Название | Wach! |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Edition Aufatmen |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783417229998 |
SUSANNE TOBIES
Eine Frage der Liebe
Als ein mittleres Kind von fünf Geschwistern und aufgewachsen in einem turbulenten großen Handwerkerhaushalt mit Opa, Tante und Cousin musste ich schon immer flexibel sein. Ich hatte früh gelernt, mich anzupassen, und das kam mir durchaus in meinem weiteren Leben zugute: Verschiedene Umstände brachten öfter örtliche, berufliche oder familiäre Veränderungen mit sich, in die ich mich willig einfügte und das Beste herauszuholen wusste. Ich war immer bereit, den Faden eines verwirrten Knäuels, das mir das Leben vor die Füße warf, aufzunehmen und neu aufzuwickeln. Und das kam häufiger vor. Doch es gab eine Phase, die mir alles abverlangte und mich in die größte Krise meines Lebens katapultierte.
Anfang der 1990er-Jahre entschied sich mein Mann mit meiner ungeteilten Zustimmung, sich als Grafiker mit einer Werbeagentur selbstständig zu machen. Schon jahrelang hatte er sich nebenberuflich viel mit Werbung und Grafik beschäftigt, gute Ideen gehen ihm niemals aus – ein kreativer Kopf. Wir wussten um das Risiko, es in unserer kleinen Stadt zu wagen, umgeben von Elbe, Nordsee und viel grünem Hinterland. Doch der Schritt war nicht unüberlegt, und wir hatten nach viel Gebet und Gesprächen mit Freunden das Gefühl, grünes Licht von Gott zu bekommen.
Aber dann kam die Ent-Täuschung. Zu wenige Aufträge, um unsere fünfköpfige Familie zu ernähren. Zwei Jahre kämpften wir ums Überleben, dann traten wir die Flucht nach vorne an: Wir ergänzten die Ein-Mann-Werbeagentur um eine kleine Druckerei samt Wohnhaus, in das wir einzogen, übernahmen die vier Angestellten – und hatten auf einmal eine riesige Verantwortung. Doch trotz oft 16-stündiger Arbeitstage lagen die Einnahmen immer hinter den Kosten für Angestellte, Haus und Druckerei zurück. Kreativsein und Fleiß reichten einfach nicht aus. Zum einen war das kaufmännische Wissen bei uns nicht sehr ausgeprägt, zum anderen war in unserer kleinen Stadt der Markt nicht besonders groß. Dazu kam damals der große Umbruch im Printbereich: Mehr und mehr Personal Computer eroberten die privaten Haushalte, man stellte selbst Geburts- und Hochzeitsanzeigen, Flyer und kleine Plakate her. Die edlen individuellen Karten mit Umschlägen, die aufwändig gestalteten Prospekte und hochwertige Broschüren waren nicht mehr so gefragt.
Für uns war es eine Zeit, in der wir verzweifelt kämpften, schufteten, uns noch mehr einschränkten, obwohl wir schon immer bescheiden lebten. Ich wusste oft nicht, wie ich das nächste Paar Schuhe für die Kinder finanzieren sollte – und sie wuchsen so schnell. Komischerweise blieb mir aus der Zeit hauptsächlich in Erinnerung, dass ich damals jeden Geldbetrag in Kinderschuhe umrechnete …
Freunde halfen aus, wofür wir dankbar waren, aber es war zugleich eine weitere demütigende Erfahrung. Unser Stolz auf unsere harte Arbeit, auf eigene Leistung wurde gebrochen. Und es nützte nichts. Nach weiteren zwei Jahren mussten wir den Tatsachen ins Auge sehen: Die Druckerei würde sich niemals tragen. Wir verkauften Haus und Inventar mit großem Verlust und zogen ins Haus meiner Eltern.
Vertrauensverlust
Die folgende Zeit der Arbeitssuche war für meinen Mann und mich gekennzeichnet von existenziellen Zweifeln und Vertrauensverlust gegenüber Gott. Hatten wir nicht gerungen darum, seinen Willen zu erfahren? Hatte er nicht seine Zustimmung gegeben? Hatten wir ihm nicht immer treu gedient, viel Zeit und Arbeitskraft in sein Reich investiert? Was sollte das? War Gott überhaupt auf unserer Seite? Wir wussten einfach nicht mehr, ob Gott der liebende Gott war, den die Bibel uns anpries. Keines unserer vielen Gebete war erhört worden. Wir quälten uns mit Fragen, doch das große Schweigen Gottes dauerte an.
In welche Richtung wir auch blickten, es gab zu dem Zeitpunkt kein Fortkommen, kein »… hinterm Horizont geht’s weiter …« – obwohl dieses Lied von Udo Lindenberg damals das einzig tröstende für mich war, eines, das meine verstörte Seele wirklich erreichen und berühren konnte. Dabei war es nicht einmal ein christliches Lied. Wir standen auf der Stelle. Es ging nicht vor und nicht zurück. Wir waren wie gelähmt.
Ein Missverständnis?
Das Neue Testament erzählt öfter von gelähmten Menschen – oftmals ja nicht nur ein körperlicher, sondern auch ein seelischer Zustand. Eine Geschichte spricht mich besonders an:
Da kamen vier Männer, die einen Gelähmten auf einer Matte trugen. Es gelang ihnen nicht, durch die Menge zu Jesus vorzudringen, deshalb deckten sie das Dach über ihm ab. Dann ließen sie durch die Öffnung den Kranken auf seiner Matte hinunter. Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: »Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.«
Markus 2,3-5
Da liegt er nun, der Gelähmte, und es ist doch für alle Augen offensichtlich, was er braucht. Er braucht Heilung von seiner Krankheit! Deswegen haben ihn ja seine Freunde zu Jesus gebracht: weil sie gehört haben, dass Jesus hilft und heilt. Aus keinem anderen Grund sind sie gekommen und haben die Mühen auf sich genommen. Ist doch sonnenklar.
Aber was macht Jesus? Er spricht mit dem Gelähmten und sagt: »Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!« Das muss für die Betroffenen und Zuschauer wie ein Schock gewesen sein – ein großes Missverständnis! Wegen seiner Sünden war der Gelähmte doch nicht zu Jesus gebracht worden! Er wollte wieder laufen können, sich bewegen können, vielleicht erstmals einer Arbeit nachgehen können. Er wollte von den Fesseln seiner Krankheit befreit werden und ein normales Leben führen.
Ja, das wollte ich auch. Ein normales Leben führen. Bescheiden, aber mit ausreichendem Einkommen. Ohne die Demütigung des vermeintlichen Versagens. Ohne die kräftezehrenden Turbulenzen, die Traurigkeit, die Enttäuschung, die das Geschehen mit sich gebracht hatte. So ging es mir ja oft: Ein offensichtliches Problem beschäftigte mich und ich betete: »Jesus, hilf mir! Du kannst alles! Du kannst helfen, das Problem zu beseitigen!« Und ich wusste genau, was Jesus tun sollte, hatte genaue Vorstellungen davon, auf welche Weise Jesus helfen sollte.
Doch manchmal handelt Jesus anders, als wir es erwarten. Denn er sieht tiefer. Er sieht, was unsere wahren Bedürfnisse und Nöte sind, die manchmal so sehr in uns vergraben sind, dass wir sie selbst nicht erkennen. Er sieht, was im wahrsten Sinn des Wortes wirklich not-wendig ist.
So geschah es dem Gelähmten. Jesus sah in sein Herz. Was er zuallererst brauchte, war, frei von Sünde zu werden. Und dann erst frei von Krankheit. Jesus schaut tiefer. Er schaut nicht nur auf den Körper, er schaut nicht nur auf äußere Lebensumstände, sondern er blickt in unsere Seele. Er sieht, was wir wirklich brauchen, um heil zu werden, was unsere allertiefste Sehnsucht ist. Und auf dieser Ebene will er mit uns in Kontakt kommen.
So geschah es auch bei mir. Auch in mein Herz hat Jesus tief geschaut. Ein trauriger Höhepunkt in der damaligen notvollen Zeit war für mich eine schlaflose Nacht, als ich Gott anschrie: »Ich glaube dir gar nichts mehr! Du bist nicht vertrauenswürdig! Du bist nicht die Hilfe in der Not! Alles Lüge!« Das Paradoxe war: Ich kündigte Gott mein Vertrauen auf, klagte ihn an – aber gleichzeitig klammerte ich mich immer noch an ihn. Ich wandte mich in aller Ehrlichkeit und Schutzlosigkeit, mitten in all meinen Zweifeln und meiner fassungslosen Wut direkt an ihn. Wohin auch sollte ich sonst gehen? Er war die Adresse meines Zorns, meiner Verwirrung und Hilflosigkeit. Er blieb mein Bezugspunkt. Und darauf antwortete er mir endlich. Zuerst kam ein großer Friede über mich, wie ich ihn schon lange nicht erlebt hatte. Er blieb bei mir nicht nur in dieser Nacht, sondern auch am folgenden Tag und die kommende Woche über und immer weiter – obwohl sich an unserer Situation nichts geändert hatte. Ich konnte es mir selbst nicht erklären. Diese innere Ruhe war von da an meine Begleiterin.
Picknick mit Gott