Deutsche Geschichte. Ricarda Huch

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Название Deutsche Geschichte
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Документальная литература
Серия Sachbücher bei Null Papier
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783962817725



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ab­wei­chen­de Ge­bräu­che, wie dass die Ehe­lo­sig­keit der Geist­li­chen bei ih­nen kein Ge­bot war, haupt­säch­lich aber wa­ren sie, wenn sie auch mit dem rö­mi­schen Papst in Be­zie­hung stan­den, doch un­ab­hän­gig von ihm, in­dem der Be­griff der Fort­pflan­zung der gött­li­chen Pries­ter­wei­he durch den rö­mi­schen Bi­schof bei ih­nen nicht galt. Die Ge­ring­schät­zung, mit wel­cher die An­gel­sach­sen auf die Mönchs­kir­che her­ab­sa­hen, hat­te ver­mut­lich ih­ren Grund mehr dar­in, dass sie über­haupt die un­ter­wor­fe­ne Ras­se ver­ach­te­ten, als in den Ei­gen­hei­ten ih­rer Ver­fas­sung. Man­gel an Bil­dung konn­te man den Iro­schot­ten kaum vor­wer­fen, die so­gar Grie­chisch ver­stan­den und lehr­ten; es war wohl mehr et­was Re­gel­lo­ses, Schwei­fen­des, Fan­tas­ti­sches in ih­rem We­sen, was die An­gel­sach­sen ab­stieß. Der säch­si­sche Stolz war bei den An­gel­sach­sen noch ge­stei­gert; Win­fried war von vor­neh­mer Ab­kunft, dazu per­sön­lich durch das Macht­ge­fühl ei­nes über­ra­gen­den Geis­tes und un­beug­sa­men Cha­rak­ters ge­ho­ben. Die Be­keh­rung der Frie­sen war eine Auf­ga­be der Zeit, zu­erst vom Erz­bi­schof von York ver­sucht, der bei ei­ner Rom­rei­se an die frie­si­sche Küs­te ver­schla­gen war, wäh­rend der Fran­ken­herr­scher Pi­pin von He­ris­tall und des­sen Sohn Karl sie mit dem Schwert zu un­ter­wer­fen trach­te­ten. Der krie­ge­ri­sche An­griff ver­dop­pel­te die Wi­der­spens­tig­keit der Frie­sen ge­gen die Glau­bens­bo­ten; denn der neue Gott stell­te sich of­fen­sicht­lich dar als der Gott von Fein­den, die ih­rer Frei­heit nach­stell­ten. Ein Sieg Pi­pins hat­te zu­nächst Er­folg: der Frie­sen­häupt­ling muss­te einen Teil sei­nes Lan­des ab­tre­ten und eine Toch­ter ei­nem Soh­ne Pi­pins, Grim­sald, zur Frau ge­ben. Der an­gel­säch­si­sche Mis­sio­nar Wil­li­brord war Pi­pin als Ge­hil­fe will­kom­men, er grün­de­te das Klos­ter Ech­ter­nach, stell­te sich dem rö­mi­schen Papst vor und wur­de von die­sem zum Erz­bi­schof von Ut­recht ge­weiht, dem­sel­ben Ort, wo Rad­bod, der Frie­sen­häupt­ling, sei­nen Sitz hat­te. Die­ser ra­sche Er­folg war nicht von Dau­er: Grim­sald wur­de auf der Rei­se zu sei­nem er­krank­ten Va­ter in der Kir­che von Lüt­tich von ei­nem Frie­sen er­mor­det, der, wie man glaub­te, ein Be­auf­trag­ter Rad­bo­ds war. Als bald dar­auf Pi­pin starb, fiel das er­ober­te Ge­biet ab. So war die Lage, als Win­fried, etwa fünf­und­drei­ßig Jah­re alt, sich dem ver­schüt­te­ten Werk zu wei­hen be­schloss. Er fuhr nach Fries­land hin­über und hat­te eine Un­ter­re­dung mit Rad­bod; da­bei muss er den Ein­druck un­über­wind­li­chen Wi­der­stan­des emp­fan­gen ha­ben, denn er kehr­te bald in sein Klos­ter zu­rück, nicht um sei­nen Plan auf­zu­ge­ben, son­dern um ihn an­ders an­zu­pa­cken. Win­fried war nicht ein Glau­bens­bo­te, wie Co­lum­ban, Gal­lus, Pir­min ge­we­sen wa­ren, die das Feu­er ih­res Glau­bens auf die Hei­den zu über­tra­gen wuss­ten, die Mensch und Tier durch die frem­de Rede be­zau­ber­ten, auch mit der Faust drein­schlu­gen, wenn das Wort nicht ver­fing; Win­fried war ein Ari­sto­krat, dem es mehr auf Kul­tur als Re­li­gi­on an­kam, den das Un­ge­ord­ne­te mehr be­lei­dig­te als das Un­christ­li­che. Als ein rech­ter Eng­län­der sah er die Re­li­gi­on als Teil der staat­li­chen Ord­nung an und be­schloss, sein Be­keh­rungs­werk nicht als ein Aben­teu­rer gleich­sam von un­ten aus im Her­zen des Vol­kes, son­dern von oben und au­ßen her, als Or­ga­ni­sa­ti­on an die Hand zu neh­men, aus­ge­hend von der Spit­ze der Kir­che, dem rö­mi­schen Papst. Nach­dem er die eben er­hal­te­ne Abts­wür­de nie­der­ge­legt hat­te, ging er nach Rom, um sich vom Papst die Voll­macht zur Mis­si­ons­pre­digt zu ho­len. Auch die Rom­rei­se war et­was Zeit­ge­mä­ßes, sie wur­de von den bri­ti­schen In­seln aus mit Vor­lie­be un­ter­nom­men. Geist­li­che und welt­li­che Per­so­nen, männ­li­che und weib­li­che folg­ten dem Zuge nach der Haupt­stadt der Welt, nach dem hei­li­gen Son­nen­lan­de. Dort war, wie in un­se­ren Ta­gen, eine Ko­lo­nie von Frem­den, dort mach­te man in­ter­essan­te Be­kannt­schaf­ten, dort trank man, ge­löst vom All­tag, aus ei­nem Le­bens­stro­me, der über fa­bel­haf­ten Rui­nen vol­ler als an­ders­wo rausch­te. Die vier Päps­te, die Bo­ni­fa­ti­us er­leb­te, Gre­gor II., Gre­gor III., Za­cha­ri­as und Ste­phan III., wa­ren ihm ge­gen­über die Läs­si­ge­ren, wenn sie auch auf sei­nen Plan, die frän­ki­sche Kir­chen­hier­ar­chie auf­zu­bau­en, wil­lig ein­gin­gen. Als Haupt der Chris­ten­heit sich füh­lend, moch­ten sie den­ken, die Bar­ba­ren­rei­che wür­den ih­nen oh­ne­hin ein­mal als zei­ti­ge Frucht in den Schoß fal­len, zum Teil wa­ren sie mit­tel­mä­ßi­ge Leu­te, die nicht den im­mer­tä­ti­gen Geist des großen An­gel­sach­sen hat­ten. Die Ei­gen­schaf­ten und Zu­stän­de des Nor­dens wa­ren ih­nen we­nig be­kannt, die Schär­fe der Ab­nei­gung Win­frieds ge­gen die iri­schen Mön­che und ihre Mis­si­on, ge­gen die ver­welt­lich­ten frän­ki­schen Bi­schö­fe fühl­ten sie nicht mit. An­de­rer­seits wa­ren sie ge­wöhnt, von den ger­ma­ni­schen Chris­ten als Schieds­rich­ter und Wis­sen­de in un­zäh­li­gen Fra­gen des Staa­tes, der Kir­che, der Sit­te an­ge­ru­fen zu wer­den. Sie wa­ren die In­ha­ber der Tra­di­ti­on, von ih­nen glaub­te man er­fah­ren zu kön­nen, was gül­tig war. Nach­dem Win­fried dem Papst Gre­gor II. förm­lich ge­hul­digt und von ihm einen Ko­dex des ka­no­ni­schen Rech­tes emp­fan­gen hat­te, un­ter­warf sich der stol­ze Sach­se dem Ur­teil des rö­mi­schen Bi­schofs mit er­staun­li­cher Selb­st­über­win­dung. In den meis­ten Fäl­len wa­ren die Ent­schei­dun­gen der Päps­te so ver­stän­dig, dass sie ohne wei­te­res ein­leuch­te­ten; aber in dem ka­no­ni­schen Ge­setz zum Bei­spiel, wo­nach geist­li­che Ver­wandt­schaft, näm­lich die Pa­ten­schaft bei dem­sel­ben Kin­de, ein Ehe­hin­der­nis bil­det, konn­te er, ob­wohl er sich Mühe gab, be­greif­li­cher­wei­se kei­nen Sinn fin­den. Wie soll­te er de­nen, die un­ter die­ser Be­stim­mung zu lei­den hat­ten, den Grund ih­res Lei­dens be­greif­lich ma­chen? Da der Papst dar­auf be­stand, schluck­te er den Bis­sen ohne Sinn hin­un­ter. Wenn es sei­nen Be­griff von Re­li­gi­on an­ging, wenn er sah, wie in Rom heid­nischer Aber­glau­be un­ge­rügt sein We­sen trieb, konn­te er aber auch die Un­ter­wür­fig­keit ab­wer­fen und den Papst we­gen sei­ner un­zei­ti­gen Duld­sam­keit ab­kan­zeln, wie wenn er der Herr wäre. Aus­ge­stat­tet mit der Voll­macht des Paps­tes hat der Apos­tel in Thü­rin­gen und Hes­sen das heid­nische Volk be­kehrt, Klös­ter ge­grün­det und mäch­tig die hei­li­gen Ei­chen vor den ent­setz­ten Au­gen ih­rer Ver­eh­rer ge­fällt; aber die Or­ga­ni­sa­ti­on und die Be­leh­rung der Ge­bil­de­ten la­gen ihm mehr. Für die­se hat­te sei­ne Er­schei­nung et­was Blen­den­des, na­ment­lich für die ge­bil­de­te oder nach Bil­dung stre­ben­de Ju­gend. Als er auf sei­nen Rei­sen im Non­nen­klos­ter Pfal­zel bei Tri­er ein­kehr­te, des­sen Äb­tis­sin eine En­ke­lin des Mero­win­ger­kö­nigs Da­go­bert II. war, be­stand ihr fünf­zehn­jäh­ri­ger En­kel Gre­gor dar­auf, dem Frem­den zu fol­gen; eben­so schloss sich ihm der jun­ge Bayer Sturm an. Die Ju­gend wuss­te sich nichts Schö­ne­res, als die­sem Man­ne, der un­ent­wegt ein ho­hes Ziel ver­folg­te, der al­les Nied­ri­ge ver­ab­scheu­te, und der durch Nied­ri­ges un­be­rühr­bar zu sein schi­en, zu die­nen. Am liebs­ten wa­ren ihm als Mit­ar­bei­ter sei­ne Lands­leu­te, die auf sei­nen Wink be­geis­tert aus den an­gel­säch­si­schen Klös­tern her­bei­ström­ten. Un­ter ih­nen war eine Ver­wand­te, Lio­ba, de­ren Mut­ter, wäh­rend sie schwan­ger war, ge­träumt hat­te, sie tra­ge eine Glo­cke un­ter dem Her­zen, die zu läu­ten be­gin­ne. Da sie klug und be­gabt war, sich lie­ber mit Le­sen, Schrei­ben und Dich­ten als mit Hand­ar­beit be­schäf­tig­te, übergab man sie ei­nem Klos­ter; Bo­ni­fa­ti­us mach­te sie zur Äb­tis­sin