampfstarker Kriegschiffverband war auf zwei Kriegsgaleonen und eine Kriegskaravelle zusammengeschrumpft. An der Inselfestung der englischen Piraten hatte man sich die Zähne ausgebissen. Da war es um die Kampfmoral nicht mehr gut bestellt, und wie immer sonderte sich die Spreu vom Weizen: Die Drückeberger und Feiglinge setzten sich ab und ließen ihre Kameraden im Stich…
Sie verhielten sich ganz friedlich, die Arwenacks, als sie mit der ihrer in Varna stibitzten Dubas auf die Fischerboote zusegelten, um Erkundigungen einzuziehen. Doch die Fischer reagierten merkwürdig, als sie die Dubas sichteten. Einige setzten Segel und flüchteten, andere holten schleunigst ihre Netze ein. In einem Boot bückte sich ein Kerl, förderte einen Schießprügel zutage, eine Donnerbüchse, die er auf eine Gabel auflegte. «Der wird doch wohl nicht», sagte der Profos Carberry erzürnt. Und da krachte auch schon der Schuß. Die Kugel zischte über den Schädel von Carberry und hätte ihm einen feinen Scheitel gezogen, wenn er nicht etwas in die Knie gegangen wäre. «Du Affenarsch» röhrte der Profos zornerfüllt…
Der dümmliche Thomas Lionel, Sohn des John Killigrew, hatte die Morgenwache. Und sie bescherte ihm etwas ganz Besonderes, was seine Aufmerksamkeit erregte, so daß er die müden Augen weit aufriß. In dem Lagunensee drüben hinter dem Strand der Bucht bewegte sich etwas – ein weiblicher Körper! Ein Weib, schwarzhaarig und schlank. Und splitterfasernackt! Ganz unbekümert nahm dieses Weib ein Bad im Tümpel und hüpfte dort herum. Thomas Lionel bekam Stielaugen und hätte gern noch mehr gesehen, vor allem vergrößert. Ein Spektiv brauchte er. Darum rannte er los – und prompt gegen den Großmast. Da sah er kein nacktes Weib mehr, sondern nur noch Sterne…
Die Männer des Wikingers und Ben Brightons griffen an. Mit ihren beiden Schiffen hatten sie die Galeone des «Schinders» in die Zange genommen, in jenen tödlichen Griff der Umklammerung, aus der es kein Entkommen mehr gab. Ben Brighton feuerte zuerst. Das Jaulen von Kugeln war zu hören, dann das bestialische Krachen, als der Besanmast getroffen wurde. Wie mit Donnerkeilen fuhr es in ihn hinein. Splitternd und berstend brach er auf halber Höhe auseinander. Eine losgeschossene Rah sauste wie eine Riesensense über das Deck und fegte alles von den Beinen. Mit der Rah wirbelten auch Spieren, Tauwerk und zerfetzte Segel nach unten. Zwei weitere Treffer verwandelten den Besanmast in einen trostlosen Stummel. . .
Feuer frei! Old O'Flynns Stimme klang wie ein Trompetenstoß, als er die Worte hinausschmetterte. Die Distanz zwischen den beiden Schiffen betrug etwa fünfzig Yards. Da konnte man nicht mehr vorbeifeuern, selbst beim schnell ablaufenden Passiergefecht nicht. Die Drehbassen hämmerten ihr brüllendes Lied und spien Rauch, Feuer und Eisen aus. Der Krach war ohrenbetäubend. Drüben auf der Schaluppe schlug es dreimal hintereiander ein. Der Mast wurde getroffen und zersplitterte. Die Gaffelrute krachte an Deck und riß das Segel mit sich. In der Bordwand erschienen direkt an der Wasserlinie zwei Löcher – aus dem Jäger war von dem einen Augenblick zum anderen ein gestelltes Wild geworden…
Da saßen sie also in einer Jolle – Kapitän Stewart, abgehalfteter Kommandant der «Dragon», O'Leary, der wüste Bootsmann des alten Killigrew, und die fünfzehn Kerle der «Lady Anne», die von den Seewölfen gekapert worden war. Noch etwas befand sich in der Jolle, nämlich zwei Kisten Goldbarren. Zwar bildete sich Kapitän Stewart ein, daß die beiden Goldkisten ihm gehörten, aber O'Leary und seine fünfzehn Schlagetots waren anderer Ansicht und sich völlig einig, daß da einer zuviel an Bord wäre – der Kapitän Stewart. Die Affen von der Marine stanken Sir Johns Galgenvögeln sowieso. Also besorgte es O'Leary dem Kapitän. Als Stewart übers Heck ins Wasser klatschte, johlten sie vor Begeisterung…
Statt sich um seine Crew zu kümmern, hatte sich Kapitän Stewart mit den Halunken unter O´Leary verbündet. Auch Sir Robert Monk war mit von der Partie und ebenso Joe Doherty, das Profos-Monster. Sie segelten auf die Bucht zu, in der die «Caribian Queen» und die «Isabella» ankerten. Sir Robert hatte den Plan ausgebrütet – nämlich jetzt bei Nacht die «Isabella» zu entern, zur Kapitänskammer vorzudringen und den schwerverletzten Philip Hasard Killigrew als Geisel zu nehmen. Als sich eine Wolkenbank vor den Mond schob, glaubten sie bereits, gewonnenes Spiel zu haben. Aber da wurden sie von der Landzunge aus angerufen, und dann überschlugen sich die Ereignisse…
Juan Vargas war einer der übelsten Kerle, die jemals unter der Flagge Philipps II. von Spanien gesegelt waren. Die Männer, die unter seinem Kommando an Bord der Dreimastgaleone «Santa Barbara» fuhren, hatten nichts zu lachen. Vargas herrschte mit tyrannischen Methoden über das Schiffsvolk. Bei ihm gab es die meisten Hiebe mit der Neunschwänzigen und den schlechtesten Fraß. Nichtigkeiten genügten, ihn in Wut und Rage zu bringen. Tampenlaufen und Kielholen gehörten ebenfalls zu seinen Mitteln, um den Kerlen Respekt beizubringen. Dieser Mann wurde eine harte Nuß für Philip Hasard Killigrew, denn leider hatte Vargas vierzig gefangene Arawak-Frauen an Bord…
Luis Carrero riß die eine der beiden erbeuteten Pistolen heraus. Er drehte sich halb um, spannte den Hahn, legte auf die Hündin an und drückte mit wutverzerrtem Gesicht ab. Die Wölfin schien den Schuß geahnt zu haben. Sie schnellte zur Seite. Carrero feuerte auf den huschenden Schatten, der aber plötzlich hinter einem Uferfelsen verschwand. Es schien sie nie gegeben zu haben, diese teuflische Wolfshündin. Es wirkte, als habe sie sich in Luft aufgelöst wie ein Spuk. Der Schuß donnerte in die Nacht – und ging fehl. Irgendwo prallte die Kugel von den Felsen ab und jaulte als Querschläger davon. Carrero stöhnte auf. Dann schleuderte er wie von Sinnen die Pistole von sich und hetzte weiter.....