Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit. Melissa Gira Grant

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Название Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit
Автор произведения Melissa Gira Grant
Жанр Социология
Серия Nautilus Flugschrift
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783960541639



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      Melissa Gira Grant ist freie Journalistin und ehemalige Sexarbeiterin. Sie schreibt über Sex, Politik und Technologie und veröffentlicht regelmäßig in The Nation, The Atlantic, Wired, dem Guardian u. v. a. 2010 gründete sie den Verlag Glass Houses Press. www.melissagiragrant.com

      Mithu M. Sanyal, geb. 1971, arbeitet als Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin mit Schwerpunkt auf Popkultur, Postkolonialismus und Feminismus. Ihr Buch Vulva erschien 2009.

       MELISSA GIRA GRANT

       HURE

       SPIELEN

       DIE ARBEIT DER

       SEXARBEIT

       MIT EINEM VORWORT VON MITHU M. SANYAL

       AUS DEM ENGLISCHEN ÜBERSETZT VON GEORG FELIX HARSCH

      Die Originalausgabe des vorliegenden Buches erschien unter dem Titel

      Playing the Whore. The Work of Sex Work bei Verso, London & New York, 2014

      Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg

      Schützenstraße 49 a · D - 22761 Hamburg

       www.edition-nautilus.de

      Alle Rechte vorbehalten · © Edition Nautilus 2014

      Deutsche Erstausgabe August 2014

      Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg

       www.majabechert.de

      Porträt der Autorin Seite 2: Noah Kalina

      1. Auflage

      Print ISBN 978-3-89401-799-6

      E-Book ePub ISBN 978-3-86438-165-2

      Inhalt

       Vorwort von Mithu M. Sanyal

       1. Die Polizei

       2. Die Prostituierte

       3. Die Arbeit

       4. Die Debatte

       5. Die Branche

       6. Das Guckloch

       7. Das Stigma

       8. Die anderen Frauen

       9. Die Retter_innen

       10. Die Bewegung

       Danksagung

       Anmerkungen

      Wenn Sex nicht die Antwort ist, was ist dann die Frage?

      Von Mithu M. Sanyal

      Als die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland ausgetragen wurde, erreichten die feministische Zeitschrift, für die ich damals arbeitete, nahezu täglich Meldungen von NGOs: 40 000 Frauen sollten von Menschenhändlern nach Deutschland geschleust werden, um den Fans sexuell zu Diensten zu sein. Wir diskutierten Boykottaufrufe und verfolgten mit angehaltenem Atem die Bordellrazzien, die Opfer von Menschenhandel finden sollten, aber nicht finden konnten. Das Bundeskriminalamt war ebenso alarmiert und ging in seinem Jahresbericht explizit auf die Fälle von Menschenhandel mit Bezug zur WM ein. Und jetzt kommt der Clou: Es gab fünf.1 Das sind fünf zu viel, aber 39 995 weniger als erwartet. Nun wird es mit Sicherheit eine Dunkelziffer geben, trotzdem ist die Differenz von 800 000 Prozent unerklärlich. Ist sie das?

      Was wir nicht wussten, war, dass die magische Zahl 40 000 bei allen großen Sportevents, wie beispielsweise der WM in Südafrika vier Jahre später oder den Olympischen Spielen in England 2012, erneut zirkulieren würde. Was wir noch viel weniger wussten, war, dass diese Zahl das Geisteskind des rechtsreligiösen amerikanischen Hunt Alternatives Fund war (einer Tochter der Ölfirma HL Hunt, deren Gründer gleichen Namens die Ansicht vertrat, dass Wahlberechtigung in einem direkten Verhältnis zum persönlichen Vermögen stehen solle). Mit Hilfe der Consultingfirma Abt Associates lanciert der Hunt Alternatives Fund Berichte in den Medien, bei denen es ihm, wie er offen in seinem Bericht »Developing a National Action Plan for Eliminating Sex Trafficking«2 zugibt, nicht um verifizierbare Zahlen geht, sondern darum, öffentlichkeitswirksame Events zu nutzen, um Gesetzesentwürfe gegen Prostitution zu befördern.3

      Hunt Alternatives Fund ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Organisationen, die sich berufen fühlen, Sexarbeiter_innen zu retten. Die Soziologin Laura María Agustín prägte dafür den Terminus »Rescue Industry«. Wegen ihrer Kritik an dem Geschäft mit der Angst vor dem Menschenhandel zum Zweck der Prostitution wird Agustín häufig als Holocaust-Leugnerin beschimpft, was nichts anderes bedeutet, als dass Prostitution mit der systematischen Vernichtung von Juden, Roma und Homosexuellen gleichgesetzt wird. Hier geht es um mehr als unterschiedliche Ansichten darüber, welche Berufe gut sind und welche schlecht. Hier geht es um Leben und Tod. Und seit Alice Schwarzer im Herbst 2013 ihren »Appell gegen Prostitution« in der deutschen Debatte platzen ließ wie eine Stinkbombe, fliegen auch bei uns (wieder) die Fetzen.

      An dieser Stelle setzt Melissa Gira Grant ein. Hure spielen ist das Buch, auf das die Leute, die ich kenne und die sich für Sexworker-Rechte einsetzen, gewartet haben. Nicht nur, weil Gira Grant selbst Sexarbeiterin gewesen ist – sie redet von daher nicht »über« andere Menschen –, sondern weil sie die Debatte vom Kopf auf die Füße stellt. Wenn es um Prostitution geht, richtet sich der forschende Blick in der Regel auf die Prostituierten und ihre Freier. Selten kommen diejenigen ins Blickfeld, die das Leben von Sexarbeiter_innen deutlich mehr formen und kontrollieren: Anti-Prostitutions-Pressure-Groups, Politiker, Polizei und Presse. Melissa Gira Grant nimmt diese ins Visier und stellt die Frage: Was motiviert sie? Was bekommen sie für ihr Engagement? Und worauf basieren ihre Überzeugungen?

      Abgesehen davon, dass mit der Rettungsindustrie eine Menge Geld zu machen ist, setzen sich die meisten Menschen – davon bin ich überzeugt – aus Sorge ein. Wir müssen nicht darüber diskutieren, dass Sexarbeit – meist – ein prekärer Beruf ist. Aber liegt das am Sex oder daran, dass Sexarbeit zwar legalisiert, aber immer noch stigmatisiert ist? Oder an noch einmal ganz anderen Faktoren wie Geld, Herkunft, Gesundheit etc.? Bei der letzten Podiumsdiskussion, an der ich teilgenommen habe, meldete sich eine Frau aus dem Publikum und erklärte: