Jörg Marxen
Der Wert der Sehnsucht
Annäherungen an eine reife Perspektive
Vortrag am 8. Februar 2020 im Rahmen des Symposiums »Alexa — still’ meine Sehnsucht« 7.–9. Februar 2020 in Bad Oeynhausen
Copyright: © 2020 Jörg Marxen
Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Umschlag & Satz: Erik Kinting
Titelfoto: © Jörg Marxen
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-347-14836-9 (Paperback)
978-3-347-14837-6 (Hardcover)
978-3-347-14838-3 (e-Book)
(ISBNs der englischen Ausgabe:
978-3-347-14839-0 (Paperback)
978-3-347-14840-6 (Hardcover)
978-3-347-14841-3 (e-Book))
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Veranstalter des Symposiums Alexa – still’ meine Sehnsucht war die Median Klinik am Park Bad Oeynhausen in Zusammenarbeit mit dem Weiterbildungskreis Psychosomatische Medizin und Analytische Psychotherapie e. V und dem Psychotherapeutischen Lehrinstitut ZAP, staatl. anerkannte Ausbildungsstätte für Psychologische PsychotherapeutInnen und Kinder- und JungendlichenpsychotherapeutInnen.
Joerg Marxen ist niedergelassen als Psychologischer Psychotherapeut und Coach (TP, Hypnotherapie, Entwicklung von Wertesystemen, Organisationen und Unternehmen).
Kontakt zum Autor:
Jörg Marxen
Am Neuen Petritore 7
38100 Braunschweig
Vorwort
Im Jahre 2011 veröffentlichte die American Psychological Association einen Artikel, der der Frage nachgeht, ob Sehnsucht nur etwas für Deutsche ist: Is Longing Only for Germans? A Cross-Cultural Comparison of Sehnsucht in Germany and the United States. Die Autoren (Scheibe, Blanchard-Fields, Wiest & Freund, 2011) machen deutlich, dass Sehnsucht angesichts aller Unterschiedlichkeiten in beiden Kulturen bedeutsam ist und in beiden Kulturen sowohl funktional als auch dysfunktional wirken kann.
Immer wieder wurde und werde ich Zeuge des Phänomens, dass Sehnsucht für manche Menschen ein Segen zu sein scheint und für andere eine zerstörerische Katastrophe. Das hat mich veranlasst, der Frage nachzugehen, wodurch sich diese extrem unterschiedliche Wirkung erklären lässt, welches also die Faktoren sind, die es uns ermöglichen können, Phänomene aus dem Feld der Sehnsucht segensreich zu nutzen, zu utilisieren.
Jörg Marxen
Inhalt
Das Feld der Sehnsucht
Die Kompass-Funktion der Sehnsucht
Die Unerreichbarkeit der Sehnsucht
Das Ringen um Reife
Der Wert der Sehnsucht
Mit Reife den Wert der Sehnsucht nutzen
Reife und der Respekt für das, was wir nicht verstehen
Ein überraschendes Anliegen
Ausblick
Literaturverzeichnis
Quellen:
Weiterführende Literatur:
Anhang
Auszug aus dem Vortrag Gegenübertragung vom 24.10.2001
Das Feld der Sehnsucht
Sehnsucht hat eine Funktion,
Sehnsucht entspringt einer Quelle,
Sehnsucht hat eine Wirkung,
Sehnsucht kann sehr destruktiv wirken,
Sehnsucht kann aber auch ausgesprochen konstruktiv wirken.
Sehnsucht und unser Umgang mit ihr sind als Folge und auch als Ursache beteiligt, wenn zum Beispiel Beziehungen auseinandergehen oder wenn Beziehungen, unser Lebensgefühl, unsere Genuss- und Leistungsfähigkeit sich erfreulicher oder unerfreulicher entwickeln. Sie sind im Spiel, wenn ein glückliches Paar ein Kind erwartet und sich der Partner dann im Laufe der Schwangerschaft oder nach der Geburt des Kindes in eine andere Frau verliebt oder zumindest eine externe sexuelle Beziehung beginnt. Sehnsucht kann uns gegen, durch oder gerade trotz großer Bedenken in neue Situationen führen, in denen wir neuen Menschen und neuen Aufgaben begegnen, in denen wir uns dann erst mal orientieren müssen.
Auch im Themenfeld Religiosität, Spiritualität und Transzendenz geht es meistens ganz wesentlich um Sehnsucht und den Umgang mit ihr.
Sehnsucht wirkt an vielen Stellen ständig in unser Leben hinein.
Das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm (1971) widmet dem Phänomen der Sehnsucht und seinen Facetten einen längeren Absatz mit einer Vielzahl von Aussagen, unter anderem der, dass wir Sehnsucht verstehen können als …
… einen hohen Grad eines heftigen und oft schmerzlichen Verlangens nach etwas, besonders, wenn man keine Hoffnung hat, das Verlangte zu erlangen, oder wenn die Erlangung ungewiss, noch entfernt ist.
Wörterbuch der Brüder Grimm (Grimm, J. & Grimm, W., 1971)
Dieses Zitat verwenden auch die Sehnsuchtsforscher um Paul Baltes, Alexandra Freund und Susanne Scheibe (Scheibe et al., 2007), die von einem entwicklungspsychologischen Blick auf die gesamte Lebensspanne ausgehen und deren Definition und Charakterisierung ich im Wesentlichen folge.
Sie charakterisieren das Phänomen Sehnsucht mithilfe von sechs Merkmalen:
1. Unerreichbarkeit
2. Unvollkommenheit und Unfertigkeit des eigenen Lebens
3. Dreizeitigkeitsfokus
4. begleitendes Phänomen bittersüßer Gefühle bzw. süß-bitterer Gefühle
5. Sehnsucht lädt zu Rückschau und Lebensbewertung ein
6. Symbolcharakter und symbolischer Reichtum der Sehnsucht
Sie konkretisieren ihr Verständnis etwa so:
Die ersten beiden Charakteristika gehen Hand in Hand; auf der einen Seite die Gedanken, Wünsche und Emotionen, die mit persönlichen Utopien verbunden sind, mit der Suche nach einem optimalen Leben, und auf der anderen Seite das begleitende Gefühl einer Unvollständigkeit und Unvollkommenheit des Lebens. Gemeinsam verursachen diese beiden Aspekte die bittere Süße oder süße Bitterkeit von Sehnsucht, die Verbindung von Begehren und Enttäuschung, die Suche nach Wegen, diese Gegensätzlichkeit zu handhaben.
Sehnsucht kann uns helfen, Visionen zu entwickeln. In den Wohlgefühlen, die sich einstellen, wenn wir uns vorstellen, wie unsere Träume sich erfüllen, zeigt sich ihre Qualität der Süße.
Bitter kann es dagegen sein, wenn wir feststellen, dass das, was wir uns wünschen, was uns wie die Erlösung unserer Träume vorkommt, nicht vollständig,