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kannte, behauptete hartnäckig, er habe tatsächlich eine Freundin. Besonders verübelte man ihm, daß er in bekannten Cafés mit ihr aufkreuzte und sie dann an einem Tisch sitzen ließ, während er selbst umherschlenderte und sich mit allen möglichen Bekannten unterhielt. Ich war neugierig, wie sie aussähe. An einer Begegnung lag mir weniger; aber sie blieb mir nicht erspart. Ich fuhr eines Nachmittags mit Tom nach New York, und als der Zug bei den Schutthalden hielt, sprang er auf, nahm mich beim Arm und zwang mich buchstäblich auszusteigen.

      »Wir steigen hier aus«, sagte er nachdrücklich. »Ich möchte, daß du meine Freundin kennenlernst.«

      Ich glaube, er hatte schon beim Mittagessen erheblich getankt, denn er bestand geradezu heftig darauf, ich müsse mitkommen. Er nahm als selbstverständlich an, daß ich an diesem Sonntagnachmittag doch nichts Besseres vorhätte.

      Ich folgte ihm über eine niedrige, weißgestrichene Bahnschranke und dann hundert Meter auf der Straße zurück, immer unter den hartnäckig starrenden Augen von Doktor Eckleburg. Das einzige Gebäude weit und breit war ein kleiner Häuserblock aus gelben Ziegeln, der völlig unmotiviert am Rande der Aschenwüste lag – ein Stück Hauptstraße im glatten Nichts. Er enthielt drei Läden; davon war einer zu vermieten, der andere eine durchgehend geöffnete Frühstücksstube, zu der eine Aschenspur hinführte, und das dritte war eine Garage: Autoreparaturen, George B. Wilson, Ankauf und Verkauf. Dahinein folgte ich Tom.

      Das Innere war unwirtlich und kahl. Als einziges Auto erblickte man in einer dunklen Ecke das total verstaubte Wrack eines Fordwagens. Ich dachte gerade, diese Garage sei wohl nur eine Attrappe, hinter der luxuriöse und geheimnisvolle Räumlichkeiten verborgen seien. Da erschien, seine Hände an einem Lappen abwischend, der Eigentümer selbst in der Tür seines Büros, ein leidlich gut aussehender blonder, energieloser Mann, der offenbar an Blutarmut litt. Als er uns erblickte, kam ein feuchter Hoffnungsschimmer in seine hellblauen Augen.

      »Hallo, Wilson«, sagte Tom und schlug ihm jovial auf die Schulter. »Was macht’s Geschäft, Alter?«

      »Kann nicht klagen«, erwiderte Wilson nicht sehr überzeugend. »Wann werden Sie mir denn den Wagen verkaufen?«

      »Nächste Woche; mein Chauffeur hat noch daran zu arbeiten.«

      »Der macht aber sehr langsam, oder nicht?« »Keineswegs«, sagte Tom kühl. »Wenn Sie das meinen, verkaufe ich ihn wohl besser an jemand anderes.« »So hab ich’s nicht gemeint«, erklärte Wilson rasch.

      »Ich meinte nur –«

      Seine Stimme erstarb, und Tom sah sich ungeduldig in der Garage um. Dann hörte ich jemand eine Treppe herunterkommen, und gleich darauf stand die füllige Gestalt einer Frau in der Tür zum Büro, so daß von dort kein Licht mehr hereinfiel. Sie war Mitte dreißig und ein wenig zu voll, aber sie verstand es, wie manche Frauen, mit ihrer Fülle sinnlich zu wirken. Sie trug ein dunkelblaues, fleckiges Crêpe-de-Chine-Kleid. In ihrem Gesicht war kein Zug oder Schimmer von Schönheit, aber sie strömte eine unmittelbar sich aufdrängende Vitalität aus, als sei ihr Körper in jedem Nerv von schwelender Glut erfüllt. Sie lächelte ein wenig, schritt durch ihren Gemahl hindurch, als sei er nur ein Geist, und begrüßte Tom, wobei sie ihm voll ins Auge sah. Dann befeuchtete sie ihre Lippen und sprach, ohne sich auch nur umzuwenden, mit einer angenehm heiseren Stimme zu ihrem Gatten:

      »Hol doch ein paar Stühle, nichtwahr, daß man sich setzen kann.«

      »Oh, natürlich«, beeilte sich Wilson. Er ging in das kleine Büro und war im selben Augenblick eins mit der Kalkfarbe der Wände. Ein weißer Aschennebel verschleierte seinen dunklen Anzug und sein blasses Haar und legte sich ringsum auf alles und jedes – ausgenommen seine Frau, die nahe an Tom herantrat.

      »Wir müssen uns sehen«, sagte Tom kategorisch. »Nimm den nächsten Zug.«

      »Gut.«

      »Ich treffe dich am Zeitungsstand auf dem unteren Bahnsteig.«

      Sie nickte und trat wieder zurück, gerade als George Wilson mit zwei Stühlen in der Bürotür erschien.

      Weiter unten auf der Straße, wo man uns vom Hause nicht mehr sehen konnte, warteten wir auf sie. Es war wenige Tage vor dem vierten Juli, und ein graues kümmerliches Italienerkind war dabei, längs der Eisenbahnschienen eine Reihe von Feuerwerkskörpern anzubringen.

      »Gräßliche Gegend, nichtwahr«, sagte Tom und wechselte einen stirnrunzelnden Blick mit Doktor Eckleburg.

      »Entsetzlich.«

      »Gut, wenn sie hier einmal fortkommt.«

      »Hat ihr Mann nichts dagegen?«

      »Wilson? Er glaubt, sie besucht ihre Schwester in New York. Der ist zum Leben und zum Sterben zu dämlich.«

      So fuhren Tom Buchanan, seine Freundin und ich zusammen nach New York – oder nicht zusammen, denn Mrs. Wilson saß diskret in einem anderen Waggon. Soweit nahm Tom Rücksicht auf die Empfindlichkeit der East Egger, die womöglich mit im Zuge waren.

      Mrs. Wilson trug jetzt ein braungemustertes Musselinkleid, das sich über ihren etwas breiten Hüften spannte, als Tom ihr in New York aus dem Zuge half. Am Zeitungsstand kaufte sie eine Nummer des ›Town Tattle‹ und ein Filmmagazin und in der Bahnhofsdrogerie irgendeine Cold Cream und eine kleine Flasche Parfüm. Oben in der feierlichen Weite der Bahnhofshalle ließ sie vier Taxis abfahren, ehe sie sich zu einem neuen lavendelfarbenen Taxi mit grauen Polstern entschloß. Darin glitten wir aus dem Gewühl des Bahnhofs in die strahlende Helle hinaus. Aber sogleich beugte sich Mrs. Wilson, die aus dem Fenster geblickt hatte, vor und klopfte dem Fahrer.

      »Ich möchte einen von den Hunden dort haben«, sagte sie ernsthaft. »Einen für die Wohnung. Das ist so hübsch – ein Hund.«

      Wir fuhren zurück zu einem grauen alten Mann, der eine lächerliche Ähnlichkeit mit John D. Rockefeller hatte. In einem Korb, den er von der Schulter nahm, kauerte ein Dutzend ganz junger Hunde von unbestimmter Rasse.

      »Was für welche sind es?« fragte Mrs. Wilson eifrig, als er an den Wagenschlag trat.

      »Alle Arten. Was für einen wünscht die Dame?« »Ich möchte so einen Polizeihund; das haben Sie wohl nicht?«

      Der Mann äugte kritisch in seinen Korb, tauchte dann mit der Hand hinein und zog am Nackenfell ein zappelndes Etwas hervor.

      »Das ist kein Polizeihund«, sagte Tom.

      »Nein, nicht ausgesprochen ein Polizeihund«, sagte der Mann leicht enttäuscht. »Das ist mehr ein Airedale.« Er strich mit der Hand über die braune Rückenwolle. »Sehen Sie mal das Fell. Ein Fellchen. Mit dem Hund werden Sie keinen Ärger haben; der erkältet sich nicht.«

      »Der ist in Ordnung«, sagte Mrs. Wilson begeistert. »Wieviel?«

      »Der Hund da?« Er betrachtete ihn voll Bewunderung. »Der kostet Sie zehn Dollar.«

      Der Airedale – trotz seiner befremdend weißen Pfoten hatte er zweifellos irgendwo mal etwas von einem Airedale mitbekommen – wechselte den Besitzer und ließ sich auf Mrs. Wilsons Schoß nieder, die sogleich voll Entzücken sein wetterfestes Fell liebkoste.

      »Ist es ein Männchen oder ein Weibchen?« fragte sie diskret.

      »Der Hund? Das ist ein Rüde.«

      »Ist ’ne Hündin«, sagte Tom mit Entschiedenheit. »Hier haben Sie Ihr Geld. Kaufen Sie sich zehn andere dafür.«

      Wir fuhren hinüber zur Fifth Avenue, wo es an diesem sommerlichen Sonntagnachmittag lind und warm war, geradezu ländlich. Es hätte mich nicht überrascht, wenn plötzlich eine große Herde weißer Lämmer um die Ecke gekommen wäre.

      »Laßt halten«, sagte ich. »Ich muß mich hier verabschieden.«

      »Nein, keinesfalls«, warf Tom rasch ein. »Myrtle nimmt es übel, wenn du nicht mit zu ihr kommst. Nicht wahr, Myrtle?«

      »Kommen Sie schon«, drängte sie. »Ich ruf Catherine an, meine Schwester. Sie soll sehr schön sein, und das sagen Leute, die es wissen müssen.«

      »An