Название | Philosemitische Schwärmereien. Jüdische Figuren in der dänischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts |
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Автор произведения | Katharina Bock |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Beiträge zur nordischen Philologie |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783772001352 |
Der ‚ewige Jude‘ Ahasverus wird IngemannIngemann, Bernhard Severin noch einmal beschäftigen. 1833 erscheint sein umfangreicher (immerhin 237 Seiten umfassender) Gedichtzyklus Blade af Jerusalems Skomagers Lommebog [Seiten aus dem Notizbuch des Schuhmachers von Jerusalem] als eine Art lyrisches Reisetagebuch des ‚ewigen Juden‘. Als Unzugehöriger, der durch alle Länder und die Jahrhunderte wandert, wird er in der Rezeption des Zyklus als Verkörperung des autoreigenen „Fremmedfølelsen [Fremdheitsgefühls]“ (Akhøj Nielsen 2001–2017) in seiner Gegenwart begriffen. „Et karakteristisk udtryk for denne stemning […] er hans identifikation med Ahasverus i digtkredsen [Ein charakteristischer Ausdruck dieser Stimmung ist seine Identifikation mit Ahasverus im Gedichtzyklus]“ (Minke 2008). Wie Ahasverus als Identifikationsfigur nicht nur für Ingemann, sondern für den suchenden Dichter generell literarisch fruchtbar gemacht werden konnte, soll im folgenden Exkurs anhand eines weiteren Textes von AndersenAndersen, Hans Christian dargestellt werden (vgl. auch Thing 2001: 123–162).
2.8 Exkurs II: Hans Christian Andersen: Fodreise (1829)
Nur kurze Zeit nach der Veröffentlichung von IngemannsIngemann, Bernhard Severin Novelle erschien Hans Christian AndersensAndersen, Hans Christian (1986) Debütroman Fodreise fra Holmens Canal til Østpynten af Amager i Aarene 1828 og 1829 [Fußreise vom Holmenkanal zur Ostspitze von Amager in den Jahren 1828 und 1829], kurz Fodreise. Der junge Dichter, aus dessen Perspektive der Roman erzählt ist, begibt sich auf einer „Fußreise“ auf die Suche nach literarischem Stoff. Voller Witz und Ironie verwebt Andersen eine schier unüberschaubare Zahl literarischer Motive zu einem Spaziergang durch die Silvesternacht 1828 auf 1829.1 Dabei promeniert der Erzähler nicht nur vom Holmens Kanal zur Ostspitze von Amager – was ein durchaus überschaubarer und unspektakulärer Fußmarsch von nur knapp 3km Länge ist (vgl. Kramer 2013: 39) –, sondern er spaziert vielmehr durch die gesamte „deutsche Literatur um 1800, sei sie stürmerisch und drängerisch, klassisch oder romantisch – oder trivial“ (Øhrgaard 2010: 92).2 Als eine von vielen bekannten Figuren der Literaturgeschichte begegnet dem Erzähler auf seinem Spaziergang durch eine Silvesternacht auch Ahasverus. Dieser ist mit seinen Hundertmeilenstiefeln unterwegs durch die Welt und überlässt dem Erzähler für einen kleinen Kurztrip durch Europa seine Wunderschuhe. In der Begegnung mit Ahasverus und dessen Schuhwerk lässt sich als literarisches Vorbild unverhüllt Adelbert von ChamissosChamisso, Adelbert Peter Schlehmils wundersame Geschichte [1814] (2010) erkennen, denn, so erzählt Ahasverus seinem jungen Zuhörer, als er die alten Stiefel einmal zu Reparatur gegeben habe, „blev de forbyttede og før jeg mærkede Feiltagelsen var de allerede solgt til en Peter Schlemil [sic!], hvis ‚vundersame Geschichte‘ Chamisso har meddeelt Læseverdenen [wurden sie vertauscht, und ehe ich den Fehler bemerkte, waren sie bereits an Peter Schlehmil verkauft, dessen ‚wundersame Geschichte‘ Chamisso der Lesewelt mitgeteilt hat]“ (Andersen 1986: 69). Erst kürzlich habe er sie zurückerhalten. Damit zeigt sich die Verwandtschaft des Ahasverus auch mit phantastischen Motiven. Die Schuhe, die, ob nun sieben oder 100 Meilen, jedenfalls eine enorme Stecke mit einem einzigen Schritt überbrücken können, sind beispielsweise auch in Wilhelm HauffsHauff, Wilhelm Märchen Die Geschichte vom kleinen Muck [1826] (2011) ein Motiv.3 GoethesGoethe, Johann Wolfgang von Mephisto nutzt einige Jahre später in Faust II [1832] (2008) ebenfalls die magischen Stiefel zur schnellen Fortbewegung. So fügt die Ahasverus-Episode in Andersens Fodreise dem ohnehin schon legendären Motiv des ewig umherwandernden Juden durch die Hundertmeilenstiefel noch eine zusätzliche magische Komponente hinzu, die außerdem eine Verbindung zum Teufel andeutet und daher auch die Gefahr von Fluch und Verdammnis in sich birgt. Der junge Dichter seufzt, dass der literarische Stoff ihm ausgehe und freut sich über die unverhoffte Begegnung mit Ahasverus und dessen reichen Vorrat an Erzählungen, denn
„Satan, som nu er saadan en allerkjæreste person i et Eventyr, har været meer end nok i Verden, selv hans Papirer ere udkomne. Faust har baade GoetheGoethe, Johann Wolfgang von, LessingLessing, Gotthold Ephraim, Mahler Müller og Klinger havt Fingre paa, saa jeg veed ingen heldigere Person end Dem. Ak! hvo der dog havde Deres Erfaring […].“ (AndersenAndersen, Hans Christian 1986: 68)
„Satan, der nun so eine allerliebste Person in einem Märchen ist, war mehr als genug in der Welt, selbst seine Schriften sind erschienen: GoetheGoethe, Johann Wolfgang von, LessingLessing, Gotthold Ephraim, Mahler Müller und Klinger hatten alle ihre Finger am Faust, ich kenne also keine besser geeignete Person als Euch. Ach! wer doch Eure Erfahrung hätte.“
Ahasverus jedoch hat keine Freude an seinem Erfahrungsschatz, denn er hat keine Aussicht auf Erlösung, und somit hat seine Rastlosigkeit auch kein Ziel. Er muss, so Körte, „wandern, muss passiv seine Mission erfüllen und ist durch sein wahllos bewahrendes Gedächtnis allwissend und daher ohne Neugier“ (Körte 2006: 45). Nun jedoch, in AndersensAndersen, Hans Christian phantastischem Roman über die literarische Suche eines jungen Dichters, bilden der alte Ahasverus und der junge Dichter für einen Moment eine Gemeinschaft der Ruhelosen.4 Ahasverus, der so viel schon gesehen hat, wird für den Moment zum literarischen Vorbild, zur Identifikationsfigur des suchenden Poeten und stellt dabei einen „Stimulus im Sinne einer (die Vorstellung von Entwicklung) beunruhigenden und gleichzeitig anregenden Instanz“ dar (Körte 2000: 321). Seine Stiefel will der junge Dichter leihen, „blot een Time vilde jeg laane dem for i denne med store Skridt at vandre gjennem Verden og samle Stof til det interessanteste Capitel i hele min Fodreise [nur eine Stunde wollte ich sie leihen, um in ihnen mit großen Schritten durch die Welt zu wandern und Stoff für das interessanteste Kapitel in meiner ganzen Fußreise zu sammeln]“ (Andersen 1986: 69). Und da nicht nur Ahasverus für den Dichter interessant ist, sondern auch umgekehrt der