Название | Der Große Nordische Krieg 1700–1721 |
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Автор произведения | Stephan Lehnstaedt |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Reclam – Kriege der Moderne |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783159618760 |
Der aggressiven strategischen Ausrichtung, der auch die vielen Kavallerieregimenter dienten, entsprach die Bewaffnung der Soldaten. Sie unterschied sich in wesentlichen Dingen von der anderer europäischer Armeen: Jeder Infanterist führte ein Schwert mit sich, das er im Angriff nutzte. Es war den ansonsten üblichen Musketen mit ihren Bajonetten im Nahkampf überlegen und passte hervorragend zu einer Taktik, die Verluste in Kauf nahm, um entscheidende Siege erringen zu können: Anstatt auf Feuergefechte setzten KarlKarl XII., König von Schweden und seine Generale auf das direkte Aufeinandertreffen der Soldaten.
Die Blankwaffe spielte im Kampf eine herausragende Rolle. Kolorierte Kreidelithographie mit dem Titel Karl XII. Karl XII., König von Schwedenvon Schweden stürmt die dänische Küste, 1832
Ganz ähnlich sah es bei der Kavallerie aus. In Europa war der letzte taktische Schrei im Kampf mit anderen berittenen Einheiten das Karakolieren – die Männer stürmten mit ihren Pferden auf die gegnerischen Reiter zu, feuerten aus kurzer Entfernung ihre Pistolen und drehten dann ab. Wurde das Manöver von gut ausgebildeten Kavalleristen [30]ausgeführt, bot sich ein eindrucksvolles Schauspiel, das aber vergleichsweise wenig durchschlagkräftig war, schlicht weil die damaligen Pistolen selbst aus geringer Distanz – zumal wenn vom Pferderücken aus geschossen wurde – wenig Schaden anrichteten. KarlKarl XII., König von Schweden verringerte während des Krieges die Zahl seiner derart ausgestatteten Kürassiere deutlich. Stattdessen bevorzugte er Dragoner, die anstelle von Pistolen Musketen mit sich führten; zum Schießen mussten sie allerdings absitzen, sodass sie eher als eine Art berittene Infanterie dienten. Außerdem verzichteten die Schweden auf das Karakolieren und setzten auf den Angriff mit der Blankwaffe, der auf beiden Seiten zu deutlich höheren Verlusten führte.
Zu diesem Vorgehen passte der weitgehende Verzicht auf Artillerie. Die damaligen Kanonen mit relativ geringer Reichweite bei hohem Gewicht waren für den schnellen Vormarsch auf einem Schlachtfeld nicht geeignet und wurden von KarlKarl XII., König von Schweden daher kaum eingesetzt. Deshalb warb er Kanoniere als Söldner an und nutzte schwere Geschütze hauptsächlich bei Belagerungen. Dieser waffentechnische Pragmatismus setzte sich bei der Infanterie fort: In den Kompanien trug üblicherweise ein Drittel der Männer Piken – weniger für den Nahkampf als zur Abwehr von Kavallerieangriffen. Zum Austausch vieler veralteter Luntenschlossmusketen kam es erst im Laufe des Krieges, als mit diesen bereits eindrucksvolle Siege eingefahren worden waren. Pikanterweise ließ KarlKarl XII., König von Schweden 1703 auf der Leipziger Messe moderne Steinschlossmusketen im sächsischen Suhl ordern – sehr zum Ärger AugustsAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen, dessen eigene Aufträge von seinen geschäftstüchtigen Untertanen einfach zurückgestellt wurden; freilich ließ er immer wieder Lieferungen für seinen Kriegsgegner beschlagnahmen.
Nicht zuletzt verweigerten sich die Schweden den mitteleuropäischen Konventionen hinsichtlich ihrer Uniformen, die so gar nicht der Barockmode entsprachen. Aber die blauen Wollmäntel mit gelbem Futter und Kupferknöpfen waren nicht nur kostengünstig und wenig prunkvoll, sondern vor allem warm und im Norden dementsprechend nützlich – genau wie die Zipfelmützen, die meist anstelle schicker Dreispitze auf den Köpfen saßen.
All dies entsprang weniger der Ablehnung der aktuellen Konventionen als vielmehr der nüchternen Einsicht in die eigenen Stärken und Schwächen. Und die Schweden nahmen die jüngsten militärischen [31]Entwicklungen auf dem Kontinent durchaus wahr: Zwar erfreute sich das Land seit 1679 weitgehend friedlicher Zeiten, aber gerade deshalb waren die Offiziere gezwungen, ihr Geld im Ausland zu verdienen und dort Erfahrungen zu sammeln. Der spätere Feldmarschall Carl Gustav RehnskiöldRehnskiöld, Carl Gustav (1651-1722) etwa diente in der niederländischen Armee – und kehrte wie viele seiner Kollegen bei Kriegsbeginn 1700 in die Heimat zurück: Wie die Soldaten selbst war auch das schwedische Offizierskorps loyal und homogen.
Die Armeen von Sachsen und Polen
Sachsen hatte den Großen Nordischen Krieg am 12. Februar 1700 eröffnet, als eine Armee von 14 000 Mann unter General Jacob von FlemmingFlemming, Jacob Heinrich Reichsgraf von von Polen aus nach Livland einmarschierte, die Stadt Dünamünde eroberte und in Augustusburg umbenannte, woraufhin sie mit der Belagerung von Riga begann. Der König traf im Juni mit weiterer Verstärkung persönlich ein, überließ die eigentliche Kriegführung aber seinen Untergebenen. Zwar hatte er vor seiner Inthronisation in den Türkenkriegen 1695 selbst kaiserliche Truppen in Ungarn kommandiert, doch dabei keine entscheidenden Erfolge erzielen können. Als Kurfürst und König übernahm er nur gelegentlich den Befehl über einzelne Einheiten, sah sich selbst aber viel eher als Regent denn als Feldherr.
Ein Interesse am Militär, das sein wichtigstes außenpolitisches Instrument darstellte, hatte AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen gleichwohl. Er war Innovationen oder Reformen gegenüber aufgeschlossen und scheute für seine Soldaten keine Kosten. Das diente nebenbei der Repräsentation und entsprach ganz dem Stil dieses barocken Herrschers: Nachdem die Bekleidung der einzelnen Regimenter bis 1696 den jeweiligen Kommandeuren überlassen gewesen war, führte AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen einheitliche, prächtige Uniformen ein, nicht zuletzt als Ausdruck der wirtschaftlichen Stärke seines Kurfürstentums, denn das Einfärben der Stoffe verschlang viel Geld.
AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen führte einheitliche, prächtige Uniformen ein – nicht zuletzt ein Zeichen wirtschaftlicher Stärke. Sächsische Truppen aus der Zeit des Großen Nordischen Krieges
Ebenfalls in diesem Jahr – früher als in Schweden – begann die Umstellung von Lunten- auf Steinschlossmusketen, die in Suhl gefertigt wurden. Bis 1711 lieferten die dortigen Werkstätten über 80 000 Gewehre und 6000 Pistolen, die allerdings teilweise nach Polen weitergereicht wurden. Die Waffen zeichneten sich anders als heutige Fabrikate [32]durch ihr großes Kaliber von bis zu 18,8 Millimeter aus und töteten weniger durch die Geschwindigkeit ihrer Geschosse als vielmehr durch deren schiere Masse. Die Patronen waren aus Papier gefertigt, in dem das eigentliche Geschoss – jeder Infanterist führte, wie bei den Schweden, zwischen 24 und 36 Schuss mit sich – und das Pulver enthalten waren. [33]Die Soldaten setzten die Munition nach Bedarf selbst im Feld zusammen und erreichten dabei eine erstaunliche Produktivität: Allein im Juli 1702, kurz vor der Schlacht bei Kliszów, stellten sie fast 300 000 Patronen her. Damit war es jedoch nicht getan, denn vor dem Schuss mussten die Männer auf die Gewehrpfannen nochmals extra Pulver geben, das sie in kleinen Fläschchen mit sich führten.
Das sächsische Heer bestand aus klassischen Berufssoldaten, die größtenteils mit den althergebrachten Mitteln angeworben oder befreundeten Fürsten abgekauft wurden – üblicherweise ganze Regimenter, wobei der Preis je nach Mannschaftsstärke und Ausrüstung unterschiedlich ausfiel; diese Einheiten mussten dann für mehrere Jahre für Sachsen kämpfen. AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen hatte außerdem einige Söldner in seinen Diensten, die insbesondere aus der Schweiz und aus Frankreich stammten. Ihnen gestand man ihre eigenen Gebräuche und Gerichtsbarkeit zu, sie waren also nicht vollständig in das Heer integriert. Ein kleinerer Teil der Armee, die im Jahr 1700 insgesamt 26 500 Mann zählte, war im Kurfürstentum rekrutiert worden, aber dazu benötigte AugustAugust, Kurfürst von Sachsen, als August II. König von Polen die Zustimmung der Stände, die oft Widerstand leisteten: Ganz generell fiel es im prosperierenden Sachsen schwer, auf menschliche Arbeitskräfte zu verzichten. Doch wegen des ungünstig verlaufenden Krieges musste immer wieder auf diese unpopuläre Maßnahme zurückgegriffen werden, um die steigenden Verluste zumindest annähernd auszugleichen. Bis 1711 wurden so schätzungsweise 16 000 Mann neu in die Armee eingezogen. Der Anteil der Untertanen in der sächsischen Armee wuchs auf etwa 90 Prozent, damit blieb Sachsen kaum hinter Schweden zurück.
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