Название | Organisationskultur der katholischen Kirche |
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Автор произведения | Paul F. Röttig |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783429063337 |
Aus christlicher Sicht bedeutet „orientieren, wahrnehmen, deuten und handeln“ im Kontext der kirchlichen Kultur gleichzeitig aktive Beschäftigung und passive individuelle und soziale Betroffenheit. Ohne den Wert von Studien minimieren zu wollen muss jedoch festgehalten werden, dass die Mehrzahl wissenschaftlicher Traktate über Organisationskultur von Lehrenden der Organisationswissenschaften und -theorien und Unternehmensberatern verfasst wurden und werden, die von einer Diagnose der Organisationskultur ausgehen, ohne jemals selbst Teil der untersuchten Organisation gewesen zu sein.
Eine Unternehmenskulturanalyse ist zunächst alles andere als einfach, denn sie beinhaltet eine zweifache Herausforderung, die auch in dieser Forschungsarbeit nicht unterschätzt werden darf: Erstens lebt jede Unternehmenskultur im Kontext oft zahlreicher Subkulturen, die nicht immer mit der übergeordneten Kultur in Einklang zu bringen sind. Als Beispiel für ein solches Auseinanderklaffen von Kulturen wären die unterschiedlichen Charaktere eines Ordens und der Diözese, in der er wirkt.195 Und zweitens manifestiert sich keine Kultur eines sozialen Gefüges als klar ersichtliches, exakt umrissenes und vielleicht sogar quantifizierbares Bild, sondern ist gefordert, aus vielen Einzelelementen ein qualitatives Spiegelbild und somit eine (für einen Dritten) verständliche Aussage zu erarbeiten, die allerdings „sicher ein intuitives Moment nicht ausschließen läßt“.196 In anderen, die vorliegende Studie betrachtenden Worten: Die Beschäftigung eines engagierten Kirchenmitglieds mit der Organisationskultur der Kirche bringt gewiss Vor-, aber auch Nachteile mit sich: einerseits ein gewisses Insiderwissen, andrerseits aber das Faktum, dass ein wertneutraler „Objektivismus“ selbst bei professionellen Beobachtern fast nicht möglich erscheint. Ein unabhängiger, also ein strikt neutraler Standpunkt im Diagnoseprozess einer Organisation ist extrem schwierig zu erreichen, denn jeder noch so wissenschaftlich orientierte Fachmann wird mit seinen persönlichen Wertvorstellungen, Denkschemata und Verhaltensweisen an die Aufgabe herangehen. Bewusst und noch mehr unbewusst unterlegte Hypothesen können die Objektivität einer Kulturanalyse belasten. Die Gefahr besteht sowohl in einer Identifikation mit der untersuchten Kultur als auch in einer gezielten Distanzierung.
Die im Kapitel 6 „Kulturanalyse zweier österreichischer Diözesen“ dargestellten Ergebnisse einer exemplarischen Befragung von Mitarbeitern und Gläubigen stützt sich auf die langjährige Erfahrung mit solchen Prozessen in der säkularen Wirtschaft und in karitativen Institutionen, von denen einige der Kirche angehören oder dieser sehr nahe stehen. In solchen Befragungen ging es nie um eine Wertung im Sinne einer organisatorischen Kultur-Exzellenz, sondern stets um die Orientierung aller Stakeholder, das Unternehmen auf seinem Weg zum strategischen Ziel effizient und effektiv zu begleiten. Eine solche qualitative Intention liegt auch der empirischen Erfassung der Unternehmenskultur zweier österreichischer Diözesen zugrunde.
2.2.3 Kirche – eine Gesellschaft mit hierarchischen Organen
Aber, so stellt sich die Frage, kann und darf die eine Kirche Jesu Christi wirklich als Organisation bezeichnet werden – auch wenn die Kirchenkonstitution Lumen gentium im Zweiten Vatikanischen Konzil die irdische Kirche als sichtbare, also soziale Versammlung (LG 8) definiert hatte? Bei seiner morgendlichen Predigt in der Kapelle des Hauses Santa Marta griff Papst Franziskus einmal die Turbulenzen um die Vatikan-Bank IOR auf und meint, dass die Kirche „ihre wesentliche Substanz verliert“,197 wenn sie sich in ihrem Verhalten und ihren Aktivitäten als Organisation definiert. Ob der Papst mit diesen Worten der Kirche menschliche und soziale Werte absprechen möchte, die in jeder Organisation, in der Menschen zusammenarbeiten, zum Tragen kommen, oder ob er mit der Bezeichnung Organisation vielleicht doch eher mafia-verwandte Strukturen meinte, muss offen bleiben. Beides ist denkbar, aber aus dem theologischen Verständnis des Konzils, und hier vor allem der Kirchenkonstitution, bietet sich doch eher eine hermeneutische Eingrenzung dahingehend an, dass der Kirche, die „geheimnisvoller Leib Christi“ ist, als einer „mit hierarchischen Organen ausgestatteten Gesellschaft“ (LG 8) kaum das Wesensmerkmal einer Organisation abgesprochen werden kann.
Um potentiellen, sowohl angestrebten oder aber auch unbewussten Fehlinterpretationen aus dem Weg zu gehen, sei hier jedoch der Versuch gewagt, die vielleicht zu sehr auf eine weltliche Institution bezogene und damit eingrenzende Begriffsbezeichnung „Organisationskultur“ im Kontext der Kirche Jesu Christi präziser zu formulieren. Zudem könnte die Begrifflichkeit „Organisationskultur“ zur Betrachtung einer eindimensionalen, d.h. der sichtbaren Fassade der Kirche verleiten. Um der ungeteilten komplexen Wirklichkeit der Kirche nach Lumen gentium gerecht werden zu können, sollte demnach der in der Betriebswirtschaft wurzelnde Ausdruck „Organisationskultur“ für die Kirche präziser und somit auch unmissverständlicher gefasst werden.
Um diese Spannung lösen zu können, bedarf es der Reflexion auf die Sendung der Kirche in der Welt. „Man wird den ganzen Fragen nur gerecht, wenn man die Botschaft von der Gottesherrschaft als die Mitte der Verkündigung Jesu darstellt“, schreibt Kardinal Karl Lehmann schon 1982, damals noch nicht Bischof, und fügt hinzu: „Jesus sieht die endzeitliche Gottesherrschaft als das Heil an, das schon jetzt das ganze Denken und Handeln des Menschen bestimmen soll.“198 Es geht also keineswegs um eine Vertröstung auf das jenseitige Reich Gottes, sondern um die Verkündigung der Frohen Botschaft, dass Gottes Herrschaft schon hier auf Erden Möglichkeit hat zu keimen und zu wachsen, aber noch nicht zur vollen Blüte kommen kann.
Jede soziale Organisation oder Institution, ob wirtschaftlich, karitativ, wissenschaftlich oder religiös gesehen, baut in und um sich neben der Organisationskultur
(1) eine Strategie, also einen „genauen Plan des eigenen Vorgehens [auf], der dazu dient, ein militärisches, politisches, psychologisches, wirtschaftliches o.ä. Ziel zu erreichen, und in dem man diejenigen Faktoren, die in die eigene Aktion hineinspielen könnten, von vornherein einzukalkulieren versucht“199; und
(2) eine Struktur, die die „Anordnung der Teile eines Ganzen zueinander“ regelt, etabliert einen gegliederten Aufbau, also eine innere Gliederung des Handelns, und ein „Gefüge, das aus Teilen besteht, die wechselseitig voneinander abhängen; [also ein] in sich strukturiertes Ganzes.“200
Die Organisation der Kirche und ihrer nahestehenden Organisationen, die mit ihr direkt oder indirekt verbunden sind, unterscheidet sich in diesem organisationstheoretischen Sinn nicht von anderen Organisationen, auf die diese zitierten Definitionen Bezug nehmen.
72 Siehe Kap. 6., Kulturanalyse zweier österreichischer Diözesen.
73 Vgl. Soares-Prabhu, Biblical Themes, 16-25.
74 Vgl. ebd., 16.
75 Vgl., ebd., 16. Als indischer Jesuit hat Soares-Prabhu aus den letzten Jahrhunderten christlicher Missionsarbeit gelernt und sieht heute die Fehltritte vor allem evangelikaler Missionare sehr klar, ohne allerdings Vertreter großer christlicher Gemeinschaften und selbst die katholische Kirche von solchen zweifelhaften Missionspraktiken auszuschließen.
76 Vgl. Soares-Prabhu, 18-19.
77 Soares-Prabhu, Biblical Themes, 20: „Because living out Christian life properly is already mission, the Sermon on the Mount, which marks out the contours of Christian living, becomes a strategy for mission!” [Übersetzung des Verfassers].
78 Siehe Kap. 5, Sechs Dimensionen einer kirchlichen Organisationskultur.
79 Vgl. Soares-Prabhu, 21-23.
80 Ebd.: „[…] and not just of a mother Teresa in it“ [Übersetzung des Verfassers].
81 Vgl. Eucharistiefeier