Название | Sklaverei |
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Автор произведения | Michael Zeuske |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Reclam Taschenbuch |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783159613093 |
Gab es nur wenige Sklaven von außen, blieb es bei der inneren Statusdegradierung. Die versklavten Menschen blieben trotz des niedrigen Status real immer noch Mitglieder der jeweiligen Gruppe oder Gesellschaft, sie waren keine Fremden und trugen »nur« das zeitweilige Stigma der niederen Stellung in der jeweiligen sozialen Hierarchie und Ordnung. In anderen Fällen wurden sie von Eliten bzw. vom Staat in festumrissenen Termini als Sklaven definiert und in der Realität als solche behandelt, oft auf sehr grausame Weise. Sklaverei war in diesen Fällen nicht oder wenig institutionalisiert. Diese Sklavereien vor allem von Frauen und Kindern existierten und existieren überall auf der Welt, aber in sehr lokalen Ausprägungen – was sich meist in einer Vielfalt von »Namen« der jeweiligen Sklavereien ausdrückt. Als Anlass für die Integration Fremder und den Übergang zu auch äußerer Statusdegradierung gilt das Interesse, die eigene Kommunität zu stärken und zu vergrößern, verbunden auch mit internen Kämpfen um Machtpositionen. In einer nächsten Stufe, bei Staatsbildungen, Territorialkonflikten, Verschleppungen, Razzien, Migrationen, Expansionen oder Konflikten mit anderen oder weiter entfernten Gruppen (meist im Zuge der historischen Entstehung und Entwicklung militärisch-monarchischer Regimes, den »Imperien«), kam es zu immer massiveren Statusdegradierungen der von außen in die Gemeinschaft Verschleppten bzw. der eroberten Gruppen und Gesellschaften, meist gebunden an die »Herkunft« oder das Herkunftsgebiet der Versklavten oder Verschleppten.
Die Hauptmotivation dürfte der Versuch gewesen sein, die von außen in eine bestimmte Gemeinschaft gekommenen Menschen von ihrer Herkunftsgruppe (»Vorfahren«, »Ahnen«, Genealogie) zu trennen. Je mehr Menschen per Zwang und Gewalt von außen in eine Gruppe oder Gesellschaft kamen, desto mehr wurden diese Menschen wegen ihrer »ahnenlosen« sowie verwandtschaftslosen Herkunft oder wegen bestimmter Merkmale stigmatisiert – visuell, nach ›Farben‹, sprachlich, räumlich, religiös oder biologisch (»Tiere«; Herkunft aus Tier-/Mensch-Verbindungen)43 – schließlich auch sichtbar als Körpermarkierung in Ritualen. Diese markierte »Fremdheit«, die Stigmatisierung des ganz »Anderen«, ist also eine ganz archaische Dimension aller Sklavereien.44
Die meisten Sklavereiforscher, vor allem die der modernen Geschichte (drittes Sklaverei-Plateau), gehen davon aus, dass härteste Routinetätigkeiten auf Feldern, im Bergbau, im Transport oder im Bau sowie niedere Dienste in Häusern die Realität des Lebens von fast allen Versklavten prägten. Es gibt hunderte, möglicherweise tausende Arten von realer Arbeit. Versklavte erledigten meist die schlechten, schmutzigen, ekligen sowie extrem schweren Arbeiten, oftmals mit der immer gleichen Routine bzw. Langeweile. Dazu kamen Tätigkeiten, die mit Tod, Blut, Schmutz, Ekel und Entwürdigung zu tun hatten oder körperlichem Ausgeliefertsein – Letzteres mussten zumindest zeitweilig auch Eliteversklavte (Mamluken oder Frauen und Mädchen für Harems) über sich ergehen lassen. Deshalb gibt es heute in Brasilien eine Debatte über »Sklavenarbeit« (ohne legal ownership). In den Zeiten vor dem dritten Plateau wird meist darauf verwiesen, dass Versklavte unterschiedlichste andere Tätigkeiten und Dienstleistungen verrichten mussten oder Elitesklaven waren, die oft mit Krieg und Tod, unbeliebten Exekutivaufgaben oder körperlichen Diensten zu tun hatten. Aber auch die Versklavten prähistorischer Zeiten, vor allem Frauen und Kinder, mussten niedere Arbeiten (menial works) und eklige Dienste leisten oder mit Tod, Blut, Abfall, Unrat oder Reinigung umgehen. Meist hatten sie auch keine Kontrolle über die Dauer der Arbeiten oder Dienste.
Sklavenarbeit sowie lange und/oder unregelmäßige Arbeitszeit, Überarbeitung sowie bestimmte Formen der Ernährung (»Sklavenessen«) wirken sich auf Körper, Gesundheit und Psychen von Versklavten aus. Zum Glück ist nie in der bisherigen Geschichte über so viele Generationen Sklaverei ausgeübt worden, dass neue Menschengattungen entstanden wären. Stattdessen hat es immer wieder Rebellionen, Widerstand, Revolutionen, Systemzusammenbrüche und Niedergänge von Imperien gegeben. Sklavereien haben sich zudem weltgeschichtlich in ganz kleinem Umfang, d. h., in kleineren Gruppen unterhalb der Ebene von Staat oder Ähnlichem, in den letzten 20 000 Jahren eher opportunistisch entwickelt. Das bedeutet, dass Sklavereien »ohne Institution« meist nur auf die in diesem Status lebende Person bezogen und nicht generationsübergreifend waren. Das bedeutet aber auch, dass informelle Sklavereien immer wieder entstehen.
Quellen über institutionalisierte Sklavereien haben wir in schriftlicher Form seit um 2000 v. Chr., materielle Quellen, die mit den Ideen von Fernhandel und Elitenetzwerken verbunden sind, schon seit der Bronzezeit (Beginn um 4000–3000 v. Chr.). Zugleich spielt die aus Vergleichen gewonnene Idee eine wichtige Rolle, dass Jäger und Sammler wirklich extrem opportunistisch Versklavung einzelner Individuen (Frauen, Kinder, Fremde) betrieben. Versklavte stellten in der (kleinen) Gruppe noch eher eine Belastung dar. Größere Gewaltinfrastrukturen und Nachfrage nach dauerhaft Versklavten entstanden überhaupt erst mit Bodenbau, Viehhaltung und festen Häusern (auch Paläste, Tempel und Jurten), d. h. im Laufe des Neolithikums, einigermaßen sicher wahrscheinlich, wie gesagt, in der jeweiligen Bronzezeit.
Auch wenn sich viele Texte über Versklavte mit Widerstand, Rebellionen oder Formen von institutionalisierter Sklaverei beschäftigten, wurde die absolute Masse der Versklavten im Laufe der gesamten Welt- und Globalgeschichte zu Sklavenarbeit und Sklavendiensten gezwungen. Der Großteil dieser Versklavten wird in dieser langen Zeit seit vor 20 000 Jahren eher opportunistisch erworbene Sklavinnen »ohne Institution« gewesen sein (wie es die Masse der dem Sklavenstatus zum Opfer fallenden Menschen auch heute wieder ist). Und die einzelnen institutionalisierten Sklavereisysteme und -gesellschaften existierten meist nur auf mittlere historische Epochendauer (300–500 Jahre). Sklavenhalter konnten innerhalb dieser Systeme und Wirtschaftsordnungen trotzdem, je mehr Macht sie hatten und je niedriger der Status ihrer Untergebenen war, Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit der Versklavten bestimmen.
Mit der mutterrechtlichen Regelung »Sklavenbauch gebiert Sklaven«, die einige der wichtigsten Sklavereigesellschaften des zweiten und dritten Plateaus prägte, konnten die Bestimmung für bestimmte Arbeitsbereiche und der Status sozusagen für immer und ewig im Sklavereirecht festgeschrieben werden. Das Kriterium der faktisch unbegrenzten Arbeitszeit scheint mir ein sehr starkes zu sein – und natürlich ein extrem umstrittenes (weil Arbeitszeit ein grundlegendes Element jeder Wirtschaft ist – bis heute).45
Es ist erstaunlich, wie nachhaltig Sklaverei und Sklavenexistenzen aus der Erinnerung vor allem Mitteleuropas verdrängt worden sind (zu den Diskurs- und Medienpraktiken dieser Verdrängung siehe das Kapitel »Kein Ende nach dem Ende«). Ich will diese Einführung mit zwei etwas gewagten Thesen beenden, die aber vieles über die Schwierigkeiten sagen, Sklaverei aus heutiger Perspektive, d. h. samt der vielfältigen »modernen« Sklavereien, zu definieren.
Erstens: Keine und keiner von uns, einschließlich des Autors, ist in der Geschichte seiner Vorfahren mit globalhistorischen Sklavereiformen nicht in Berührung gekommen – in der absoluten Mehrheit waren das Versklavte oder Leibeigene. Oder glaubt jemand wirklich, seine Vorfahren waren Prinzessinnen, strahlende Ritter oder Könige »ohne Leibeigenschaft oder Versklavung«? Selbst diejenigen, die behaupten würden, ihre Vorfahren seien keine Versklavten gewesen, wie Adlige oder die heute wieder in den Medien so beliebten royals, sollten sich ihre Familienchroniken mit kritischer Distanz anschauen. Die ersten Vertreter einer