Название | Der Krimi an sich |
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Автор произведения | Jerry Cotton |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Kommissar Y |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711668702 |
Einer der größten Krimischreiber aller Zeiten war der römische Geschichtsschreiber Tacitus, dessen Annalen eine einzige Kette von Verbrechen der Kaiser Roms enthalten. Der Oberschurke in dieser wahrhaft beeindruckenden Menagerie ist natürlich Kaiser Nero. Unter dem Namen Peter Ustinov wurde er wiedergeboren. Alteren Kinofreunden ist er eine vertraute Gestalt. Im Buch XIV der Annalen beschreibt Tacitus, wie Nero seine liebe Mutter Agrippina vom Leben zum Tode beförderte. Der Kaiser hatte es auf eine gewisse Poppaea abgesehen, war aber dummerweise schon mit einer Octavia verheiratet, von der sich scheiden zu lassen ihm Mama Agrippina nach Mütterart verboten hatte. Sie sehen, hier hätte eine wunderbare Liebesgeschichte beginnen können, wie wir sie am Sonntagabend in dem Konkurrenzfilm »Im Tal der wilden Rosen von Cornwall« zum Tatort »Massenmord in Münster« sehen könnten, aber natürlich nicht sehen wollen. Denn im Zweifel hat der Krimi 9,3 Mio Zuschauer gegen schlappe 2,4 Mio bei den Rosen, von denen die meisten überdies in Altenheimen vor dem Fernseher bzw. vor sich selbst dahindämmern. Übrigens endet die Geschichte auch im Rosental in einem Krimi, weil Sir Simon Montesfieu-Bachelor auf Blendigstottenham Castle den jungen, aber armen Liebhaber Monty Ballerstreem enterbt, worauf der Butler Jeeves dem Whisky von Sir Simon auf Geheiß der bösen Tante Lady Julia Knotchfight-Hamham in seinen abendlichen Whisky eine Prise ... Aber ich will den Schluß hier nicht verraten. Es könnte ja sein, daß einer der Cornwallzuschauer noch wach ist.
Zurück zu Tacitus. Dieser beginnt seinen Krimi mit Ausführungen zur Blutschande zwischen Kaisermutter und Kaisersohn, wobei er angeblich nur fremde Quellen zitiert ohne sich diese zu eigen zumachen, eine Methode, die auch heute noch bei Beleidigungsdelikten praktiziert wird, die aber nicht mehr vor Strafe schützt, weil der aufgeweckte Gesetzgeber schon anno 1871 dem »Behaupten« in den §§186 f. StGB das »Verbreiten« einer üblen Nachrede gleichrangig an die Seite gestellt wird. Man darf also nicht mehr straflos sagen: »Wie ich aus gut unterrichteter Quelle weiß, hat der Kollege Müller Zwo vom Vertrieb als Kinderschänder im Zuchthaus gesessen.« Nero hätte bei Bekanntwerden der Üblen Nachrede (und sie wird immer bekannt – nichts ist öffentlicher als eine vertrauliche Mitteilung) sicher ähnliche Wünsche gehabt wie Müller Zwo, als er von dem Gerücht hörte, aber im Unterschied zu diesem benötigte er keinen Straftatbestand der Üblen Nachrede. Er hatte nämlich die Machtmittel zur Erfüllung seiner Wünsche bei der Hand. Tacitus wusste das natürlich und schrieb seinen Krimi sicherheitshalber erst einige Jahre nach Neros Tod, so daß bezüglich seiner Person aus heutiger Sicht nur eine Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, §189 StGB, in Betracht käme, ein Tatbestand, der lediglich Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vorsieht, also, wie wir Strafrechtler sagen, ein Mickey-Mouse-Paragraph, der normalerweise mit einer Einstellung und ein paar Groschen für den Kinderschutzbund endet.
Laut Tacitus überlegte Nero nach Mamas Verdikt, ob er »Gift« oder »das Schwert oder eine andere gewaltsame Weise« anwenden sollte. Gift verwarf er; es war zu sehr verbreitet und galt als weibisches Mittel. Außerdem hatte sich Agrippina, die ihrerseits eine erfahrene Giftmörderin war, durch die regelmäßige Einnahme aller gängigen Gegengifte immunisiert. »Wie man einen Mord durch Erstechen heimlich vollziehen könne, wusste niemand zu sagen«, fuhr Tacitus in seiner Beschreibung der kaiserlichen Kabinettssitzung fort. Das kann man verstehen, denn alle Profis mit einschlägigen Kenntnissen hatte Nero schon längst sicherheitshalber umbringen lassen. Das wussten alle potentiellen Meuchelmörder in Neros Umgebung und hielten deshalb ihre Talente unter der Decke. Da Nero dieses Problem kannte, fürchtete er mit Grund eine Befehlsverweigerung des zu dingenden Mörders mangels angeblich fehlenden Fachwissens (»Faßt man einen Dolch am Griff oder an der Klinge an, Majestät?«). Man kann sich vorstellen, wie sich die Diskussion im kaiserlichen Rat im Kreise drehte. Auch der ansonsten kluge Philosoph Seneca tat so, als hätte er keine Idee, wie man Mama meucheln könne. Da hatte ein Freigelassener namens Anicetus eine brillante Idee. Er war Befehlshaber der vor der Küste liegenden Flotte und schlug vor, ein Schiff zu bauen, »von dem sich ein Teil auf hoher See künstlich lösen und die Ahnungslose versenken könnte. Nichts biete dem Zufall so viel Raum wie das Meer.« Wie sehr diese Erkenntnis zutraf, wurde im Jahre 2012 deutlich, als das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia vor der italienischen Küste einem mißglückten Grußmanöver des Kapitäns unter dem Begleitruf »Vada a bordo, cazzo1!« zum Opfer fiel. Die von Anicetus empfohlene Methode wird übrigens heute noch gerne praktiziert. Auf jeder Kreuzfahrt mit dem Traumschiff verschwinden einige Passagiere spurlos, ohne daß sich – von den Erben abgesehen, die aber erst später, nach Ablauf der gesetzlichen Fristen, aktiv werden und den Verlust von Onkel Heinz oder Tante Irmingard melden – jemand weiter darum kümmert. Man kann ja nicht täglich Zählappelle durchführen, und daß immer jemand wegen Seekrankheit am Kapitänstisch fehlt, wundert niemanden. Es sind durchweg ältere, betuchte Zeitgenossen, welche dieses Schicksal erleiden. Der Steward entfernt das Namensschild und im Heimathafen werden sie ordnungsgemäß ausklariert. Irgendwann gibt es dann ein Verfahren nach dem Verschollenheitsgesetz mit anschließender Erbscheinserteilung. Aber zurück zu Nero. Wer würde, so Anicetus, nach einem Schiffbruch »so unbillig sein, einem Verbrechen das zuzuschreiben, was Wind und Wogen verschuldet? Hinterher würde der Kaiser ja doch der Verblichenen einen Tempel, Altäre und andere Dinge weihen, um seine kindliche Liebe zur Schau zu stellen.«
Wer jemals Peter Ustinov im Film gesehen hat, kann sich den Beifall vorstellen, den diese »listige Erfindung« (so Tacitus) fand. Gesagt, getan! Nero überredete Agrippina zu einer kleinen Seefahrt. Die irritierten Götter sandten freilich »eine sternhelle und bei unbewegter See ruhige Nacht ..., als ob sie die Schandtat enthüllen wollten.« Agrippina wurde von zwei Vertrauten begleitet, Crepereius Gallus und Acerronia. Auf ein verabredetes Zeichen stürzte das mit Blei beschwerte Dach der Kajüte herab. Crepereius war auf der Stelle tot. Die beiden Damen wurden dagegen durch die hervorstehenden Lehnen eines Ruhesofas geschützt. Das Schiff brach dann jedoch nicht wie geplant auseinander. So geht es immer. Schon Moltke hat darauf hingewiesen, daß der beste Kriegsplan die erste Feindberührung nicht überlebt. Alles geriet in Verwirrung, und »die Ausführenden (wurden) von der Menge der Uneingeweihten behindert« (Tacitus). Acerronia wurde irrig für Agrippina gehalten und erschlagen. 2 Agrippina sprang ins Meer und konnte sich schwimmend an das nahe Ufer und von da in ihr nahe gelegenes Landhaus retten. Sie dachte über alles nach und kam zu dem Ergebnis, daß dies kein gewöhnlicher Schiffbruch gewesen war. So sind sie, die Frauen, sie kriegen einfach alles raus! Nero beriet sich währenddessen mit seinem Erzieher Seneca, dem bereits erwähnten berühmten Philosophen, der für später schon auf seiner Liste stand, was dieser aber noch nicht wusste. Seneca kam auf die gänzlich unphilosophische Idee, nunmehr dem Befehlshaber der Prätorianer den Mord an Agrippina zu befehlen, was dieser aber offiziell aus Gründen des Soldateneides ablehnte (zu den inoffiziellen Gründen siehe oben). Immerhin war Agrippina die Tochter des Germanicus, der schon frühzeitig aus dem Weg geräumt worden war, und der als einziger aus der Julisch-Claudischen Sippe im Volk ein gewisses Ansehen genoß. Daraufhin bekam Anicetus den Mordbefehl. Als Freigelassener hatte er keinen Vorwand sich zu weigern. Er salutierte, klappte die Hakken zusammen, sprach »Jawoll, Majestät!« und drang in das Landhaus von Mama ein, wo er Mama gemeinsam mit seinen Mordgesellen zur Strecke brachte. Agrippina streckte dem Mörder ihren Schoß hin und sprach in klassischem Latein die Worte: »In den Leib stoße (der Nero getragen hat)“3. So geschah es, und in dieser Art geht es bei Tacitus weiter. Nero hat öffentlich geweint, als ihm dieser Spruch gemeldet wurde. Lest Tacitus, Leute, den großen Geschichtsschreiber. Alle Mordmerkmale, die wir heute in §211 StGB versammelt