Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt

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Название Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl
Автор произведения Jan Quenstedt
Жанр Документальная литература
Серия NET – Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783772001208



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Evangelische, die nicht austreten möchten, Diakonie, VerkündigungVerkündigung und die Vertretung von Werten zustimmungsfähige kirchliche HandlungsfelderHandlungsfelder sind, befürworten die konfessionslosen Befragten mehrheitlich ausschließlich diakonische Tätigkeiten als Aufgabengebiet der evangelischen Kirche. Abgesehen von den austrittsbereiten Evangelischen, die keiner Aussage dazu, was Kirche tun soll, mehrheitlich zustimmen, wird die Förderung von Kunst und Kultur als kirchliches Tätigkeitsfeld generell akzeptiert.“8 Eine anschließende Frage führt nun doch den Begriff „Diakonie“ ein, indem sie die Zustimmung zum Betreiben diakonischer Einrichtungen (z.B. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen) abfragt, die im Ergebnis in allen Gruppen vorhanden ist. Lediglich in der Gruppe der kaum oder nicht verbundenen und austrittsbereiten Evangelischen halten sich Zustimmung und Ablehnung die Waage. Damit wird deutlich, dass „[d]iakonisches Handeln […] das einzige auch unter Konfessionslosen mehrheitlich zustimmungsfähige Gebiet kirchlichen Handelns [ist].“9 Allerdings ist die ErwartungshaltungErwartungshaltung der Konfessionslosen in Bezug auf das diakonische Handeln der Kirche geringer ausgeprägt als bei den Kirchengliedern.

      Das folgende Kapitel der V. KMU wendet sich der Frage nach sogenannten Diakonischen Potenzialen zu und knüpft damit nahtlos an das vorangehende Kapitel an, das deutlich zeigte, dass sowohl Evangelische als auch Konfessionslose ein soziales Engagement der Kirche erwarten.10 Aufgrund der hohen Zustimmungswerte für das diakonische Engagement von Kirche legt sich der Gedanke nahe, „dass diakonische Einrichtungen hier eine wichtige Brückenfunktion innehaben. Dies schlägt sich nicht zuletzt darin nieder, dass Konfessionslose der Diakonie weitaus mehr Vertrauen entgegenbringen als der evangelischen Kirche […] – ein Rahmen, in dem sogar religiöse KommunikationKommunikation denkbar werden kann. So tauschen sich z.B. Konfessionslose, welche der Diakonie vertrauen, im Vergleich zu den übrigen Konfessionslosen wesentlich häufiger über Sinnfragen oder religiöse Themen aus.“11 Aus praktisch-theologischer Perspektive könnte an diese Wahrnehmung angeschlossen werden, indem stärker danach gefragt wird, inwiefern „Diakonie“ ein missionarischer Aspekt inhärent ist und inwiefern dieser für das kirchliche Leben fruchtbar zu machen ist. Eine geringe Kompetenz wird der Kirche von den Konfessionslosen allerdings in Bezug auf die Lösung von sozialen Problemen zugesprochen. Zunächst werde daran deutlich, „dass das Alleinstellungsmerkmal der Kirche im Bereich Religion und nicht so stark im Bereich Soziales liegt, was einen ganz engen Zusammenhang von Religion und Sozialem relativiert.“12 Interessant an dieser Aussage ist, dass Tätigkeiten im Bereich Religion von den Befragten aber gerade nicht als primäres Handlungsfeld kommuniziert wurden – der Fokus lag wie soeben dargestellt auf den sozialen Tätigkeiten. Zu erklären könnte dieses Paradox mit dem Hinweis sein, dass „Diakonie“ von den Befragten nicht bzw. wenig als „sozialer Beitrag der Kirche wahrgenommen [wird.] Das recht verbreitete Vertrauen in die Diakonie schlägt deshalb vor allem bei den Konfessionslosen nicht auf die der Kirche zugeschriebene Kompetenz in sozialen Dingen durch.“13 Eventuell könnte dieses Ergebnis als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass für einen Großteil der Befragten eine Verbindung zwischen evangelischer Kirche und institutionalisierter Diakonie nicht mehr deutlich ist. Worauf dies zurückzuführen ist, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Jedoch erscheint dieser Umstand höchst bedenklich, wenn „Diakonie“ als LebensäußerungLebensäußerung von Kirche verstanden werden soll.14

      Weiterführend wäre nach dem sozialen Engagement von Evangelischen und Konfessionslosen zu fragen. Auch diesem Themenbereich widmet die V. KMU ihre Aufmerksamkeit, befragt sie doch die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer nach ihrem ehrenamtlichen Engagement. Dies geschieht unter dem Stichwort des „SozialkapitalsSozialkapital“. Darunter ist die „Frage nach der Existenz und der Entwicklung sozialen Vertrauens aufgrund sozialen Engagements“15 zu verstehen unter der zentralen Annahme, „dass freiwilliges Engagement sich günstig auf die Ausbildung sozialen Vertrauens gegenüber (allen) Mitmenschen auswirkt.“16 Grundsätzlich festzuhalten ist das innerkirchliche Engagement von Evangelischen, darüber hinaus sind viele Evangelische aber auch außerhalb der Kirche engagiert; sie sind „überdurchschnittlich oft bereit, sich sozial zu engagieren.“17 Offen bleibt, mit welcher MotivationMotivation dieses Engagement geschieht.18 Anhand der Ergebnisse wird hingegen deutlich, dass mit dem Engagement offensichtlich ein starkes Vertrauen in Institutionen, soziale Gefüge und Menschen verbunden ist, das sich positiv auf das soziale Gefüge innerhalb der Gesellschaft auswirkt. Dieses Vertrauen könnte sich unter anderem aus „religiös-normativen Motive[n] christlicher NächstenliebeNächstenliebe“19 speisen. Oder auch aus dem aktiven Engagement, das vielfältige Begegnungsmöglichkeiten schafft.

      2.3 Kritische Würdigung

      Die empirischen Annäherungen haben gezeigt, dass in Bezug auf die Evaluation der MotivationMotivation und des Selbstverständnisses von Mitarbeitenden in der Diakonie ein erheblicher Forschungsbedarf besteht. Die in Kapitel II.2.1 angeregte Studie könnte dazu beitragen, PräambelnPräambel und Leitbilder zu entwickeln, die auch orientiert sind am Verständnis derjenigen Personen, für die sie eine maßgebliche Relevanz innerhalb ihres alltäglichen Diensts besitzen. Zugleich könnte eine solche Studie ermessen, ob theologisch-theoretische Begründungszusammenhänge eine Relevanz für das Personal der Diakonie haben.

      Die V. KMU zeigte, dass von der Kirche ein soziales Engagement erwartet und auch wahrgenommen wird. Dabei wird dieses Engagement nicht nur von Seiten der Institution Kirche mit Leben gefüllt, sondern auch von ihren MitgliedernMitglied – Evangelische Christen zeigten laut der Studie meist ein großes soziales Engagement. Auch an dieser Stelle sollte weiterführend gefragt werden, welche Motivationslagen zu diesem Engagement führen. Ferner erhält das soziale Handeln der Kirche hohe Zustimmungswerte und lässt diesen Bereich kirchlichen Lebens noch vor dem vermeintlichen kirchlichen Kerngeschäft, der VerkündigungVerkündigung des Evangeliums, rangieren. Ist somit – im Hinblick auf das Engagement Evangelischer und die allgemeine Anerkennung des sozialen Handelns der evangelischen Kirche – eine entsprechende theoretisch-theologische Grundlegung überhaupt notwendig? Prägnant formuliert: Benötigt eine selbstverständliche Handlung, ein selbstverständliches und gesellschaftlich anerkanntes Verhaltensmuster eine (neue) theoretische Begründung bzw. Reflexion? Und weiterführend, soweit diese Frage zu bejahen ist: Was können bereits existierende und im Entstehen begriffene Studien zu dieser Reflexion beitragen? Weiter zu untersuchen wäre die dargestellte Diskrepanz zwischen dem großen Vertrauen in die Diakonie bei gleichzeitigem geringem Vertrauen in die Möglichkeiten der Kirche, zur Lösung sozialer Probleme beizutragen.

      Zweifelsohne wären aus der V. KMU noch vielfältige andere Erkenntnisse und Frageperspektiven zu extrahieren. Für den vorliegenden empirischen Annäherungsversuch sollen die vorgestellten Einsichten zunächst genügen. Es ist deutlich geworden, dass der „Diakonie“ eine große Bedeutung von den Befragten zugesprochen wird und sie eine Präsenz im Alltag vieler Menschen besitzt.

      3. Exegetische Wissenschaft und „Diakonie“

      Im Folgenden werden forschungsgeschichtliche Stationen in den Blick genommen, die die wissenschaftlich-theologische Arbeit am DiakoniebegriffDiakoniebegriff im 20. Jahrhundert illustrieren. Dabei sind drei Arbeiten besonders aufschlussreich. Zunächst werden die Ausführungen Hermann Wolfgang Beyers aus den 1930er Jahren dargestellt. Als zweite Station sei eine Monographie John N. Collins’ dargestellt, der seine Ausführungen unter dem Titel „Diakonia: Re-Interpreting the Ancient Sources“ vorgetragen und 1990 veröffentlicht hat. Letztlich soll Anni Hentschel mit ihrer Studie „Diakonie im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen“ (2007) Beachtung finden.

      Folgende Fragen sollen die drei Darstellungen begleiten und vergleichbar machen: Zunächst verdient Beachtung, welche biblischen Perikopen zur Begründung diakonischen Handelns herangezogen werden. Deswegen ist zu fragen, ob sich die Studien nur auf eine Auswertung der Belegstellen für die neutestamentliche διακ-Wortgruppe stützen, oder ob weitere Perikopen zum Erkenntnisgewinn herangezogen werden. Sodann stellt sich die Frage, wie diakonisches Handeln nach Meinung der vorgestellten Studien zu verstehen sei. Damit verbunden ist die Frage, was das Surplus christlicher „Diakonie“ gegenüber anderweitig motiviertem Hilfehandeln ist – sofern „Diakonie“ von den Studien überhaupt als „soziales Handeln“ verstanden wird. Ist Letzteres nicht der Fall,