Balancieren statt ausschließen. Hildegard Wustmans

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Название Balancieren statt ausschließen
Автор произведения Hildegard Wustmans
Жанр Документальная литература
Серия Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783429060312



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wurden“ (Enzner-Probst 2008, 79).

      Vor diesem Hintergrund definiert Teresa Berger die Frauenbewegung in der Kirche u. a. auch als eine liturgische Bewegung, deren Ziel die „Inkulturation“ der Liturgie in die Lebenswirklichkeit von Frauen ist (vgl. Berger 1990, 55–64).

      Neben der Women-Church sind auch jene Gruppen zu erwähnen, die unter der Bezeichnung „Women-Spirit“ firmieren (vgl. Enzner-Probst 2008, 86). Letztere sind nicht an einer Reform der Institution interessiert, sondern darum bemüht, „ihre Spiritualität als Frauen authentisch“ auszudrücken (ebd.).

      Besondere Impulse gingen in Nordamerika von Starhawk10 und Naomi Goldenberg11 aus, die Psychoanalyse und feministische Rituale zu verbinden suchen. Sie und andere haben den Grundstein für eine kritische rituell-feministische Bewegung gelegt (vgl. Goldenberg 1979; dies. 1988, 165–189; dies. 1986, 39–49; Hunter Roberts 1998, 33–49; Winter 1994; Cady/Ronan/Taussig 1986; Schulenburg 1993). In dieser Bewegung wurde auch die Bindung an eine Göttin stark und kontrovers diskutiert (vgl. Starhawk 1986; dies. 51991, Stone 1976; Adler 1979). Daneben wurden und werden Rituale im Jahreslauf oder entlang des weiblichen Lebenslaufes entwickelt. Darüber hinaus waren und sind die Frauen bestrebt, politisches Engagement und rituelle Praxis miteinander zu verbinden, was sich u. a. im Engagement gegen Atomkraft und Umweltzerstörung und der Friedensbewegung zeigte und zeigt (vgl. Starhawk 2003).

      Andere Frauen hingegen suchten und suchen in der matriarchalen Kultur eine Möglichkeit der Verankerung. Aber es können auch spirituelle Formen und Traditionen, wie etwa aus der indianischen Kultur, aus anderen Religionen, wie dem Buddhismus, der neopaganen Szene, eine Rolle spielen. Mit einer großen Selbstverständlichkeit werden heute Elemente aus ganz unterschiedlichen historischen und geografischen Bereichen verbunden, wobei für die Auswahl die eigene Neigung und die persönlichen Bedürfnisse eine große Rolle spielen (vgl. Pahnke 2000, 225).

      Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die aufgezeigten Gruppen sich im Grunde in zwei Strömungen formieren. „Auf der einen Seite gibt es spirituell und rituell arbeitende Frauengruppen, die trotz aller Defiziterfahrungen an christlich-kirchlicher Tradition festhalten wollen. Sie definieren sich über ein alternatives ekklesiologisches Konzept, sind in der Anfangsphase stark von kirchenreformerischen und befreiungstheologischen Impulsen geprägt und verstehen sich als Women-Church, als Erneuerungsbewegung in der Kirche. Hier liegt die Wurzel der Frauen-Liturgie-Bewegung im engeren Sinn. Frauen, die sich Women-Spirit anschließen, haben dagegen Kirche als einer unreformierbar androzentrischen Institution den Rücken zugekehrt. […] Die Beziehung zur Natur, zum eigenen Körper, zum Symbol ‚Göttin‘ als Ausdruck selbstbestimmter Spiritualität treten an die Stelle ekklesiologischer Verortung. Diese Gruppen können als Teil einer postchristlichen Frauen-Ritual-Bewegung bezeichnet werden. Allerdings sind die Berührungspunkte zwischen beiden vielfältig, die Grenzen fließend. So spielt etwa der Körper in beiden Ausrichtungen von Spiritualität eine zentrale Rolle“ (Enzner-Probst 2008, 87 f.).

      Für die Frauenliturgiebewegung in Deutschland ist zu sagen, dass wichtige Impulse vom bereits erwähnten Weltgebetstag ausgingen. Ein weiterer Impuls war sicherlich auch das II. Vatikanum. Auf einmal war auch die aktive Beteiligung von Frauen in der Liturgie möglich. Jedoch zeigte sich schon bald, dass die in das Konzil gesetzten Hoffnungen sich nicht erfüllten. „Die Frauenliturgiebewegung speist sich deshalb zu einem großen Teil aus der Enttäuschung über nicht realisierte Versprechen, Visionen und Hoffnungen. Im Bewusstsein, selbst Kirche zu sein, begannen Frauen mit eigener liturgischer Praxis, ohne um die kirchliche Erlaubnis zu fragen“ (Enzner-Probst 2008, 113).

      In Bezug auf die Frauenliturgiebewegung in Deutschland ist, im Unterschied zu der in den USA oder den Niederlanden, zu sagen, dass diese von Beginn an und nach wie vor eine basisnahe Bewegung ist. „Frauen, die in der Kirchlichen Frauenbewegung engagiert waren, begannen vielmehr, auf unterschiedliche Weise und an verschiedenen Orten diese neuen Ansätze in die liturgische Gestaltung einzubringen. […] Die lose Vernetzung über jährliche Tagungen (Bad Boll), persönliches Kennenlernen, der Austausch von liturgischen Büchern, Dokumentationen auf Frauenbörsen, der informelle Charakter also einer Bewegung, hat sich bis heute erhalten“ (Enzner-Probst 2008, 116).

      Neben den Frauenverbänden und den Frauenreferaten in den Diözesen sind nicht zuletzt die Zusammenschlüsse von Studentinnen an Hochschulgemeinden ein Ort der liturgischen Praxis von Frauen (vgl. Hojenski/Hübner u. a. 1990; Baumann u. a. 1998). Eine wesentliche Motivation für den Zusammenschluss waren auch hier die Entfremdungserfahrungen der Frauen und so verwundert es nicht, dass nicht zuletzt die Befreiungstheologie wesentliche Impulse beisteuerte (vgl. Enzner-Probst 2008, 118). Daneben gibt es natürlich auch jene Zusammenschlüsse von Frauen, die sich in Liturgiegruppen vor Ort, in der Pfarrgemeinde oder auf regionaler Ebene treffen (vgl. ebd., 123).

      Frauen, die sich für Frauenliturgien interessieren und in das Leben von Gemeinden integriert sind, ringen in ihren Feiern jeweils neu mit der Tradition. Sie sind bestrebt, deutlich zu machen, dass die jüdisch-christliche Tradition nicht auf ihre patriarchalen Aspekte zu verkürzen ist. Sie wollen jene Gesichtspunkte stark machen, die zeigen, dass die jüdischchristliche Tradition gerade auch aus der Verheißung eines Lebens in Fülle (Joh 10,10), in Gerechtigkeit und Erlösung besteht. „Diese Suche ist kein rein kognitives Geschehen, im Gegenteil, feministische Liturgien zeichnen sich durch Kreativität und Sinnenhaftigkeit aus“ (Rieger 1999, 103). Die Kreativität und der Prozesscharakter sind bei den Ritualen und Liturgien der Frauen zentral. „Wenn Frauen sich in der Absicht, Rituale zu feiern, zusammenschließen, geschieht dies aktiv und kreativ. Es ist ein aktives Prozessgeschehen. Rituale feiern bedeutet mehr, als einfach [zu] beobachten oder an einem festgeschriebenen überlieferten Ritual teilzunehmen“ (Northup 1998, 394). Rituale gestalten und feiern unterscheidet sich von dem „zur Messe gehen“, „das Wort hören“, es ist ein erfinderischer Prozess (vgl. Northup 1998, 395). Jedoch ist es schwierig, bisweilen problematisch, Frauenrituale zu definieren, „weil Frauen Rituale in vielen unterschiedlichen Kontexten und nach diversen Mustern durchführen. Frauen feiern Rituale innerhalb institutionalisierter Religionen oder ganz bewusst außerhalb dieser; allein oder in Gemeinschaft; zu Hause oder öffentlich; nach alten Formen oder innovativ. Dennoch, wo immer Frauen sich versammeln, um Rituale zu feiern, benutzen sie gemeinsame Quellen, Bilder und Praktiken, die charakteristisch sind“ (ebd., 391).

      Das Erarbeiten eines Rituals ist ein Akt ritueller Konstruktion, der selbstbewusst beschritten wird“ (vgl. Grimes 1993, 5). In den Gruppen von Frauen, die Rituale und Liturgien gestalten, gibt es eben auch jene, die bewusst und sehr entschieden neue und eigene Wege gehen wollen. Diese feministischen Liturgiegruppen finden sich in christlichen und postchristlichen Zusammenhängen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihr vitales Interesse darin besteht, neue Rituale hervorzubringen. Sie suchen nicht (mehr) nach Möglichkeiten und Formen, in den „alten“ Ritualen ihren Platz zu finden.

      Die Frauenliturgie- und ritualgruppen bewegen sich oftmals am Rand und an den Schwellen der Kirche. So verwundert es nicht, dass z. B. in Deutschland die ersten Frauenliturgiegruppen an Hochschulgemeinden einen Ort gefunden haben. Dieser Ort befindet sich jenseits der „normalen“ Pfarreistruktur und garantiert eine prinzipielle Offenheit für neue Formen und Themen. Andere Gruppen treffen sich in Frauenbildungshäusern und damit ebenfalls an Orten, die einen Schwellencharakter haben. Es handelt sich jeweils um Orte mit Freiraum und eigenen Mustern kirchlicher Repräsentanz (vgl. Grimes 1990, 10).

      Die Erfahrung der Marginalisierung in Kirche und Gesellschaft kann für spirituell interessierte Frauen zum Ausgangspunkt werden, sich einer Frauenliturgie- oder ritualgruppe anzuschließen. Folgende Aspekte sind dabei für Frauenliturgiegruppen kennzeichnend:

      • Es handelt sich um liturgische Feiern von Frauen für Frauen (vgl. Feldmann 1998, 27).

      • Persönliches Angesprochensein ist den teilnehmenden Frauen wichtig und die Feier findet meist in einem kleinen und vertrauten Kreis statt (vgl. ebd., 23).

      • Die Lebensgeschichten und Erfahrungen der Frauen sind zentral und werden zum Ausgangspunkt für die Liturgien (vgl. ebd., 23–25).

      • Das eigene Leben wird in Beziehung zu den anderen Teilnehmerinnen und zu Gott gebracht. Entfremdungserfahrungen werden benannt