Название | Eure Liebe |
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Автор произведения | Sylke Richter |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Systemische Therapie |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783849782627 |
Bleiben wir bei dem oben genannten Fallbeispiel. Für den Mann stand das Thema Sexualität an oberster Stelle, für die Frau waren es andere Themen. Sie möchte mehr gemeinsame Zeit mit ihm verbringen. Beide haben einen vollen Alltag und leben in getrennten Wohnungen. Sie sehnt sich nach mehr Zeit ohne Sex. Reden, kochen, ins Kino gehen. Sie wünscht sich, dass sie besser streiten können, ihr Mann soll empathischer sein. Er hat später noch dazugeschrieben, dass sie ihn nicht immer mit Rückzug und Schweigen bestrafen soll. Sie soll mit ihm reden, statt zu schmollen.
Auch wenn da zwanzig Zettel liegen sollten, muss das Paar ins Gespräch darüber kommen, womit sie beginnen möchten. Das ist dann wieder das Gemeinsame: Womit fangen wir an?
An dieser Stelle hilft es zu betonen, dass es keine Rolle spielt, mit welchem Thema begonnen wird, da sowieso alles miteinander zusammenhängt. Das entspannt die meisten. Ermutige sie, nicht mit dem brisantesten Thema anzufangen. Sie könnten sich auch an den Händen fassen und blind auf einen Zettel tippen. Es liegt an uns, den Prozess zu rahmen und die Bedeutung des ersten Themas zu relativieren.
Wenn es, wie im Fallbeispiel, so klar benannt wird, dass das (für den Mann) wichtigste Thema erst in der fünften Stunde besprochen werden soll, frag nach. »Herr A., wie ist das für Sie, wenn Ihr Thema erst in der fünften Stunde besprochen wird?«
»Ich kenne das schon«, sagte er. »Eigentlich will meine Partnerin nie darüber reden, deshalb bin ich schon froh, dass sie überhaupt eingewilligt hat. Von mir aus auch in der fünften Stunde.« Ich kann nun entscheiden, ob ich das als Einigung belasse oder weiterfrage.
Als ich zu ihr schaue, sehe ich, wie weich sie ihren Partner nach seiner Antwort anschaut, und entscheide mich, das Weiche zu verstärken. Zu Herrn A. gewandt. »Können Sie das, was Sie mir gerade gesagt haben, noch einmal direkt Ihrer Partnerin sagen?« Es fällt ihm sichtlich schwer, doch dann traut er sich. Räuspert sich und sucht ihren Blick. »Bienchen, eigentlich willst du nie über unsere Sexualität reden, deshalb bin ich froh, dass du überhaupt mitgekommen bist, und fünf Stunden habe ich nun auch noch Zeit.« Die Luft knistert und so wie er ihren Kosenamen, Bienchen, ausspricht, schwingt da sehr viel Zärtlichkeit mit.
»Danke, Martin«, bringt sie leise hervor und knetet ihre Hände, bis die Knöchel weiß sind.
Sobald es die Möglichkeit gibt, die Menschen in einen ehrlichen Kontakt zu bringen, nutze die Gelegenheit. »Bring sie in Kontakt!«, war der meist gesagte Satz meiner alten Mentorin. »Lass dir was einfallen, aber bring sie wieder in Kontakt«, wiederholte sie wie ein Mantra.
Heißt das, man darf auch Zunder legen und »negativen« Kontakt, Konflikte anfachen?
Wenn es für den Prozess und den übergeordneten Auftrag nützlich ist, leg Zunder.
7Wenn einer verschlossen bleibt
Toni: Bring sie in Kontakt! Das merke ich mir. Aber was mach ich, wenn einer verschlossen bleibt? Sich weigert, in Kontakt zu gehen? Oder gerade nicht kann, weil es ja immer tausend gute Gründe gibt, warum jemand gerade nicht kann?
Das stimmt. Die schlichte Antwort ist: Akzeptiere es. Weil es, wie du schon sagst, gute Gründe geben wird, und die Annahme des guten Grundes ist die Grundhaltung für uns Therapeuten. Versuche bei der Verschlossenheit eines Menschen die Gedanken von Widerstand, Verweigerung, Machtkampf abzulegen. Darum geht es nicht. Sie sind eher verletzt, hilflos oder überfordert.
Meistens ist es ja so, dass bei einem Paar nicht beide gleichzeitig wie aus einem Munde sagen: »Lass uns zur Paarberatung gehen. Wir stecken fest.« Einer hat die Idee, der andere zieht mit oder auch nicht. Manchmal geht es um den letzten verzweifelten Versuch, der nicht selten zur Drohung mutiert: »Wenn wir nicht dahin gehen, trenne ich mich!« Und so wird zum Beispiel die Frau aktiv und der Mann kommt übellaunig mit, wie im nächsten Fallbeispiel.
Fallvignette
Frau B. hat mich per Mail kontaktiert, ihr Mann war in Kopie.
Sehr geehrte Frau Richter, hiermit bitte ich um einen zeitnahen Termin für eine Paarberatung. Mein Mann und ich sind seit 15 Jahren verheiratet und noch länger sind wir ein Paar. Wir haben drei Kinder 11, 8 und 3 Jahre alt, sind beide voll berufstätig und ich hatte im letzten Jahr eine längere Affäre. Seit das bekannt ist, stecken wir in einer tiefen Krise. Mein Mann würde zwar zum Termin mitkommen, ist aber nicht bereit, über irgendetwas zu reden.
So ungefähr lautete der Text.
Die systemischen Therapeuten unter uns wissen, dass wir auch Paartherapie mit nur einem Teil des Paares machen können. Denn alles bedingt sich wechselseitig. Selbst wenn der Mann nicht mitkommen möchte, könnte ich mit der Frau starten, der Partner könnte später dazukommen oder auch gar nicht. Alles, was sich durch die Therapie in ihr verändern wird, wird auch zu ihrem Partner schwappen und ihr gemeinsames Leben beeinflussen. Er wird auf die Veränderungen, den anderen Schwung, den seine Frau eventuell mitbringen wird, reagieren. Reagieren müssen. Vielen macht die alleinige Veränderung der Partner Angst und am Ende wollen sie doch lieber bei der Paartherapie dabei sein, um mitreden und gestalten zu können. Oder auch, um ein Stück Kontrolle zu behalten.
Meistens antworte ich sehr einladend, nicht drängend. Nach dem Motto: Alles ist möglich. Alles darf sein. Selbstverständlich kann Ihr Mann mitkommen, und es wäre für mich auch völlig in Ordnung, wenn er nur zuhört, was wir beide besprechen.
In diesem Fall kam er tatsächlich mit und wollte wirklich im Hintergrund bleiben, auf keinen Fall mit uns im Kreis sitzen. Er setzte sich auf einen Extrastuhl, der in meinem Rücken stand, aber so, dass er seine Frau sehen konnte. Oberstes Gebot ist, dass ich das, was ich in der Mail verspreche, einhalte und respektvoll seinem Schweigen begegne. Denn auch wenn ich es nicht sofort verstehe, wird er seine (guten) Gründe haben.
»Ich lasse den dritten Stuhl hier im Kreis einfach mal stehen«, sage ich zu ihm gewandt. »Nicht wundern, das mache ich immer so, wenn es um Paare geht, sonst ist das Bild nicht vollständig.« Er nickt. »So eine Beobachterperspektive, wie Sie sie gerade haben, ist eigentlich auch nicht schlecht, oder?« Ich rede ein bisschen in den Raum hinein, als wäre ich jemand, die alles mit sich selbst bespricht. Mein Ziel ist, dass er sich entspannt und seine stille Anwesenheit für uns alle wirklich in Ordnung ist.
Dann starte ich mit der Frau und verwende irgendwann einfache zirkuläre Fragen, um die Sicht des Mannes einzufangen. »Was glauben Sie, würde Ihr Mann dazu sagen? Sieht er das auch so? – Oh, an dem Punkt sind Sie beide unterschiedlich. Verstehe. Sie glauben, er will sich eigentlich trennen. Wieso ist er dann mit hier? Er hätte sich doch längst trennen können.« Irgendwann sagte sie zu ihm direkt: »Stimmt, noch bist du da.« Er war die ganze Zeit ganz Ohr und rückte irgendwann näher. Schnell hole ich ihn ins Boot. »Ich weiß, manchmal stelle ich seltsame Fragen, um die Ecke. Aber das hilft mir, auch die Sicht von denen zu bekommen, die gerade nicht mitdiskutieren können.« Wir rücken alles so zurecht, dass er mit uns zusammensitzen kann.
Toni: Ich versuche mir gerade vorzustellen, dass ich zur Paartherapie mitkomme und schweigen darf. Ich würde es erst mal nicht glauben und würde wahrscheinlich vermuten, ich werde verarscht.
Manchmal ist es eine Gratwanderung, nicht ins Lächerliche abzurutschen. Eine zirkuläre Frage im Sinne von: »Was würde Ihr Mann sagen, wenn er hier wäre?« sollte nicht rausrutschen, denn er ist ja da. Besser nur: »Was würde er sagen?« Du musst dir als Therapeutin sicher sein, dass du es ernst meinst, dass du voll dahinterstehst, dass jemand dabei sein kann, ohne aktiv am Prozess teilzunehmen. Wenn du nicht sicher bist, du das Verhalten sogar blöd findest oder verachtest, biete diese Option lieber nicht an.
8Wenn es zu viele Themen gibt – Wo anfangen?
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