Eichler lief die Lützner Straße hoch, die kaum beleuchtet war. Vor dem langen Klingelbrett suchte er den Namen, klingelte.
Frau Wolfram öffnete. Tut mir leid, dass ich Sie rausbimmle.
Ihm ist nicht wohl, die Nase läuft schrecklich.
Friedhelm musste nicht viel sagen. Das Kollektiv ist der Haken, sonst gäbs keine Kollektivfeinde. Gehörst zu den Kollektivfeinden, Irina, Regina, Inka auch, die hasst er. Hat dich an der Wandzeitung breitgeschmiert, Namen sind rot unterstrichen. Ich komme nicht vor, eigenartigerweise, Harry auch nicht. Weiß der liebe Gott, warum ich nicht, Harry, das verstehe ich, er will das Beste und hat mit angesehen, wie wir abirren. Harry ist der Hauptschuldige, den werden sie anklagen, wenn die Kollektivfeinde erledigt sind.
Keine Angst, die können dich höchstens von der Schule schmeißen.
Rudi ist der schöne Schein lieber, von dem geht’s nicht aus.
Was steckt dahinter? Du bist harmlos, Hannes, nimm mirs nicht übel, Regina ist harmlos, ich, ohne Bedeutung, alle harmlos, und trotzdem geht Pockrandt auf euch los. Redet von kollektivfeindlichen Gruppierungen. Hat er gesagt. In Berlin gabs die. An höchster Stelle. Er möchte welche aufdecken, sonst stimmt die Welt nicht, die sie sich geschaffen haben. Wenn an der Basis keine Kollektivfeinde sind, stimmt das Ganze nicht.
Regina sagt, Pockrandt will Macht. Bestimmt will er das, ich denke, die müssen was aufdecken, die brauchen das. Friedhelm stellte Überlegungen an, wozu das Kollektiv gebraucht wird. Damit die träge Masse in Bewegung gesetzt werden kann.
Ruth hat gesagt, dass sie nicht mal in der FDJ ist.
Was hat das damit zu tun?
Entschuldige.
Sie hatte Sehnsucht, Hannes, die hast du ihr ausgetrieben. Musst dich jetzt um dich selber kümmern, sonst dreht Pockrandt uns einen Strick. Wir treffen uns morgen. Lass die Nase laufen! Wenn in der Schule was losgeht, schmeißen die dich vielleicht raus.
Pockrandt spinnt, sagt Irina. Der ist das Arbeiterkind, das er vielleicht selber gar nicht ist.
Die haben sich auf die Arbeiterkinder versteift, die den neuen Menschen hervorbringen. Du bist keins, ich nicht, Böckler könnte eins sein, aber wenn du zu kratzen anfängst, ist er vielleicht auch keins mehr. Übrig bleibt Katzengold. Deshalb müssen die Individualisten weg, solche Individualisten wie ich.
Ich brenne mir eine an. Er ließ den Rauch steigen, nahm für die Asche die Untertasse.
So ist das Leben, weil es so ist, dieses Leben. Guck dir Pockrandt an, da hast du ein Erdenparadies. Friedhelm lachte. Du hast mal gesagt, es wird eins kommen. Rudi hat seins gefunden, Arnold, hoffe ich, auch. Die nicht mitgehn, sind das Problem, die das Paradies nicht erkennen, weil vielleicht keins existiert, zu denen gehöre ich, oder keins suchen.
Ich muss los. Wir treffen uns morgen. Kannst du Irina abfangen, damit sie vorgewarnt ist?
Frau Wolfram kam herein. Dass nicht geraucht wird, war Bedingung. Sie öffnete das Fenster. Ausreißen müssen Sie nicht, ich vertrags bloß nicht.
Im Haus flog eine Tür zu.
Ich hau ab.
Ich passe Irina ab. Am Lindenauer Markt steige ich zu, wenn sie von der Angerbrücke kommen.
Hannes konnte nicht schlafen.
13
Klaus hat in seinem Artikel verschiedene Freunde unserer Klasse zu einer »kollektivfeindlichen« Gruppe zusammengefasst. Unsre Klasse ist gespalten, das wird nichts mehr
Diese Aufregung früh. Wir wehren uns. Dass sie uns rausschmeißen, schätzte Irina, so weit wird es nicht kommen.
Pockrandt im Blauhemd, Parteiabzeichen.
Wie angestochen rannte die kleine Porzelle herum. Ich bin dafür, dass wir gleich nach dem Unterricht dableiben, soll Klaus doch offen sagen, was ihm nicht gefällt.
Regina hätte sich die Qualifizierung zum Bibliothekar durch Lippenbekenntnisse verschafft. Du musst doch spinnen, Klaus!
Über die Versammlung entscheidet die Gruppenleitung.
Sofort passiert gar nichts, entschied Evelyne Fehrmann. Wenn der Termin bei Harry feststeht, mach ich einen Aushang.
Pockrandt genoss die Aufegung, obwohl mit ihm außer Rudi kaum jemand redete.
Dass sie uns rausschmeißen, die Werktätigenklasse, kann ich mir nicht vorstellen. und dass sie Hannes anschießen, versteh ich nicht, sagte Klaus Grimm, bevor der Unterricht anfing.
»Die Diskussion zur Kollektivbildung findet am Montag, dem 16. XI. 53, 14 Uhr statt.« Mit Rotstift den Aushang ließ Evelyne Fehrmann lange hängen. Wie eine Warnung.
Dann die Versammlung. Ihr wisst, dass Klaus Anschuldigungen erhoben hat. Welche das sind, habt ihr gelesen. Sie saßen vor Harry Matter. Die Anspannung war ihnen anzusehen.
Rudi hatte was vorbereitet und nahm vorn Platz. Weil das Kollektiv vorher nur ein Konglomerat war, fällt es jetzt einigen Schülern nicht schwer, diesen losen Zusammenhang auseinanderzureißen, ich nehme das nicht hin. Ein anderer Teil von Schülern versucht durch Lippenbekenntnisse darüber wegzutäuschen. Ihr Tun ist umso verwerflicher, da sie zu feige sind, an der Wandzeitung gegen Beschlüsse der Gruppenleitung oder das Benehmen und Tun anderer, mit denen sie nicht einverstanden sind, offen Stellung zu nehmen.
Sie hörten Harry atmen.
Ich frage, was sie zu diesem falschen Handeln trieb.
Ich werde Stellung nehmen, aber schriftlich, redete Irina dazwischen.
Genauso verwerflich ist die völlige Teilnahmslosigkeit eines andern Teils der Schüler unserer Klasse. Es kann so nicht weitergehn. Denn das Bemühen einzelner Freunde muss durch den dauernden Druck erlahmen. Es wird dadurch in der Folge immer weniger getan werden, bis unsre Klasse in Lethargie absinkt und die bisherigen Erfolge zunichte gemacht sind.
Irina, du hast das Wort.
Sie spitzte die Lippen. Ich äußere mich an der Wandzeitung, wo sich das Kollektiv bildet. Geschminkt war sie, was die Blässe überdeckte, die Augenbrauen nachgezogen. In ihren Augen entdeckte Johannes ein Funkeln. Gleich wird sie kratzen.
Die waren am Verlieren, die Panzer haben entschieden, sagt Vater.
Kollektivfeindlich, die spinnen. Mit Schwejk das hatte Pockrandt nicht vergessen.
An der Wandzeitung antwortest du, sagst du, und wann?
Um eine Winzigkeit verzog sie die Mundwinkel. Morgen. Damit der Klassenkampf nicht aufhört.
Für einen Moment schloss Walter Döring die Augen.
Du, Regina? Auch an der Wandzeitung, wo das Kollektiv entsteht.
Es sind noch mehr genannt. Harry, Brille in der Hand: Du? Ich hab deine Hand nicht gesehn.
Meinst du mich? Kollektivfeindlich? Was heißt feindlich? Kriegstreiber sind Feinde. Sind wir Kriegstreiber?
Feindlich habe ich nicht gesagt.
Dann eben dem Kollektiv feindlich. Ist dasselbe. Hast du geschrieben. Wenn das Kollektiv das höchste ist, was es gibt, ist jemand, der dem Kollektiv feindlich ist, das letzte. Sind wir das?
Kollektivfeindliche Gruppierungen, ich bleibe dabei, schnaufte Pockrandt.
Johannes begriff, dass er kein Zuschauer mehr war, er war es noch, als Pockrandt zischte: Du lügst!
Zuschauer war ich, als sie Stalin beweinten und ich in den Gesichtern nichts gefunden habe außer aufgeschwemmten Tränensäcken vor einer bemalten Pappe, Blässe und Tränen.
Die Diskussion ging zu Ende.
Ich bringe meins mit. Ihr wartet im Kaffee.
Die Fahnen in der Diele hingen reglos. Im Klubraum Friedhelm, mit einer Hand ein und dieselbe Melodie spielend, als übe