Gemeinsam zum Erfolg. Lars Balzer

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Название Gemeinsam zum Erfolg
Автор произведения Lars Balzer
Жанр Учебная литература
Серия hep praxis
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783035500912



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allerdings von einer Frist bis 2020 die Rede; vgl. BBT, 2012a, S. 3).

      Eine solche Quote entspricht einem gesamtgesellschaftlichen Interesse. Das Ziel kann aber nur durch gute Zusammenarbeit aller Akteurinnen und Akteure im Bildungssystem und mit entsprechenden politischen und finanziellen Rahmenbedingungen realisiert werden. Strahm (2010) betont die Rolle, die hier der Berufsbildung zukommt; er weist auf die Zusammenhänge zwischen mangelnder (Berufs-)Bildung, gefährdeter Integration in den Arbeits­markt und Armutsrisiko hin und definiert Berufsbildung als soziale Absicherung: «Die beste Versicherung gegen Armut ist die Berufsbildung und Arbeitsmarktintegration» (a.a.O., S. 73).

      Hier setzt unser Buch an: Es will mit seiner Zielsetzung – eine den Lernenden in der beruflichen Grundbildung angepasste individuelle Förderung – einen Beitrag dazu leisten, die angestrebte Abschlussquote zu erreichen, indem es zu zeigen versucht,

      •wie möglichst viele Jugendliche im (Berufsbildungs-)System gehalten, wie also Ausbildungsabbrüche ohne Anschlusslösung möglichst vermieden werden können;

      •wie Personen, die bisher ohne nachobligatorische Ausbildung geblieben sind, mit Unterstützung zu einem zertifizierenden Abschluss auf Sekundarstufe II geführt werden können.

      1.1.1Obligatorische Bildung, Sekundarstufe I

      Mit Artikel 62, Absatz 4 der Bundesverfassung (BV), dem die Schweizer Bevölkerung 2006 in einer Volksabstimmung zugestimmt hat, werden die Kantone zu einer Harmonisierung des Bildungswesens im Bereich der obligatorischen Schule verpflichtet. Damit werden Faktoren, die für die aktuellen Probleme an der «ersten Schwelle» mitverantwortlich sind – der Schulföderalismus, die unterschiedlichen kantonalen Schulstrukturen und die damit einhergehende, mehrheitlich frühe Selektion –, womöglich bald an Gewicht verlieren.

      So ist es beispielsweise für die Ausbildungsverantwortlichen in Lehr­betrieben derzeit noch schwierig, die schulischen Kompetenzen der Schulabgängerinnen und Schulabgänger im Rahmen der Selektion von Lernenden einzuschätzen, da bisher keine minimalen Bildungsstandards definiert waren, die von den Schülerinnen und Schülern am Ende der obligatorischen Schulzeit erreicht werden müssen. Somit waren u.a. interkantonale Vergleiche kaum möglich. Hier soll die «Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule» (HarmoS-Konkordat), in Kraft getreten am 1. August 2009, Abhilfe schaffen. Das Konkordat harmonisiert die Dauer und die wichtigsten Ziele aller Bildungsstufen der obligatorischen Schule und deren Übergänge auf nationaler Ebene. Der Entscheid für einen Beitritt zu HarmoS liegt freilich bei den einzelnen Kantonen. Einige haben einen Beitritt bisher abgelehnt.

      Abbildung 1-1 zeigt auf, welche Kantone dem Konkordat bis 2013 beigetreten sind.

      Abbildung 1-1

      Beitrittsverfahren HarmoS-Konkordat (Quelle: www.edudoc.ch)

      Die dem Konkordat beigetretenen Kantone verpflichten sich, bis zum Schuljahr 2015/2016 die Inhalte des Konkordats umzusetzen. Die Regelungen betreffen die Schulstrukturen (Dauer der Primarstufe einschliesslich Kindergarten acht Jahre, Dauer der Sekundarstufe I drei Jahre – eine Ausnahmeregelung gilt für den Kanton Tessin mit einer vierjährigen scuola media) sowie die Einführung von nationalen Bildungszielen, den sogenannten Bildungsstandards, welche die Grundkompetenzen der Schülerinnen und Schüler für die Fächer Schulsprache, Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften festlegen. Eine Koordination der Lehrmittel und die Harmonisierung der Lehrpläne, basierend auf den zu erwerbenden Grundkompetenzen, werden auf sprachregionaler Ebene angestrebt. Der «plan d’études romand» wurde 2010 freigegeben und befindet sich in den französischsprachigen Kantonen bis zum Schuljahr 2014/2015 in der Einführungsphase. Der «Lehrplan 21» für die deutsch- und mehrsprachigen Kantone und der «piano di studio» für den Kanton Tessin werden voraussichtlich auf Herbst 2014 freigegeben. Wie und wann die Umsetzung der neuen Lehrpläne in der Deutschschweiz und im Tessin konkret in Angriff genommen wird, liegt allerdings wiederum in der Verantwortung der einzelnen Kantone. Für sie bleibt der Spielraum nach wie vor gross, und es wird sich zeigen, welche Folgen die jeweiligen kantonalen Absichtserklärungen haben werden.

      Ob und in welchem Ausmass sich dieser schweizerische Bildungsföderalismus auf längere Frist halten wird, wird die Zukunft zeigen (zum ganzen Themenkreis Schulföderalismus vs. Harmonisierung vgl. auch Criblez, 2008).

      In 21 Kantonen entspricht die Dauer der Sekundarstufe I zum heutigen Zeitpunkt bereits den HarmoS-Vorgaben. Nur fünf Kantone verfügen über eine Sekundarstufe I mit einer Dauer von vier oder fünf Jahren. Trotz fast einheitlicher Dauer weist die Sekundarstufe I zwischen und auch innerhalb der Kantone eine Vielfalt an Strukturen mit verschiedenen Niveaustufen (Grundansprüche – erweiterte Ansprüche) auf. Laut dem letzten «Bildungsbericht Schweiz» (SKBF, 2010, S. 93f.) können die unterschiedlichen Strukturen den drei Modellen integriert, kooperativ und geteilt zugeordnet werden (vgl. Abb. 1-2). Das integrierte Modell ist charakterisiert durch nicht selektionierte Stammklassen mit leistungsdifferenzierten Niveaukursen in einzelnen Fächern. Im kooperativen Modell gibt es zwei Typen von Stammklassen mit unterschied­lichen Anforderungsniveaus sowie ein Angebot von leistungsdifferenzierten Niveaukursen in Fremdsprachen, Mathematik und eventuell einem dritten Fach. Das geteilte Modell weist zwei bis vier verschiedene Schultypen auf, und es werden unterschiedliche Fächer durch unterschiedliche Lehrpersonen mit unterschiedlichen Lehrmitteln in separaten Klassen oder Schulen angeboten.

      Strukturvielfalt auf der Sekundarstufe I in den 26 Kantonen, 2009

      Daten: IDES und Netzwerk Sekundarstufe I

      Abbildung 1-2

      Strukturvielfalt auf der Sekundarstufe I (SKBF, 2010, S. 93)

      Wie die Ausführungen zu den drei Modellen zeigen, ist das schweizerische Schulsystem (mit Ausnahme der Kantone Jura und Tessin) durch frühe Selektionsmechanismen geprägt, die dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler bereits auf der Sekundarstufe I unterschiedlichen Schultypen und Anforderungsniveaus zugewiesen werden.

      Aus der einschlägigen Forschung ist nun aber bekannt, dass die Zuweisungsmechanismen stark durch regionale Gegebenheiten, schul- und lehrpersonenspezifische Handhabung von Übertrittsempfehlungen, Referenzgruppeneffekte wie Leistungsstärke der Klasse und Gruppenmerkmale wie Sozialstatus, nationale Herkunft und Geschlecht der Schülerinnen und Schüler beeinflusst werden (Baeriswyl, Wandeler & Trautwein, 2011; Haeberlin, Imdorf & Kronig, 2004; Imdorf, 2005; Kronig, 2007, 2013; Meyer, 2011). Die individuelle schulische Leistung hat nur bedingt prognostischen Wert für die Zuweisung zu einem bestimmten Schultyp oder -niveau (vgl. auch Sacher, 2001; Becker, 2010; SKBF, 2010). Das bedeutet nichts anderes, als dass durch frühe schulische Selektion und eine hierarchisch gegliederte Sekundarstufe I mit unterschiedlichen Leistungsniveaus die ungleiche Verteilung von Bildungschancen strukturell verfestigt wird. Dies ist umso gravierender, als Schultyp und Schulnoten aus den beiden letzten Schuljahren der Sekundarstufe I, vor allem die Noten in Mathematik, als wichtige Einflussgrössen für die Vergabe von Lehrstellen gelten (Haeberlin, Imdorf & Kronig, 2004; Neuenschwander, 2010; SKBF, 2010; vgl. auch → Abschnitt 1.1.2). Die ungleiche Verteilung der Bildungschancen der Jugendlichen setzt sich im Übergang zur und während der Sekundarstufe II fort. Der Schluss drängt sich auf: Zugunsten einer fairen Chancenverteilung müsste auf eine frühe schulische Selektion verzichtet werden.

      Durch die Einführung der neuen Lehrpläne im Rahmen von HarmoS werden nun, wie schon erwähnt, verbindliche Kompetenzen festgelegt, über welche Schülerinnen und Schüler am Ende der obligatorischen Schulzeit verfügen sollen. Die verpflichtenden Inhalte des Lehrplans werden gegen Ende der Sekundarstufe I verringert zugunsten von Wahlangeboten, die eine zielgerichtete Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf die nachobligatorische Ausbildung sicherstellen