Название | Epistolare Narrationen |
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Автор произведения | Margot Neger |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Classica Monacensia |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783823302827 |
Bisweilen lässt Plinius auch sein Gegenüber als interlocutor zu Wort kommen und sich über den Umfang eines Briefes beschweren; so etwa in der langen Epistel 3,9Plinius der JüngereEpist. 3.9.27 über den Prozess gegen Caecilius Classicus,73 wo folgende Leserreaktion inszeniert wird (27): Dices ‘non fuit tanti; quid enim mihi cum tam longa epistula?’ Durch die (antizipierte) direkte Rede des Adressaten verschwimmen die Grenzen zwischen Brief und Dialog; zudem konstruiert Plinius hier den Typus des „faulen“ Lesers, wie wir ihn insbesondere aus den Epigrammen Martials kennen.74 Auch dort stoßen wir häufig auf negative Reaktionen von Lesern,75 vor allem wenn sie es mit längeren Gedichten zu tun haben oder mit einer Vorrede konfrontiert werden. Plinius scheint in seinem Brief auf die Prosaepistel zu Martials Buch 2 anzuspielen, deren Adressat Decianus heftig gegen die Kombination von Epigrammbüchern mit Prosavorreden protestiert (Mart. 2 praef. 1Martial2 praef.: ‘Quid nobis’ inquis ‘cum epistola?’) und dadurch angeblich verhindert, dass der Brief zu lange wird (14‒15: Debebunt tibi si qui in hunc librum inciderint, quod ad primam paginam non lassi pervenient).76 Eine Variation des Motivs vom faulen Leser findet sich bei Plinius in Epist. 7,2Plinius der JüngereEpist. 7.2, deren Adressat zwar nicht so unwillig reagiert wie die zuvor betrachteten Charaktere – ganz im Gegenteil fordert er sogar die Schriften des Plinius zur Lektüre –, jedoch von so vielen Verpflichtungen eingenommen wird (7,2,1: adsiduis occupationibus impediri), dass Plinius ihm lieber nur kurze Briefe schreiben will (7,2,3: interim abunde est, si epistulae non sunt molestae; sunt autem, et ideo breviores erunt).
Die in den Büchern 1‒9 gesammelten Briefe an verschiedene Adressaten bilden ein Konglomerat an unterschiedlichen Narrationen epistolarer Korrespondenz zwischen Plinius und seinen Zeitgenossen.77 Zwar sind uns, abgesehen von den Briefen Trajans in Buch 10, keine Antwortschreiben erhalten, doch verweist Plinius sehr oft am Beginn eines Briefes auf die vorausgehende Korrespondenz, deren Inhalt er häufig auch kurz paraphrasiert, oder er kündigt am Ende eine Fortsetzung des Briefwechsels an. So kann der Leser bei jedem Adressaten, dem er im Zuge der Lektüre begegnet, eine Geschichte der Interaktion zwischen Plinius und der betreffenden Figur rekonstruieren. Dies beginnt schon im allerersten BriefPlinius der JüngereEpist. 1.1 des Korpus, der mit den Worten frequenter hortatus es, ut epistulas…colligerem publicaremque beginnt (Epist. 1,1,1). Der Leser des ersten Buches taucht also in eine bereits laufende Konversation zwischen Plinius und Septicius Clarus78 ein, der Plinius schon oftmals (frequenter) aufgefordert haben soll, seine Briefe zu sammeln und zu publizieren. Das Adverb frequenter weist dabei nicht nur auf die Intensität der Kommunikation zwischen den beiden Briefpartnern hin, sondern dürfte zu Beginn des Werkes auch das literarische Programm der Briefsammlung ankündigen, indem es eine lateinische Übersetzung des griechischen πολλάκι liefert, das wir am Anfang des kallimacheischen Aitien-Prologs (Kall. fr. 1,1 Pf.)KallimachosAet. fr. 1.1‒3 Pf. finden.79 Während der hellenistische Dichter seine Aitia gegen Neider, die von den Telchinen verkörpert werden, verteidigen muss (fr. 1,1 Pf.: Πολλάκι μοι Τελχῖνες ἐπιτρύζουσιν ἀοιδῇ), ist bei Plinius das invidia-Motiv in einen Diskurs der Zustimmung und Ermunterung verwandelt. Der Epistolograph muss nicht erst gegen den Widerstand von Kritikern ankämpfen, sondern publiziert sein Werk nach mehrfacher Aufmunterung durch einen Freund. Der von Kallimachus geprägte recusatio-Topos, bei dem die poetische Kleinform mit dem ἓν ἄεισμα διηνεκές (fr. 1,3 Pf.) kontrastiert wird,80 findet sich in abgewandelter Form auch bei Plinius, der seine angeblich aufs Geratewohl und nicht chronologisch zusammengestellten Briefe von der Historiographie abgrenzt (Epist. 1,1,1)Plinius der JüngereEpist. 1.1: collegi non servato temporis ordine – neque enim historiam componebam –, sed ut quaeque in manus venerat. Gerade diese recusatio der Historiographie zu Beginn der Briefsammlung animiert den Leser dazu, über das Verhältnis der beiden Gattungen nachzudenken. So bemerkt Tzounakas (2007: 46‒7) in seiner Analyse von Epist. 1,1 treffend:
„By drawing attention to the fact that his work differs from that of historiography only in that ist lacks chronological order, Pliny is implying that in all other aspects there is not much difference.“
Plinius bietet mit seiner Briefsammlung also eine Art Alternativ-Projekt zu einem historiographischen Werk, und die Briefe erfüllen damit vielleicht eine ähnliche Funktion wie Ciceros Dialoge, die man Gildenhard (2013) zufolge als „Historiography Manqué“ lesen könne.81 Die Reflexionen über Briefsammlung und Historie in Plinius’ Epist. 1,1 berühren sich außerdem mit ähnlichen Aussagen in der zeitgenössischen Biographie und Buntschriftstellerei. So begegnen wir etwa in PlutarchsPlutarchAlex. 1 Alexander-Vita82 einer ganz ähnlichen Ankündigung, die auch in ihrem Wortlaut derjenigen bei Plinius verblüffend ähnlich ist (1): οὔτε γὰρ ἱστορίας γράφομεν ἀλλὰ βίους. Plutarch rechtfertigt sich am Beginn dieser Vita, dass er das Leben Alexanders nicht umfassend schildert und nicht alle militärischen Taten des berühmten Makedonen berücksichtigt, sondern vieles davon auslässt (1: ἐπιτέμνοντες