Menschen, die Geschichte schrieben. Группа авторов

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Название Menschen, die Geschichte schrieben
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия marixwissen
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843803823



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den historischen Frankenkönig und Kaiser erfasste, der, wenn überhaupt, nur aus dem gedächtniskritischen Rückverfolgen der Erinnerungsströme zu ihrem Ausgang erfasst werden kann, das steht auf einem anderen Blatt. Ein solches endet nicht bei den sogenannten ‚Quellen‘, insofern diese gewöhnlich für den direkten Niederschlag der einstigen Geschehnisse betrachtet werden. Denn auch diese ‚Quellen‘ spiegeln komplexe, transitorische Wirklichkeiten, die in ihrer Flüchtigkeit kaum fassbar sind; sie sind nahe oder ferne Gedächtnisprodukte und müssen als solche analysiert werden. Wie weit das möglich ist, sei an dieser Stelle nicht erörtert.

      Indes, wir sind dem historischen Geschehen vorausgeeilt. Denn noch vor dem königlichen Heros und Helden trat, wie eben erwähnt, der Sünder Karl in das kulturelle Gedächtnis und entfaltete über dasselbe eine nachhaltige Wirkung, die schließlich in seine Verklärung als Heiligen mündete und auch den weltlichen Heros, seine Taten und Wirkungen nicht unverwandelt ließ.

      SÜNDER UND HEILIGER

      Der Weg begann mit der erwähnten Vision Wettis. Sie erinnerte an den viel liebenden Karl, einen nimmersatten Weiberhelden und Vater zahlreicher Bastarde, dem im Jenseits, auf den Läuterungsberg verwiesen, ein Untier das ständig nachwachsende Geschlecht zernagte; und sie bediente sich dieser Vision, um psychischen Druck auf den Konvent zu üben und eine neue religiöse Institution, das aufwendige monastische Gebetsgedenken, zu etablieren. Das Mittel zeitigte den gewünschten Erfolg. Das Gebetsgedenken wurde nicht nur eingerichtet, es erwies sich in den kommenden Jahrhunderten als eines der stärksten religiösen und sozialen Handlungsmotive für Klosterstifter und Mönchtum, für Sozialfürsorge und karitative Einrichtungen. Wie dem aber sei, einstige Wirklichkeit und Erinnerung drifteten auch jetzt in ihren realen Wirkungen auseinander und schufen neue Wirklichkeiten, die nichts mehr miteinander gemein hatten.

      Nicht minder Fantastisches als die Reichenauer mutete der Autor der „Wunder des hl. Goar“ von 839 seinen Lesern zu. Karl mied danach, als er einst vom Mittelrhein nach Aachen fuhr, den direkten Weg von Ingelheim nach Koblenz. Er hätte ihn an St. Goar und damit an einer von Romanen gepflegten Kultstätte eines Romanen vorbeiführen und ihn dort zum Gebet verweilen lassen müssen. Der König wollte das offenbar vermeiden. Die Strafe ließ nicht lange auf sich warten. Nebel kam auf, und Karl verirrte sich. Nur nach eindringlichem Sündenbekenntnis und inbrünstigem Gebet erreichte er sein Ziel: Seht, auch der mächtigste König wird von dem hl. Goar bezwungen und bekehrt.

      Karl also der bußfertige Sünder. Dieser Zug der Legendenbildung fand Nachahmung und Fortsetzung, die in einer großen, unaussprechlichen und bis heute nicht namhaft zu machenden Sünde gipfelte, die Karl beklagte, aber nicht einmal dem hl. Ägidius zu beichten wagte. Diesem aber flog während der Messe ein Brief vom Himmel zu, der dem reuigen Sünder Verzeihung und Gnade verhieß. Das Motiv des Himmelsbriefes lässt sich erstmals in der im 10. Jahrhundert in Südfrankreich, vielleicht im Umfeld des Klosters Saint-Gilles, entstandenen Ägidiuslegende fassen. Es wirkte von dort aus auf weitere Dichtungen des hohen Mittelalters, nicht zuletzt auch auf das deutsche Rolandslied, das am Hof Heinrichs des Löwen entstand. Die Wandlung des Sünders zum Heiligen zeichnete sich nun ab, zumal als die Ägidiuslegende sich mit der Kreuzzugsthematik und dem Jabobuskult vereinte, Karl zum Kreuzritter und zum ersten Jakobspilger, der hl. Ägidius zu einem der vierzehn Nothelfer aufstiegen und ihr Kult zahlreichen Orten realen Gewinn eintrug. Die Kriege der leiblichen Erben und Enkel des großen Karl und die Wirkung der Erinnerung an die Größe seiner Fleischessünden schrieben sich mit divergierenden, doch dauerhaften Folgen in die Geschichte des Abendlandes ein.

      Die Anerkennung neuer Heiliger und ihre Translation war indessen, wie einst Karl der Große auf der Synode von Mainz im Jahr 813 selbst hatte verkünden lassen, im früheren Mittelalter eine kaiserliche Aufgabe. So machte auch kein noch so wortgewaltiger Dichter einen Herrscher zum Heiligen. Der Kaiser indessen, der sich Karls annahm, Otto III., erkannte endlich in ihm den Heiligen, der er war, an dessen Seite und in dessen Schutz er, wie wir aus sicherer Quelle wissen, den Tag der Auferstehung und das Jüngste Gericht zu erwarten gedachte – als einer aus der Schar derer, die freudig Karl vor den ewigen Richter folgten. Er ließ Karls Grab suchen, öffnen und die Gebeine, die einst vor den Normannen in Sicherheit gebracht worden waren, in einen neuen Schrein transferieren, somit Akte vornehmen, wie sie jedem neuen Heiligenkult vorausgingen. Es war ein endzeitlich getönter Glaube, dem der Sohn der Byzantinerin Theophanu sich hingab. Doch war es zu früh, Otto starb mit blutjungen 21 Jahren. Die beteiligten Bischöfe, allen voran Heribert von Köln und Bernward von Hildesheim, erschraken und deuteten den vorzeitigen Tod als Strafe Gottes für die nun als Frevel erkannte Störung der Totenruhe. So erstarb mit dem jungen Kaiser der eben einsetzende kaiserliche Kult. Erst anderthalb Jahrhunderte später sollte es sich abermals ändern.