Название | Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts |
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Автор произведения | Marcel Köppli |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Basler und Berner Studien zur historischen Theologie (BBSHT) |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783290177393 |
In der Untersuchung des Patriarchalismus waren Ernst Troeltschs (1865–1923) und Max Webers (1864–1920) Analysen des Protestantismus besonders einflussreich. Troeltsch diskutierte in seiner Untersuchung «Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen» den «Typus des christlichen Patriarchalismus» |25| gleich in verschiedenen Passagen.32 Weber führte in seinem Aufsatz «Wirtschaft und Gesellschaft» den Patriarchalismus unter der Überschrift «Patriarchale und patrimoniale Herrschaft»33 aus. Im Anschluss an Troeltsch und Weber bezeichnen Jähnichen und Friedrich den Patriarchalismus als «soziale Ordnungsstruktur, die – basierend auf der Hausgemeinschaft als dem ganzheitlich den entsprechenden Personenkreis und Besitzstand umfassenden Rechtsverband – dem Hausherrn eine einzig auf Tradition normierte, grundsätzlich schrankenlose Herrschaftsausübung einräumte, die unlösbar mit fundamentalen Fürsorgepflichten gekoppelt war.»34
Die Ursprünge des Patriarchalismus reichen zurück in das neutestamentliche Schrifttum. Während der Zeit der Reformation erfuhr der Patriarchalismus zudem einen starken Auftrieb und eine erneute theologische Legitimation. Besonders deutlich ist dies in Martin Luthers grossem Katechismus, insbesondere in seiner Auslegung des vierten Gebotes, in dem der Gehorsam gegenüber Vorgesetzten und der staatlichen Obrigkeit mit dem Gehorsam gegenüber den Eltern gleichgesetzt wird, was zur Folge hatte, dass der Patriarchalismus zur vorherrschenden Haltung in der lutherischen Sozialethik wurde. Selbstverständlich wurde dabei jedoch nicht nur allein der Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten eingefordert, sondern auch betont, dass von den Vorgesetzten die Wahrnehmung von Fürsorgepflichten erwartet wird. Troeltsch spricht in diesem Zusammenhang auch von einer «patriarchalischen, agrarisch-kleinbürgerlichen Ethik»35.
Es ist offensichtlich, dass der Patriarchalismus in einer feudalen Agrargesellschaft eine durchaus adäquate sozialpolitische Haltung darstellte. So liegt die Stärke des Patriarchalismus – wenn er denn ernst genommen wurde – auch darin, dass er zu einer sozialeren Gestaltung der Machtausübung verhalf und |26| so «zu einer personalen Humanisierung der Herrschaftsverhältnisse»36 führte. Ob der Patriarchalismus allerdings auch eine adäquate Antwort auf die Industrialisierung und die soziale Frage im 19. Jahrhundert war, muss bezweifelt werden und ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Im 19. Jahrhundert werden angesichts der sozialen Frage auch zunehmend die Schwächen und Grenzen des Patriarchalismus sichtbar. Derweil nämlich auf dem agrarisch geprägten Land der Patriarchalismus durchaus noch seine positiven Auswirkungen zeigen konnte, versagte er angesichts der sozialen Frage in den stark anonymisierten und säkularisierten Städten. Auch die protestantischen Unternehmer des SABBK thematisierten diesen unumkehrbaren Trend zumindest ansatzweise. Denn die Beziehung zwischen den Unternehmern und ihren Arbeitern war vermehrt der Anonymisierung unterworfen, so dass eine patriarchale Lösung der sozialen Frage je länger desto weniger möglich war.
2.3.2 Die sozialdiakonische Haltung
Als zweite Haltung bezeichnet Jähnichen die sozialdiakonische der Inneren Mission.37 Den Ursprung dieser Haltung sieht er im Konzept der Inneren Mission Wicherns. Theologisch und politisch sei Wichern zwar konservativ geprägt gewesen, er habe jedoch durch sein volksmissionarisches Anliegen sozialreformerische Überlegungen mit einbezogen. Als «konservativer Modernisierer»38 habe Wichern konkrete sozialdiakonische Arbeitsfelder aufgebaut, indem er das Vereinswesen als zeitgemässe Handlungsform aufgegriffen habe. Ihm sei es vor allem um die Förderung einer intakten Familienstruktur gegangen. Mit seiner sozialdiakonischen Haltung habe Wichern die soziale Frage lösen wollen, indem «er eine Reintegration der neu entstandenen proletarischen Fabrikarbeiter in eine reformierte patriarchalische Sozialordnung angestrebt»39 habe.
2.3.3 Die sozialkonservative Haltung
Als dritte Einstellung führt Jähnichen die sozialkonservative Haltung an.40 Diese sei im Anschluss an die Reichsgründung entwickelt und mit dem Begriff «Kathedersozialismus» bezeichnet worden. Wichtigster Vertreter dieser Position sei der Berliner Nationalökonom Adolph Wagner (1835–1917).41 |27| Die sozialkonservative Haltung kennzeichnet Jähnichen mit folgenden Worten: «Als der entscheidende, über das auf freiwilliger Basis organisierte Handeln der Inneren Mission hinausgehende Schritt dieses Typs des sozialen Protestantismus ist das Bemühen um planmässiges sozialstaatliches Handeln zu nennen.»42 Der Staat solle nicht mehr nur als Macht- und Kulturstaat, sondern auch als Sozialstaat verstanden werden, der sich zugunsten der sozial Schwächeren einsetzt. Ziel ist deshalb der «Aufbau von sozialstaatliche[n] Sicherungssysteme[n], die Entwicklung eines sozialen Steuerrechts, die Ausweitung des gesetzlichen Arbeitsschutzes sowie der Aufbau öffentlich-rechtlicher Interessenvertretungsorgane der Arbeiterschaft»43. Der sozialkonservativen Haltung ordnet Jähnichen auch den Juristen Theodor Lohmann (1831–1905)44, den Pfarrer Rudolf Todt (1838–1887)45 und den Hofprediger in Berlin, Adolf Stoecker (1835–1909)46 zu.
2.3.4 Die sozialliberale Haltung
Die vierte Haltung sieht Jähnichen im sozialliberalen Protestantismus, der sich um den 1880 gegründeten Evangelisch-sozialen Kongress47 herausbildete.48 Wichtigster Vertreter des sozialliberalen Protestantismus sei Friedrich Naumann (1860–1919). Die sozialliberale Haltung versteht er als Korrektur zu der «Staatszentrierung des sozialkonservativen Protestantismus», sie sei skeptisch gegenüber allen «Versuchen und einer direkten kirchlichen Einwirkung auf soziale Problemlagen oder gar einer Rechristianisierung der Gesellschaft».49 Die sozialliberale Haltung sei zudem getragen von einer positiven Einstellung zur Wirtschaft: «Wirtschaftspolitisch würdigten die sozialliberalen Protestanten die Effizienzsteigerung kapitalistischen Wirtschaftens und grenzten sich entschieden gegen sozial-romantische, gegen einseitig staatszentrierte und insbesondere gegen sozialistische Gesellschaftskonzeptionen ab.»50 Ziel sei eine «Transformation des Kapitals als einer einseitigen Herrschaftsordnung» in eine «‹Wirtschaftsdemokratie› mit weitreichenden |28| Partizipationsrechten der Arbeitnehmerschaft und einer Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen».51 Die sozialliberale Haltung ziele somit auf eine «Ethisierung des Wirtschaftslebens», dadurch hoffe man die «Effizienzgewinne des Kapitalismus mit sozialpolitischer Verantwortung» auszugleichen.52
2.4 Die soziale Frage in der Schweiz
Selbstverständlich war die Schweiz von den weiter oben genannten Voraussetzungen, Ursachen und Auswirkungen der sozialen Frage nicht ausgenommen.53 Die Schweiz des 19. Jahrhunderts war ebenfalls durch Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und Auflösung der Stände und Zunftordnungen geprägt. Doch die Voraussetzungen und Ursachen, die in der Schweiz zur sozialen Frage geführt haben, zeichnen sich durch spezifische Kennzeichen aus, auf die im Folgenden eingegangen werden soll.
Die entstehende Industrie der Schweiz war in hohem Mass geprägt durch die Rohstoffarmut und die Distanz der Schweiz