Название | "... damit eure Freude vollkommen wird!" |
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Автор произведения | Sebastian Kießig |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429064044 |
3. Jugend und Kirche
Die genannten Befunde deuten es bereits an: Kirche und kirchlich verfasster Glaube verlieren zusehends an Einfluss auf Jugendliche, wenn es um die Ausprägung einer religiösen Identität geht. Werden junge Menschen direkt nach der Bedeutung der Kirche für ihr Leben gefragt, so fallen die Antworten insgesamt recht negativ aus.
So wurde im Rahmen der Shell-Studie von 2006 ermittelt, dass die Kirche zwar allgemein als wichtig erachtet wird: 69 Prozent der Jugendlichen im Alter von zwölf bis 25 Jahren bejahen die Aussage „Ich finde es gut, dass es die Kirche gibt“30. Nahezu genauso groß (68 Prozent) ist jedoch die Zahl derer, die angibt, Kirche müsse sich ändern, „wenn sie eine Zukunft haben will“31. Geht es um die Bedeutung von Kirche für einen selbst, so stimmen 65 Prozent der Aussage zu: „Die Kirche hat keine Antworten auf die Fragen, die mich wirklich bewegen“32.
Noch deutlicher dokumentieren die Sinus-Milieustudien die schwindende Beheimatung Jugendlicher in der Kirche. Bereits 1978 wurde das Sinus-Institut gegründet, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, mit Hilfe der Parameter der sozialen Lage und grundlegender Wertorientierungen eine Typologie jeweils aktueller gesellschaftlich vorhandener Lebensstile zu entwickeln. Im Auftrag des Bunds der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und des Bischöflichen Hilfswerks Misereor erschien 2007 erstmals eine Studie, die sich speziell der Lebenswelt katholischer Jugendlicher zwischen neun und 27 Jahren widmet. Als eines der zentralen Ergebnisse halten die Sinus-Forscher fest, dass kirchliche Jugendarbeit nur drei bis vier von insgesamt zehn Jugendmilieus erreicht: die ‚Traditionellen‘ (4 Prozent aller katholischen Jugendlichen), die ‚Bürgerliche Mitte‘ (14 Prozent), Teile der ‚Postmateriellen‘ (6 Prozent) und vereinzelt die ‚Konsum-Materialisten‘ (11 Prozent).33 Der Großteil der Jugendlichen lässt sich dagegen für kirchliche Jugendarbeit gar nicht erst gewinnen:
Die quantitativ größten Milieus (Moderne Performer und Hedonisten: auch Experimentalisten), die zusammen 65% der Jugendlichen ausmachen, werden nicht oder nur singulär erreicht.
„Zwischen der katholischen Jugendarbeit (bzw. seines Images: seiner Ausstrahlung) und den großen jugendlichen Lebenswelten gibt es einen großen Graben.“34
Folgestudien des Sinus-Instituts – die Jugendstudien von 2012 und 2016 sowie die 2013 erschienene allgemeine Studie zu religiösen und kirchlichen Orientierungen – belegen die voranschreitende Entfremdung zur Kirche. Die Jugendstudie von 2012, die sich diesmal nur mit den Lebenswelten 14- bis 17-Jähriger befasst, kommt zu dem Ergebnis, dass Glaubensangebote unter Jugendlichen nur dann als „attraktiv“ gelten, „wenn der Grad der institutionellen Einbettung gering ist“35 – ein Befund, der sich mit dem genannten Phänomen der Deinstitutionalisierung deckt. Hinsichtlich der Beziehung zur Institution Kirche schlussfolgern die Forscher aus den erhobenen Befragungen: „Jugendliche sind – in fast allen Lebenswelten – der Kirche nur selten verbunden.“36 Was Jugendliche an Kirche kritisieren, sind etwa die erlebte Unnahbarkeit und Menschenferne der Kirche, ihre Bedeutungslosigkeit in der eigenen Lebensführung, ihre nicht zeitgemäße normative Grundhaltung, die ästhetische Erscheinung von Kirche sowie die Fremdheit ihrer Sprache.37
Die Milieustudie von 2013, die Glaube und Religion der Gesamtbevölkerung untersucht, kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Milieus immer weiter ausdifferenzieren. Die Zusammengehörigkeit von Glaube, Religion und Kirche, die „in ihrer traditionellen Gestalt Rückhalt, Orientierung und Struktur“ geben und „für soziale Einbettung“38 sorgen, kennzeichnet (nur) noch die schrumpfenden Milieus der ‚Konservativ-Etablierten‘ (10 Prozent), der ‚Traditionellen‘ (15 Prozent) und eines Großteils der ‚Bürgerlichen Mitte‘ (14 Prozent).39 Doch selbst in ihnen gilt „die traditionelle (volkskirchliche) Frömmigkeit“ weitgehend als „unzeitgemäße, unkritisch-naive Haltung“40. Insgesamt hat sich „der Glaube individualisiert“ und ist „nicht an die katholische Religion und Kirche gebunden“41; gerade „in den jungen und unterschichtigen Milieus spielen Glaube und Religion im Alltag häufig gar keine Rolle mehr“42.
Diesen Befund bestätigt auch die jüngste Jugendstudie aus dem Jahr 2016, die zu dem Ergebnis kommt, dass sich die Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft „in der Regel aus der familiären Tradition“43 begründe und in den wenigsten Fällen mit einer „,bewussten‘ Entscheidung“44 verbunden sei. Ausschlaggebend für eine Verwurzelung in der Kirche seien in erster Linie der direkte Kontakt mit ihren Angeboten sowie die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten:
Das Engagement in der Jugendarbeit und der Freundeskreis haben einen positiven Einfluss auf den Verbleib in der Glaubensgemeinschaft. Vor allem in traditionellen und bürgerlichen Lebenswelten tragen konkrete Gemeinschaftserfahrungen in der Jugendkirche dazu bei, der Glaubensgemeinschaft treu zu bleiben. Konservativ-Bürgerliche Jugendliche formulieren eindeutig, dass sie Mitglied der Kirche bleiben, solange sie weiter an den Gottesdiensten teilnehmen.45
Zugleich sei innerhalb der Beziehungen von Jugendlichen eine große religiöse Heterogenität festzustellen, wobei man die Religionszugehörigkeit kaum eine Rolle spiele; oftmals kenne man diese gar nicht genau und tausche sich kaum darüber aus: Religion und Glauben gehören nicht zu den Themen, über die man im Alltag viel mit seinen Freundinnen oder Freunden spricht oder für die man sich besonderes interessiert, auch wenn die Freundinnen oder Freunde einer anderen Glaubensgemeinschaft angehören.46
4. Die Kommunikabilität von Religion und Religiosität
Neben den pluralen Erscheinungsformen jugendlicher Religiosität sowie der verbreiteten Entfremdung von der Institution Kirche und einem kirchlich verfassten Glauben zugunsten einer individualisierten Religiosität soll hier von einem weiteren empirischen Befund die Rede sein, der für das Verhältnis von Jugend und Kirche – näher: für die Kommunikation zwischen Jugendlichen und Kirche – bedeutsam ist: der Bedeutung von Sprache. Die Fremdheit religiöser Sprache ist seit den siebziger Jahren ein Dauerthema innerhalb der Religionspädagogik. So moniert etwa Erich Feifel bereits 1970:
Was heute in die Augen fällt, ist eine wachsende Diskrepanz zwischen Kirchensprache und Volkssprache, die sich in einem veralteten Wortschatz ebenso ausdrückt wie in einer dozierenden Selbstgefälligkeit und in der zur Schau gestellten Vertraulichkeit vorgeformter Sprachklischees.47
Ähnlich kritisch äußert sich auch Hans Zirker 1972: „Das meiste, was wir in christlicher Verkündigung hören, sind verbale Variationen, wenn nicht gar Repetitionen altbekannter Themen.“48 Neben dieser Inhaltsleere kritisiert er auch die „Erfahrungsferne“, die sich in „floskel-, klischee- und jargonhaften Redeweisen“49 manifestiere.
Auch gegenwärtig reißt die Diskussion um den religiösen Sprachverlust nicht ab. 2011 legte Stefan Altmeyer mit seiner Habilitationsschrift „Fremdsprache Religion?“ eine empirische Erhebung zum „konkreten Sprachgebrauch im Kontext von Glaubenspraxis und religiöser Bildung“50 vor. Altmeyer distanziert sich von der „generelle[n] Defizitdiagnose des Sprachverlusts der Religion und der religiösen Sprachlosigkeit der Menschen“ und modifiziert diese Diagnose. Seine Analysen ergeben, dass Jugendliche „nur mehr in sehr eingeschränktem Maß von biblisch geprägter Sprache und theologischen Begriffen Gebrauch“ machen, sie aber sehr wohl „über eine Sprache für Gott und eine Sprache, in der sie zu Gott sprechen können“51, verfügen. Was diese Sprache kennzeichnet, beschreibt Altmeyer wie folgt:
„Gott wird vor allem mit Hilfe allgemeiner positiver Erfahrungskategorien beschrieben, die ihn in Beziehung zum eigenen Leben verorten. Zugleich aber ist dieser Gott abstrakt und – mit Ausnahme der Gebete – ohne konkrete personale Züge. Eine Bezugnahme auf Jesus Christus fehlt daher fast völlig.“52
In diesem Befund spiegeln sich die Ergebnisse der vorangehend genannten empirischen Studien. Die christlich religiöse Sprache gibt es, wenn man den konkreten Sprachgebrauch Jugendlicher betrachtet, ebenso wenig wie das christliche Gottesbild, wenn man ihre Gottesvorstellungen und