Название | Zehn Jahre nach Oscar Cullmanns Tod: Rückblick und Ausblick |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Basler und Berner Studien zur historischen Theologie (BBSHT) |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783290177416 |
Die Inhaltsbeschreibung und Analyse der einzelnen Archivkategorien ist zurzeit von der Oberfläche ausgehend in ganz verschiedene Tiefen vorgedrungen. Dazu einige Beispiele: Die von Oscar Cullmann selbst zusammengestellte Gruppe der Papiere zum Zweiten Vatikanischen Konzil hat Armin Mettler bereits recht genau analysiert. Wenn Interessenten zur Arbeit an den Originalen nach Basel kommen, werden sie in Zukunft Mettlers eingehende Beschreibungen und zum Teil sogar Umschriften vorhandener Dokumente einsehen und benutzen können. Das gleiche gilt etwa für das umfangreiche Reaktionsmaterial zum Vorschlag einer ökumenischen Kollekte, den Cullmann zuerst an der ETH Zürich im Januar 1957 formulierte und der in den folgenden Jahren für vielfältige Aktivitäten, Initiativen, Diskussionen, und Meinungsäusserungen sorgte.31 Meine detaillierten Aufzeichnungen der hierhin gehörenden Materialien nach Datum, Verfasser und Inhalt können bei Benutzung des Archivs in Basel eingesehen werden.
Dagegen entbehrt die Analyse einer ganzen Anzahl von Kategorien noch der nötigen Tiefe. Die anscheinend recht vollständig vorhandenen Finanzpapiere ebenso wie die einmalige Sammlung von Sonderdrucken liegen noch ungeordnet in den Kartons von 1999.32 Die Kategorie der Familienpapiere,33 der Inhalt von zwei Kartons mit der Bezeichnung «Louise Cullmann»34 |20| und eine Reihe von Dossiers in der Kategorie «Universität Basel»35 sind zwar verzeichnet, aber noch nicht im Einzelnen analysiert. Die wichtigen Papiere zum Thema «Tantur»,36 welche die gesamte Geschichte dieser ökumenischen Institution von Anfang an dokumentieren und welche Cullmann als einer der Hauptinitianten in zwei grossen Mappen gesammelt hatte, sind zwar chronologisch geordnet, müssten aber noch nach Korrespondenten und Inhalt beschrieben werden.
Wie in fast allen neueren Gelehrtennachlässen stellen die vorhandenen Fotografien ein besonders dorniges Problem dar. Das Cullmann-Archiv besitzt Hunderte von losen Fotos. Nur ganz wenige von ihnen sind auf der Rückseite identifiziert. Immerhin befinden sich im Archiv auch etwa 40 thematisch geordnete und grösstenteils datierbare Fotoalben, zum Teil aus dem Besitz der Schwestern Louise und Frédérique, sowie mehrere Dutzend thematischer Couverts mit Fotos, deren Inhalt durch die Aufschriften wenigstens teilweise klar ist. Dazu kommt ein unerwarteter Glücksfall. Unter meinen persönlichen Papieren in Princeton fand ich 2002 zufällig einen Block mit Notizen, den ich völlig vergessen hatte. Er enthielt unter anderem auf 13 Seiten Erklärungen von nummerierten Bildern im Album «Jeunesse, Gymnase, Strasbourg, Paris»37 und vom Inhalt vieler der Couverts.38 Ich erinnerte mich, dass ich bei zwei Aufenthalten in Chamonix, wahrscheinlich im Sommer 1982 und 1983, vorgeschlagen hatte, gemeinsam mit den Cullmann-Geschwistern abends nach dem Essen Fotoalben anzuschauen und Personen zu identifizieren. Meine Erklärungen sind rasch und flüchtig geschrieben, wohl weil beim Anschauen Cullmann zwar sagte, was und wer auf den Bildern zu sehen war, aber nicht viel Geduld hatte. Trotzdem stellen diese Identifikationen eine äusserst wertvolle Quelle für die bildliche Illustration der schriftlichen Materialien im Archiv dar. Sie könnten auch als Vergleichshilfen beim Betrachten vieler nicht identifizierter Fotos Dienste leisten. Vielleicht gibt es ja Menschen, deren visuelles Gedächtnis für solche Vergleiche besser geeignet ist als meines. Allerdings träume ich noch von einer andere Möglichkeit, die in unserem rasant fortschreitenden technologischen Zeitalter einen neuen Horizont eröffnen könnte: Bei jeder Einreise in die USA wird neuerdings eine Porträtaufnahme von mir elektronisch mit einer zentralen Datenbank von Verbrechern und mutmasslichen Terroristen wahrscheinlich in Washington verglichen. Wäre es nicht denkbar, dass ein Scanner |21| das identifizierte Bild einer Person im Album mit einem losen Foto vergleichen und die gleiche Person dort identifizieren könnte? Vielleicht gibt es bereits eine solche Software?
Meine Ausführungen werden deutlich gemacht haben, dass in Bezug auf die Arbeit am Cullmann-Archiv seit 1999 manches geschehen und vieles erreicht worden ist, dass aber noch genug zu tun bleibt, zu planen und sogar zu träumen. Die Fondation œcuménique Oscar Cullmann ist von der Fondation de France als Sachwalterin des Cullmann-Nachlasses in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Basel eingesetzt worden und wird sich auch weiterhin an seiner Erschliessung und Benutzung beteiligen. Das Symposium von 2009 sollte zum einen im Rückblick Rechenschaft geben über die Bemühungen der letzten zehn Jahre, hat aber im Ausblick hoffentlich auch Anregungen zur Weiter- und Mitarbeit gegeben, damit dieser einzigartige Schatz gehoben wird, der nun in Basel zugänglich sein wird.
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Martin Sallmann
Forschungsdesiderata aufgrund der Quellenlage im Nachlass Oscar Cullmanns
Leben und Werk sowie die Rezeption Oscar Cullmanns sind nach wie vor wenig erforscht. Nachdem der Nachlass 2009 an die Universitätsbibliothek in Basel überführt worden ist, liegt jetzt ein reichhaltiges, gut geordnetes Archiv für die Erforschung bereit.39 Die Vielfalt des Nachlasses eröffnet unterschiedliche Zugänge zum Cullmann-Archiv. Je nach Fragestellung wird der Zugriff variieren. Denkbar sind Gesichtspunkte, die sich an der Biografie, an behandelten Themen, publizierten Werken oder an bestimmten Quellengattungen orientieren. Im Folgenden versuche ich in fünf Punkten verschiedene Zugänge zum Nachlass aufzuzeigen. Damit sind drei Ziele anvisiert: Zum einen soll ein Eindruck von der Fülle, aber auch von den Konturen des Archivs entstehen. Zum anderen sollen durch Beispiele entlegene Facetten und Eigenarten des Nachlasses sichtbar werden. Und schliesslich sollen mögliche Forschungsprojekte oder Fragestellungen zur Sprache kommen.
I. Biografischer Zugang: Familie, Kindheit, Jugend
Oscar Cullmann stammte aus einer kleinbürgerlichen Familie.40 Sein Vater war Lehrer an der Volksschule. 1902 geboren, wuchs Oscar als Jüngster |24| von neun Geschwistern im zunächst deutschen, nach dem Ersten Weltkrieg wieder französischen Strassburg auf, wo er das Protestantische Gymnasium besuchte.
In welchem Milieu wuchs Oscar auf? Wer waren seine Eltern? Wie lebte die Familie? In welcher gesellschaftlichen Umgebung bewegten sich die Cullmanns? In welchen Bildungstraditionen wurde Oscar geschult? In welche Frömmigkeit wurde er im Elternhaus eingeführt? Und welche Kirchlichkeit begegnete ihm mit der Lutherischen Kirche? Gerne wüsste man mehr über die Kindheit und Jugend Oscar Cullmanns. Die vorliegenden autobiografischen Rückblicke aus den Jahren 1960 und 1993 sind für diese Zeit wenig ergiebig.41 Obwohl die Quellen für die frühe Lebenszeit im Vergleich zu den späteren Lebensphasen spärlicher fliessen, enthält das Archiv diverse Unterlagen, die hilfreiche Einblicke erlauben. So gibt es beispielsweise genealogische Materialien, die Cullmann zu den Familien väterlicherseits und mütterlicherseits zusammengetragen hatte.42 Auch über die Geschwister existieren eigene, zum Teil ausführliche Dossiers.43 Aus der Kindheit stammen ein Ferientagebuch oder Weihnachtsgedichte für die Eltern.44 Ein Heft mit Aufzeichnungen |25| über einzelne Familienmitglieder hatte Oscar zusammen mit einem Schulfreund 1916 erstellt.45 Für die Schulzeit sind alle Zeugnisse und einige Arbeiten aus der Zeit am Gymnasium vorhanden.46 Viele Fotografien, die teilweise im Einzelnen beschrieben sind, finden sich an unterschiedlichen Orten im Archiv.47
Cullmann hielt zeitlebens an seinen Strassburger Wurzeln im Elsass fest. In gleicher Weise galt das auch für seine lutherische Heimatkirche, der er verbunden blieb. 1989 korrigierte er John Neuhaus in einem Brief umgehend, da dieser ihn in einem Aufsatz als «a Swiss Protestant» bezeichnet hatte. Er sei aus Strassburg und Mitglied der elsässischen lutherischen Kirche.48 Aufschlussreich wäre ausserdem, welche Bilder Cullmann von der eigenen Familie und der eigenen Herkunft übernommen und weitergetragen hat. Haben alle Geschwister das Bild der eigenen Familie geteilt oder gab es unterschiedliche Auffassungen? Wichtig wäre hier eine weitergehende Einordnung der Familie Cullmann in den historischen Kontext. Das Archiv kann dazu einzelne farbige Mosaiksteine liefern. Selbstverständlich wären weitere biografische Zugriffe denkbar, zum Beispiel die Berufung nach Basel,49 die bewegte Zeit als Rektor50 oder die zahlreichen Ehrungen.51
II. Institutioneller Zugang: Thomasstift und Alumneum
Überblickt