Balancieren statt ausschließen. Hildegard Wustmans

Читать онлайн.
Название Balancieren statt ausschließen
Автор произведения Hildegard Wustmans
Жанр Документальная литература
Серия Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429060312



Скачать книгу

aus der Perspektive der Geschlechterdifferenz, des allgemeinen Wandels in den Biografien von Frauen und den daraus resultierenden Konsequenzen, wie der Entstehung einer Frauenliturgiebewegung. Auf der Basis des Vorausgegangenen werden dann methodische Konsequenzen für das Design der Arbeit gezogen.

      1.1 Die fehlende Balance der Geschlechter – ein bedrängendes pastorales Problem

      „Ohne Frauen geht es nicht, die Frauen sind wichtige Träger, wenn es um die Weitergabe des Glaubens an die kommende Generation geht, und wenn die auswandern, dann ist der Ofen wirklich aus“ (Sekretariat der DBK 1993, 98). Noch ist dieser Ofen nicht aus, man wird aber sagen müssen, immer weniger Holz wird nachgelegt. Frauen, und inzwischen sind es nicht nur die jüngeren Frauen, verlieren mehr und mehr ihre kirchlichen Bindungen. Dies hat u. a. die Konsequenz, dass die Frauen immer öfter nicht mehr der Rolle als Tradentinnen des Glaubens nachkommen (vgl. Foitzik 1993, 307–311). Gerade diese Entwicklung wird längerfristig erhebliche Auswirkungen haben, denn sie hat zur Folge, dass immer weniger Kinder und Jugendliche in einem von religiösen Überzeugungen geprägten Umfeld aufwachsen werden. Freilich sind noch immer mehr Frauen als Männer in den Pfarrgemeinden engagiert. „Sie arbeiten haupt-, neben- und ehrenamtlich in den Bereichen religiöser Erziehung und Katechese, engagieren sich pfarrlich in diversen Arbeitskreisen und Aktionen sowie in sozial-diakonischen und liturgischen Zusammenhängen. Keinen Zugang hingegen haben sie zur Ordination und deshalb zur umfassenden Leitungsvollmacht. In der Kirche bleibt also den Frauen ihr gelebtes Christ-sein, ihr Engagement in der Alltagsseelsorge, ihre Frömmigkeit (und deren Weitergabe), den Männern aber die definitorische und institutionelle Macht“ (Aigner/Bucher 2004, 64). Wohl auch angesichts dieser Tatsachen ist eine zunehmende Reserviertheit von Frauen (vor allem jüngeren Frauen) in Bezug auf die Kirche feststellbar. Und die Kirchenbänke, die sie verlassen, werden aller Voraussicht nach auch vakant bleiben. „Die Entfeminisierung der Kirchen ist nicht mit einer ‚Re-Maskulinisierung‘ gepaart, sie ist vielmehr eine generelle Entkirchlichung“ (Wolf 2000, 81). Angesichts dieser Prognose ist es verwunderlich, wie zögernd die katholische Kirche auf die neuen Frauenbiografien reagiert und dass sie sie nur rudimentär begleitet. Damit entzieht sie sich der Herausforderung, das Evangelium aus der Perspektive der Frauen zu entdecken und die „neue“ Wirklichkeit der Frauen mit dem Evangelium und der Tradition zu konfrontieren (vgl. Aigner/Bucher 2004, 70).

      Diese Ausgangslage ist problematisch und prekär zugleich. Problematisch in dem Sinn, dass es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Frauen diese Form der Arbeitsteilung in der Kirche aufkündigen. Prekär ist diese Entwicklung deswegen, weil so die Perspektive der Frauen als Bereicherung, Ergänzung und Konfrontation in der Kirche verloren gehen kann. „Der Preis, den das Patriarchat Kirche und Gesellschaft kostet, muss offenkundig werden – nicht nur, dass es für Frauen Unterdrückung und Ausgrenzung impliziert, sondern es bedeutet auch für die Männer die Entbehrung weiblicher Qualitäten als Bereicherung, Ergänzung und Konfrontation. Den subtilen Fallen und Verstrickungen, denen eine patriarchale Kultur unterliegt, auf die Spur zu kommen, wäre die Aufgabe von Männern und Frauen in einer Kirche, die Interesse daran hat, einen Gott zu verkünden, der den Menschen jenseits von Geschlecht, sozialer Stellung und religiöser Herkunft (Gal 3,28) nahe ist“ (Aigner/Bucher 2004, 78). Diesen Gedanken ernst zu nehmen und umzusetzen würde bedeuten, in dieser prekären Situation auch eine Chance zu sehen. Die Praxis wird darüber entscheiden, ob diese Möglichkeit letztlich obsiegen wird (vgl. Bucher 2004c).

      Dabei ist die Frauenfrage ein Zeichen der Zeit. Diese Einsicht wurde erstmals von Papst Johannes XXIII. formuliert.1 Zeichen der Zeit sind keine markanten Phänomene des Verfalls und Niedergangs, sondern Wegmarken, die die Botschaft vom Reich Gottes immer wieder neu herausfordern. Sie bezeichnen spezifische gesellschaftliche Ereignisse und Prozesse, die den Rahmen des Gewohnten sprengen. Sie bezeichnen gefährdete und bedrohte Existenz. Sie decken Zustände auf, in denen die Würde von Menschen und der Schöpfung auf dem Spiel steht. Sie bringen zum Ausdruck, wie es um die Existenz von Menschen und der Welt, in der sie leben, bestellt ist. Zugleich verweisen sie aber auf die Potenziale von Menschen, sich diesen Gefährdungen zu widersetzen (vgl. Wustmans 2000, 325–327).

      „Wer diese Zeichen benennt, wird dazu genötigt, sich mit den Menschen zu solidarisieren, die in diesen Zeiterscheinungen um die Anerkennung ihrer Würde ringen. Wer also auf die Zeichen der Zeit verweist, wird dazu getrieben, im Modus von Solidarität bei diesen Menschen eine alternative Lebensperspektive zu unterstützen oder ihnen eine solche anzubieten. Mit dem Benennen von Zeichen der Zeit werden zum einen Zeichen auf kritische Orte in den realen Lebensverhältnissen des Lebens gelegt wie zum anderen Zeichen für alternative Lebensverhältnisse gesetzt, die im Modus der sprachlich wie tatkräftig ausgeführten Solidarität bereits anwesend sind. Die Zeichen der Zeit und das, was in der Botschaft Jesu das Reich Gottes genannt wird, gehören deshalb zusammen. Es handelt sich um Heterotopien an den Orten, an denen die Menschwerdung von Menschen gefährdet ist“ (Sander 2005b, 868).

      In diesem Sinne ist die Aufgabe, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“ (GS 4, DH 1965, 4304), keine beiläufige und zu vernachlässigende Aufgabe, sondern eine von grundsätzlicher Bedeutung. Die Zeichen der Zeit haben gestaltende Kraft für die Kirche. Erst in der Auseinandersetzung mit ihnen wird die Kirche zur Kirche in der Welt von heute. „Das Handeln der Kirche zeigt, wo sie steht und wer sie ist. An ihren Taten wird gemessen, was sie sagt. […] Ihr Handeln besitzt Offenbarungsqualität im strikten Sinn“ (Klinger 2003, 139).

      Die Zeichen der Zeit fundieren in diesem Sinne die Pastoral und sie sind ein konstitutiver Faktor für die Darstellung des Evangeliums in der Welt von heute. Dabei kommt es darauf an, die Zeichen der Zeit vonseiten der Pastoral zu entschlüsseln und zu einem Paradigma für die eigene Praxis zu machen. Und diese Entscheidung wird nicht folgenlos bleiben. Eine solche Pastoral versteht ihre eigene Berufung und Aufgabe von denen her, die unerhört sind. Und damit stellt sie sich selber, wie die kirchliche Verkündigung überhaupt, vor die unbequeme, aber unausweichliche Frage, ob sie Befreiung ist oder sich der Menschwerdung des Menschen in der Gegenwart verschließt (vgl. Sander 1995, 93). Und so führen die Zeichen der Zeit letztlich auf Christus hin (vgl. Sander 2005b, 839). Angesichts der Zeichen der Zeit ist eine sinnvolle und bedeutsame Verkündigung der befreienden Botschaft vom Reich Gottes in der Welt von heute möglich. Und vor diese Aufgabe stellen die Frauen die Kirche und ihre Pastoral. Wenn die Kirche die Frauen als ein Zeichen der Zeit wahrnimmt, dann folgt daraus ein „Auszug aus altvertrauten Bastionen zugunsten von mehr Beziehung: zu den Frauen, aber auch unter den Männern, zu mehr Gemeinschaft, zu mehr ebenbürtiger Gegenseitigkeit und Identitätsgewinn“ (Aigner/Bucher 2004, 75). Sie fordern die Kirche und die Pastoral heraus, die Zweiheit von den Zeichen der Zeit und dem Evangelium in den Blick zu nehmen und eine Pastoral der Balance zu entwickeln.

      1.1.1 Der Mensch ist zwei – und die Rituale? Eine pastorale Frage der Geschlechterdifferenz

      Die Zweiheit ist eine Kategorie im feministischen Diskurs. Der Mensch ist zwei: Mann und Frau (vgl. Diotima 21993). Ein Faktum, eine Tatsache, die das Leben entscheidend prägt und Männer und Frauen immer wieder herausfordert.2 Das Heikle an der Geschlechterdifferenz besteht gerade darin, dass sie Männer und Frauen gleichermaßen betrifft. Leben aus der Perspektive der Geschlechterdifferenz gestalten bedeutet, gemeinsames Leben auf der Basis der Differenz zu entwickeln. Versuche, mit dieser Differenz umzugehen, finden sich im Patriarchat, im Matriarchat, aber auch in der Frauenbewegung.

      Im Rahmen der Frauenbewegung wird der Diskurs so geführt, dass das Ziel die Gleichstellung zwischen Mann und Frau ist. Im Kontext von Gender-Mainstreaming wird dieses Ziel nun allerorten diskutiert und quasi verordnet (vgl. www.gender-mainstreaming.net, 14. Februar 2011).3 Das Konzept der Gleichstellung von Mann und Frau ist jedoch voller Ambivalenzen und konnte noch immer nicht wirklich realisiert werden, denn es zeigt sich in der Gesellschaft, dass die Frau zwar als ein dem Mann gleiches Subjekt einbezogen wird, aber vielfach wird sie doch als unterlegenes Subjekt betrachtet und behandelt. „Die gleichen Rechte also, für die die Frauen kämpfen, greifen nicht eine Gesellschaft an, die auf der männlichen