Das Raunen und Tuscheln der Wüste. Bell Gertrude Lowthian

Читать онлайн.
Название Das Raunen und Tuscheln der Wüste
Автор произведения Bell Gertrude Lowthian
Жанр Книги о Путешествиях
Серия Die kühne Reisende
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783843805230



Скачать книгу

Onkel als unbequemes Erbe Land in Zentralarabien hinterlassen hat. Zwei Jahre lang hatte ich nichts mehr aus Nejd gehört; wie stand es um Ibn Saud, dem Herrscher von Riyadh, Ibn Rasheeds Rivalen? Was war mit dem Krieg, den sie gegeneinander führten? Mabuk hatte viele Gerüchte gehört; Männer hatten gesagt, dass Ibn Rasheed in großer Not sei, vielleicht, wer weiß?, waren die Redifs auf dem Weg nach Nejd und nicht nach Jemen. Und hatten wir schon gehört, dass die Ajarmeh den Scheich der Sukhur ermordet hatten, und dass, sobald der Stamm von den Weiden im Osten zurückkehre … Es waren die uralten Geschichten von Blutrache und Kamelraub, das Raunen und Tuscheln der Wüste – ich hätte vor Freude weinen können, das alles wieder zu hören. An meinem Lagerfeuer herrschte an jenem Abend ein Babel arabischer Sprachen, Mikhail sprach die vulgäre, gänzlich würdelose Sprache Jerusalems, Habib, atemberaubend schnell, einen Dialekt des Libanons, Muhammed das gedehnte, langsame und monotone Beirutisch, und der Neger sprach etwas, das der virilen, schönen Sprache der Beduinen ähnelte. Auch die Männer staunten über die Unterschiede in ihrer Sprache, einmal wandten sie sich zu mir und fragten, welche die richtige sei. Ich konnte nur antworten, »Das weiß Gott allein!, denn Er ist allwissend!«, was mit Lachen quittiert wurde. Ich gestehe allerdings, dass ich mich dabei nicht ganz wohl fühlte.

      Der nächste Tag begann windstill und grau. Grundsätzlich sollten zwischen meinem Aufwachen und dem Aufbruch der Maulesel anderthalb Stunden liegen, manchmal brachen wir zehn Minuten früher auf, manchmal, leider!, etwas später. Ich verbrachte die Zeit im Gespräch mit dem Brückenwächter, der aus Jerusalem stammte. Meinen mitfühlenden Ohren vertraute er seine Sorgen an, die üblen Tricks, mit denen die osmanische Regierung ihn zu betrügen pflege, und die furchtbare Last der Existenz in der Hitze des Sommers. Und der Lohn!, wenig mehr als nichts! Seine Einnahmen waren allerdings höher, als er einzuräumen bereit war, denn später entdeckte ich, dass er mir für jedes meiner sieben Tiere nicht zwei, sondern drei Piaster berechnet hatte. Es ist einfach, mit Orientalen im besten Einvernehmen zu sein, und wenn ihre Freundschaft einen Preis hat, ist er meist sehr niedrig. Also überschritten wir den Rubikon für drei Piaster pro Kopf und nahmen die nördliche Straße nach Salt. Die südliche führte nach Madeba in Moab, die mittlere nach Heshban, wo Sultan ibn Ali id Diab ul Adwan lebt, Scheich aller Belka-Araber und ein wahrer Schurke. Die Ostseite des Jordangrabens ist erheblich fruchtbarer als die Westseite. Von den schönen Hängen des Ajlun fließt genug Wasser, um die Ebene in einen Garten zu verwandeln, aber es gibt keine Wasserspeicher und die Araber der Adwan-Stämme begnügen sich damit, ein wenig Getreide anzubauen. Noch blühte nichts, Ende März aber verwandelt sich der östliche Ghor in einen bunten, wunderbaren Blütenteppich. Wegen der Gluthitze in diesem Tal ist nach einem Monat alles vorbei, die Pflanzen haben nur diesen einen Monat, um zu knospen, zu erblühen und ihre Samen auszustreuen.

      Ein zerlumpter Araber zeigte uns den Weg. Er war hier, weil er sich den Redifs hatte anschließen wollen, ein wohlhabender Einwohner von Salt hatte ihm fünfzig Liras gegeben, damit er als sein Ersatzmann einzieht. Aber an der Brücke musste er feststellen, dass er zu spät kam, sein Regiment war vor zwei Tagen vorbei gezogen. Das tat ihm leid, er wäre gern in den Krieg marschiert (außerdem würde er vermutlich die fünfzig Liras zurückgegeben müssen), aber seine Tochter werde sich freuen, sagte er. Sie habe geweint, als er fort ging. Er blieb stehen und zog einen seiner Lederschlappen aus dem Schlamm.

      »Im nächsten Jahr, wenn es Gott gefällt«, sagte er, als er mich wieder eingeholt hatte, »fahre ich nach Amerika.«

      Erstaunt betrachtete ich die halbnackte Gestalt. Die Schuhe fielen ihm von den bloßen Füßen, das zerrissene Gewand glitt von der Schulter, er trug die Kopfbedeckung der Wüste, ein mit einem Kamelhaarseil befestigtes Tuch.

      »Sprichst du Englisch?«, fragte ich.

      »Nein«, antwortete er ruhig, »aber in einem Jahr habe ich das Geld für die Reise zusammen, denn bei Gott, hier ist kein Fortkommen!«

      Ich fragte ihn, was er in den Vereinigten Staaten tun wolle.

      »Kaufen und verkaufen«, sagte er; »und wenn ich 200 Liras gespart habe, komme ich zurück.«

      Diese Geschichte hört man überall in Syrien. Jahr für Jahr brechen Hunderte auf, und wohin sie auch kommen, überall finden sie Landsleute, die ihnen helfen. Sie bieten auf der Straße billige Waren an, schlafen unter Brücken, ernähren sich von einer Kost, die niemand aus freien Stücken zu sich nehmen würde. Sobald sie um die 200 Liras haben, kehren sie in die Heimat zurück, damit sind sie in den Augen ihres Dorfes reiche Männer. Östlich des Jordans wandern nicht so viele aus, aber einmal hielt ich in den Hauranbergen einen Drusen an, um ihn nach dem Weg zu fragen, und er antwortet mir in reinstem Yankee-Englisch. Ich hielt mein Pferd an, während er mir seine Geschichte erzählte, am Ende fragte ich ihn, ob er zurückgehen werde. Er stand knietief in Schlamm und Schneematsch, sah auf die Steinhütten seines Dorfs: »Und ob!« antwortete er, und als ich mich abwandte, rief er mir ein fröhliches »So long!« nach.

      Nach einem zweistündigen Ritt erreichten wir die Berge und nahmen den Weg durch ein enges, gewundenes Tal, das mein Freund, nach dem gleichnamigen Stamm, Wadi el Hassaniyyeh nannte. Es war voller Anemonen, weißem Ginster (die Araber nennen ihn Rattam), Zyklamen, Traubenhyazinthen und wilden Mandelbäumen. Für Pflanzen ohne Nutzen, so schön sie sein mögen, hat das Arabische keine Namen; sie sind alle hashish, Gras; andererseits benennt und unterscheidet ihre Sprache noch das kleinste Pflänzchen, sofern es von Nutzen ist. Der Weg, wenig mehr als ein Ziegenpfad, stieg langsam an. Unmittelbar bevor wir in den Nebel eintauchten, der den Berggipfel einhüllte, sahen wir unter uns im Süden das Tote Meer, es lag unter dem grauen Himmel wie eine riesige Milchglasscheibe. Um vier Uhr nachmittags erreichten wir bei typischem Bergwetter mit nassem, dahinjagendem Nebel Salt. Der Boden rund um das Dorf war sumpfig, hier war der Regen gefallen, der in der Nacht über uns hinweggezogen war. Ich zögerte, das Lager aufzuschlagen, weil ich auf eine trockenere Unterkunft hoffte. Als erstes suchte ich das Haus von Habib Effendi Faris, denn ich war nach Salt gekommen, um ihn zu besuchen, auch wenn ich ihn nicht kannte. Für die Fortführung meiner Reise war ich völlig von seiner Unterstützung abhängig und hoffte sie wegen folgender Verbindung zu bekommen: Er war mit der Tochter eines aus Haifa gebürtigen Predigers verheiratet, Abu Namrud, und dieser würdige alte Mann war ein enger Freund von mir. Seine Familie stammt aus Urfa am Euphrat, aber er hatte lange in Salt gelebt und kannte die Wüste. Er sollte mich Grammatik lehren, aber den überwiegenden Teil der Unterrichtsstunden verbrachte ich damit, seinen Geschichten über die Araber zu lauschen – und über seinen Sohn Namrud. Dieser arbeitete mit Habib Faris zusammen, einen Namen, den jeder Araber der Belka-Hochebene kannte.

      »Solltet Ihr jemals in die Wüste wollen«, hatte Abu Namrud gesagt, »geht zu meinem Sohn.« Also ging ich zu Namrud.

      Man musste nicht viel herumfragen, um zu erfahren, wo Habib Faris’ Haus lag. Ich wurde herzlich empfangen, Habib war nicht da und Namrud fort (verließ mein Glück mich?) Aber ob ich nicht hereinkommen und mich ausruhen wolle? Das Haus war klein, die Kinder zahlreich; während ich mich noch fragte, ob die schlammige Erde vielleicht doch das bessere Bett sei, kam ein prachtvoller, alter Mann, ganz arabisch gekleidet, griff die Zügel meines Pferdes, und erklärte, dass niemand anders als er mich bewirten werde. Dann führte er mich fort. Ich ließ mein Pferd an der Karawanserei, erklomm eine lange, schlammige Treppe und stand schließlich in einem gepflasterten Innenhof. Yusef Efendi eilte voran und öffnete die Tür zu seinem Gastzimmer. Fußboden und Diwan waren mit dicken Teppichen bedeckt, in den Fenstern war Glas (auch wenn viele Scheiben zerbrochen waren), an der Wand stand eine europäische Chiffoniere: Das war mehr, als ich erhofft hatte. Binnen Minuten hatte ich mich eingerichtet, trank Yusefs Kaffee und aß meinen eigenen Kuchen.

      Yusef Effendi Sukkar (Friede sei mit ihm!) ist Christ und einer der reichsten Männer Salts. Er ist wortkarg, aber als Gastgeber sucht er seinesgleichen. Er servierte mir ein hervorragendes Mahl, und als ich gegessen hatte, bekam Mikhail die Reste. Mein Gastgeber hatte für mein körperliches Wohl gesorgt, aber meine Ängste hinsichtlich meiner Weiterreise konnte oder wollte er mir nicht nehmen. Zum Glück kamen just in diesem Augenblick Habib Faris und seine Schwägerin Paulina, eine alte Bekannte, sowie einige weitere Würdenträger. Alle wollten sich unbedingt ›die Ehre geben‹, weil sie auf einen Abend mit Gesprächen hofften. (»Bei Gott dem Herrn! Die Ehre ist ganz die Meine!«) Wir setzten uns und tranken den bitteren