Epistolare Narrationen. Margot Neger

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Название Epistolare Narrationen
Автор произведения Margot Neger
Жанр Документальная литература
Серия Classica Monacensia
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823302827



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vernehmen, der seine Mutter während der allgemeinen Panik dazu auffordert, von der Straße abzubiegen (13). In Epist. 6,16Plinius der JüngereEpist. 6.16 über den Tod des Onkels hingegen findet sich nur eine direkte Rede, wenn wir den älteren Plinius während der Bootsfahrt im Golf von Neapel sprechen hören (11).29

      Auch Narrationen, in denen Plinius selbst nicht als handelnde Figur auftritt bzw. im Vordergrund steht, sind des Öfteren durch direkte Reden angereichert, wie etwa Epist. 3,16Plinius der JüngereEpist. 3.16 über Leben und Selbstmord der älteren Arria,30 wo sich neben Epist. 1,5 und 9,13 die meisten direkten Reden finden; Arria wird in diesem Brief acht Mal zitiert – kein anderes Individuum enthält im Briefkorpus so viel Redeanteil, abgesehen von Plinius selbst.31 Eingelegt sind Arrias Worte in eine Epistel, die sich als Bericht eines mündlichen Gesprächs mit Fannia, der Enkelin der berühmten Arria, präsentiert (2: hesterno Fanniae sermone), sodass es sich genaugenommen um Doppelzitate handelt. Insgesamt sechs direkte Reden enthält Epist. 4,11Plinius der JüngereEpist. 4.11 über den Inzest-Skandal um die Vestalin Cornelia.32 Nach den Worten des in den Skandal verwickelten und nach Sizilien verbannten Valerius Licinianus, der dort sein Dasein als Redelehrer fristet (3), spricht auch die der Unzucht beschuldigte Vestalin (7) sowie der römische Ritter Celer, der Cornelia entehrt haben soll, bei seiner Auspeitschung (10); auch Herennius Senecio, der Anwalt des Valerius Licinianus, kommt zu Wort (12), ebenso wie der Kaiser Domitian (13: absolvit nos Licinianus). Abgesehen von direkten Reden schmücken auch Dichter-Zitate den Brief, wie etwa aus der Hekabe des EuripidesEuripidesHec. 569 (9)33 und der IliasHomerIl. 18.20 (12).34

      Plinius’ Freunde und Mentoren, von denen einige als Heroen der stoischen Opposition gegen Domitian dargestellt werden, äußern sich ebenfalls in direkter Rede, etwa wenn Corellius Rufus in Epist. 1,12Plinius der JüngereEpist. 1.12 das lange Erdulden seiner Krankheit kommentiert mit den Worten cur…me putas hos tantos dolores tam diu sustinere? ut scilicet isti latroni vel uno die supersim (8) und dann seinen Selbstmord mit dem Ausspruch κέκρικα besiegelt.35 Auch der von Domitian verbannte Iunius Mauricus wird u.a. durch direkte Rede charakterisiert, wenn er sich in Epist. 4,22Plinius der JüngereEpist. 4.22 gegen Sportwettkämpfe in Vienne und Rom (3) oder Domitians gefürchteten Denunzianten Catullus Messalinus äußert (6).36 Ein weiterer Protagonist, den Plinius in oratio recta zu Wort kommen lässt, ist Quintilian in Epist. 2,14Plinius der JüngereEpist. 2.14.10‒11, wo es um das Aufkommen des Claqueur-Wesens geht und Quintilian eine Anekdote über Domitius Afer erzählt (10‒11), der seinerseits in direkter Rede spricht (11).37 Auch Tacitus tritt in Epist. 9,23Plinius der JüngereEpist. 9.23 sowohl als Erzähler einer Anekdote als auch handelnde Figur derselben in einem Dialog mit einem Zuseher im Zirkus auf, der ihn nach seiner Identität fragt (2: Tacitus es an Plinius?).38 Schließlich sei noch der ältere Plinius erwähnt, der sich sowohl in Epist. 3,5Plinius der JüngereEpist. 3.5 (12; 16) als auch 6,16 (11)Plinius der JüngereEpist. 6.16.11 in direkter Rede äußert.39

      Aussprüche und Dialoge handelnder Figuren in den Briefen verleihen den jeweiligen Narrationen eine stärkere Lebendigkeit und dramatischeren Charakter. Doppelzitate wie in Epist. 2,14 (Quintilian zitiert Domitius Afer) und 3,16 (Fannia zitiert Arria), wo Plinius erzählte Reden wiedergibt, dienen aufgrund der Charakterisierung der Erzählinstanzen zweiten Grades als Zeitzeugen zur Beglaubigung der Ereignisse. Generell stellt sich bei den in die Briefe eingelegten Reden, ähnlich wie im Fall literarischer Dialoge wie etwa derjenigen Ciceros, die Frage nach der Historizität solcher Gespräche und Äußerungen.40 Cicero selbst erörtert den mos dialogorum in einem Brief an Varro, der als Begleitschreiben zu den vier Büchern Academica, in denen Varro selbst als Gesprächsteilnehmer auftritt, charakterisiert ist (Fam. 9,8,1CiceroFam. 9.8.1 = 254 SB): puto fore ut, cum legeris, mirere nos id locutos esse inter nos, quod numquam locuti sumus; sed nosti morem dialogorum.41 Auch mehrere Briefe an Atticus thematisieren die Fiktionalität der Dialoge.42 Es ist anzunehmen, dass auch Plinius sich der von Cicero diskutierten Konventionen der Gattung Dialog bewusst war und die in die Briefe eingelegten Gespräche handelnder Figuren nach dem Prinzip des veri simile gestaltet hat. Dies dürfte auch für die Dialoge auf einer anderen Ebene der Kommunikation gelten, und zwar die Konversation des Briefschreibers mit seinen Adressaten, die ja der antiken Theorie zufolge als „halbierter Dialog“ auf Distanz betrachtet wurde.43 Epistolographen wie Plinius kreieren die Fiktion vom Brief als Gespräch etwa dadurch, dass sie in ihren Texten den Adressaten als epistolaren Interlokutor auftreten und verschiedene Bemerkungen, Einwände oder Fragen artikulieren lassen bzw. diese zumindest antizipieren.44 Häufig weisen Verben wie dices oder inquis auf eine solche imaginäre Wortmeldung hin, bisweilen können sie jedoch auch wegbleiben. In seinen Reaktionen auf diese Einwände wiederholt Plinius in der Regel einzelne Wörter oder Wortfolgen, wie etwa in Epist. 1,6Plinius der JüngereEpist. 1.6, wo uns Tacitus, der in Epist. 9,23 sowohl als interner Erzähler als auch handelnde Figur in der Arena auftaucht, als Adressat begegnet und Plinius ihn auch in dieser Funktion zu Wort kommen lässt (1): ego ille, quem nosti, apros tres et quidem pulcherrimos cepi. ‘ipse?’ inquis. ipse.45 Fabius Iustus, der Empfänger der Epist. 1,11Plinius der JüngereEpist. 1.11.1, entschuldigt sich für das Ausbleiben seiner Briefe mit den Worten nihil est…quod scribam (1), was Plinius zu einer Diskussion der Konventionen epistolarer Korrespondenz veranlasst (1: at hoc ipsum scribe, nihil esse, quod scribas…).46 Der Aufforderung, nach Rom zu kommen und den Redner Isaeus zu hören, lässt Plinius in Epist. 2,3Plinius der JüngereEpist. 2.3.9 seinen Adressaten Nepos entgegenhalten habeo hic, quos legam, non minus disertos, woraufhin er selbst wiederum erwidert etiam, sed legendi semper occasio est, audiendi non semper (9).47 Es ist durchaus denkbar, dass zu den diserti, deren Reden Nepos auch bei sich zuhause lesen kann, Plinius selbst gehört, wie die ebenfalls an Nepos gerichtete Epist. 4,26Plinius der JüngereEpist. 4.26 suggeriert: Dort erfahren wir, dass Nepos die Schriften des Plinius angeschafft hat (1: libellos meos, quos studiosissime comparasti) und sie überall mit sich herumträgt (2–3: tanti putes scripta nostra circumferre tecum…comites istos).48 Das Lob auf Isaeus in Epist. 2,3 weitet sich somit zum (Selbst-)Lob auf Plinius durch Nepos aus, den der Epistolograph in Epist. 4,26 als einen Bewunderer seiner Werke charakterisiert. In Epist. 2,5Plinius der JüngereEpist. 2.5.10 nimmt Plinius einen möglichen Einwand seines Adressaten Lupercus vorweg, der lieber eine vollständige Rede als nur deren Einzelteile lesen möchte (10: dices te non posse satis diligenter id facere, nisi prius totam actionem cognoveris).49 Dass ein langer Brief über einen Prozess wie denjenigen gegen Caecilius Classicus den Adressaten ermüden kann, geht aus der imaginierten Bemerkung des Cornelius Minicianus in Epist. 3,9Plinius der JüngereEpist. 3.9.27 hervor (27: dices: ‘non fuit tanti; quid enim mihi cum tam longa epistula?’).50 In Epist. 4,9Plinius der JüngereEpist. 4.9.16 über das Gerichtsverfahren des Iulius Bassus kommt die Verwunderung des Adressaten Cornelius Ursus darüber zum Ausdruck, dass zwei Meinungen, auch wenn sie einander widersprechen, richtig sein können (16: ‘qui fieri potest’, inquis, ‘cum tam diversa censuerint?’).51

      Auch in Briefen mit literarkritischem Inhalt hören wir häufig die Stimme des Adressaten: Octavius Rufus, den Plinius in Epist. 2,10Plinius der JüngereEpist. 2.10.5 zur Publikation seiner Werke auffordert, entgegnet, dass sich seine Freunde darum kümmern sollen (5: dices, ut soles: ‘amici mei viderint!’), woraufhin ihm Plinius derartig zuverlässige und eifrige Freunde wünscht (5: opto equidem amicos tibi tam fideles…tam laboriosos…).52 Im Nachruf auf den Dichter Martial (Epist. 3,21)Plinius der JüngereEpist. 3.21.6, der ein Epigramm auf Plinius verfasst hat (Mart. 10,20[19]Martial10.20[19]), fragt sich der Epistolograph quid homini potest dari maius quam gloria et laus et aeternitas? (6), wird jedoch vom Adressaten mit den Worten at non sunt aeterna, quae scripsit (6) unterbrochen.53 Das Urteil seines Adressaten Paternus auf die Lektüre der Hendecasyllabi antizipiert Plinius am Ende der Epist. 4,14Plinius der JüngereEpist. 4.14.10 (10: fortasse posset durum videri dicere ‘quaere, quod agas’; molle et humanum est: ‘habes, quod agas’).54 Gegen die Gründe des Plinius, auf das Verfassen einer Historie zu verzichten, wendet der Adressat der Epist. 5,8Plinius der JüngereEpist. 5.8.7 ein: potes simul rescribere actiones et componere historiam (7).55 Im Rahmen des Rückblicks, den Plinius in 7,4Plinius der JüngereEpist.