Deutsche Geschichte. Günter Naumann

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Название Deutsche Geschichte
Автор произведения Günter Naumann
Жанр Документальная литература
Серия marixwissen
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843800303



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ihm folgten auf der 2. Ebene (dem 2. Heerschild) die geistlichen Fürsten, auf der 3. Ebene die weltlichen Fürsten, auf der 4. Ebene die Grafen und Herren sowie auf der 5. Ebene die Dienstmannen. Alle diese Lehnsträger bildeten die Freien, den Adel. Mit der 5. Ebene der Heerschildordnung kam zum Ausdruck, dass auch Dienstmannen (Ministeriale) in den Adel aufrücken konnten. Das Wort »feudum« = »Lehen, Dienst« hat im Begriff »Feudalismus« dieser mittelalterlichen Herrschaftsform den Namen gegeben.

      Die Herrschaft beruhte im Mittelalter damit auf dem gegenseitigen persönlichen Treueverhältnis zwischen Herr (Lehnsherr, Feudalherr) und Untergebenem (Vasall). Dieses Treueverhältnis begründete zwar die Herrschaft des Lehnsherrn über den Vasallen, aber auch deren gegenseitige Abhängigkeit, denn der Vasall war auf die Belehnung mit Grund und Boden angewiesen und der Herr auf die Leistungen seiner Vasallen. Wollte er z.B. Krieg führen, dann hatten sich die Vasallen persönlich zum Kriegsdienst (Heerfahrt) zur Verfügung zu stellen.

      Das Herrschaftssystem des Alten Reiches beruhte also auf einem Personenverband, an dessen Spitze der König als oberster Lehnsherr stand. Dieses Alte Reich war demnach wie alle Reiche des Mittelalters ein »Personenverbandsstaat«.

      Wie stark diese Herrschaft jeweils war, hing davon ab, welche Herrschaftsrechte (Regalien) der König noch selbst ausübte und welche er bereits seinen Vasallen übertragen hatte. Dies war aber von Fall zu Fall unterschiedlich, sodass das Alte Reich aus Territorien mit sehr unterschiedlicher herrschaftlicher Bindung an den König und damit an das Reich bestand. So gehörte z.B. Böhmen zum Alten Reich, denn der König von Böhmen war als Lehnsmann des römisch-deutschen Königs sowie als Kurfürst mit dem Amt des Erzschenken herausgehobener Königswähler, verfügte jedoch über gewichtige Privilegien (z.B. war er nur eingeschränkt heerfahrtpflichtig), sodass Böhmen bis zur Vereinnahmung durch die Habsburger (1526) eine weitgehend selbstständige Politik betreiben konnte. Ein weiteres Beispiel: Als Kaiser Karl V. die »niederen Lande« 1548 lediglich aus der Zuständigkeit des Reichsgerichts entließ, obgleich alle anderen Bindungen an das Reich noch fortbestanden, war dieses Territorium damit de facto bereits aus dem Reichsverband ausgeschieden. Aufgrund der Tatsache, dass insbesondere in den Randbereichen des alten Reiches die Herrschaftsrechte des Königs in vielen Fällen ausgedünnt worden waren oder sich diese Territorien kaum noch oder schon nicht mehr am politischen Leben des Reiches beteiligten, wird heute mitunter sogar die Existenz fester Reichsgrenzen bestritten.

      Unter diesen rechtlichen Voraussetzungen kam in Alten Reich eine absolute Monarchie nach römischem Vorbild nicht zustande. Die Könige waren ab Konrad I., der als erster deutscher König gilt, gewählt worden. Ab Otto I. bis zu Friedrich II. bestimmten die Könige ihre Nachfolger und ließen sie bereits zu Lebzeiten durch Wahl und Krönung bestätigen. Damit wurde in dieser Periode das Wahlkönigtum zur Formalität. Um die Tolerierung ihrer Wünsche in der Nachfolge zu erreichen, sahen sich die Könige aber immer wieder genötigt, den adligen und geistlichen Herrschaftsträgern weitere Territorien und Rechte zu übertragen, sodass der Prozess der Territorialisierung des Reiches ungebrochen weiterging.

      Mit dem Untergang der Staufer (1254) wurde das Alte Reich endgültig eine Wahlmonarchie, in welcher sich die einzelnen Fürstentümer zu mehr oder weniger souveränen Territorialherrschaften entwickeln konnten.

      Die rechtliche Grundlage dafür war das aus dem gegenseitigen Treueverhältnis zwischen König und Adel abgeleitete Recht des Adels zur Teilhabe an der Herrschaft. Diese Konkurrenz der Adelsherrschaft zum Königtum hatte bestimmtere Formen angenommen, als sich im 12. Jh. im Verlauf des Investiturstreites und des Verfalls der Reichskirche die mächtigsten Fürsten sowie die Reichsbischöfe und Reichsäbte (einschließlich der Äbtissinnen der Frauenklöster) zum Reichsfürstenstand zusammenschlossen und dem römisch-deutschen König nun als Körperschaft gegenübertraten. Als die Konstituierung des Reichsfürstenstandes um 1180 abgeschlossen war, gehörten zu diesem 90 geistliche, aber nur 16 weltliche Fürsten. Letztere waren der König von Böhmen, die Herzöge von Sachsen, Brabant, Lothringen, Schwaben, Bayern, Österreich, Kärnten und der Steiermark, die Markgrafen von Brandenburg, Meißen und der Lausitz, die Pfalzgrafen bei Rhein und von Sachsen, der Landgraf von Thüringen und der Graf von Anhalt. Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum Reichsfürstenstand war die direkte Belehnung durch den König mit einem Reichslehen, einem sog. Fahnenlehen (bei Belehnung eines weltlichen Fürsten) bzw. einem Zepterlehen (bei Belehnung eines geistlichen Fürsten), denn mit dem Akt der persönlichen Übergabe des Lehens war die Übergabe einer Fahne bzw. eines Zepters verbunden. Als Reichslehen galt auch ein Lehen, welches ein weltlicher Fürst von einem geistlichen Fürsten erhielt, denn Kirchengut blieb immer Reichsgut. Für den König bestand hinsichtlich der Reichslehen ein Leihezwang, d.h. ihm war es nicht gestattet, ein erledigtes Reichslehen zu seinen Gunsten einzuziehen, um damit die Königsmacht zu stärken, sondern er musste es erneut austun (verleihen). Nicht jeder Adlige, der über ein Reichslehen verfügte, gehörte zum Reichsfürstenstand. Beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen konnte der König jedoch auch diese Fürsten in den Reichsfürstenstand aufnehmen, wovon mehrfach Gebrauch gemacht worden ist.

      Ab dem Ende des 12. Jh. begann sich aus dem Reichsfürstenstand ein engerer Kreis bevorrechteter Fürsten herauszuheben, denen das ausschließliche Recht zur Wahl des Königs zugestanden wurde. Dies waren die Kurfürsten. Der Anlass zu dieser Differenzierung war die im Alten Reich Unruhe stiftende Doppelwahl von Königen bzw. die Wahl von Gegenkönigen. Es konnte nicht hingenommen werden, dass irgendwelche Fürsten irgendeinen König wählten. Um dem entgegentreten zu können, mussten Kriterien für die Gültigkeit einer Königswahl geschaffen werden. Zunächst gab es sechs Kurfürsten. Bis zur Doppelwahl von 1257 kam der König von Böhmen als siebenter Kurfürst hinzu. Kurfürsten waren die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der askanische Herzog von Sachsen-Wittenberg und der Markgraf von Brandenburg (das Herzogtum Sachsen-Wittenberg kam 1423 nach dem Aussterben des Geschlechts der Askanier an den Markgrafen von Meißen aus dem Hause Wettin). Es fällt auf, dass in diesem Kreis die Stammesherzöge bzw. deren Nachfolger, die Territorialherzöge, bis auf den nicht besonders mächtigen Herzog von Sachsen-Wittenberg fehlten, d.h. es hatten sich neue Herrschaftsschwerpunkte herausgebildet, die nichts mehr mit den alten Stammesherzogtümern gemein hatten. 1338 stellten die in Rhens versammelten Kurfürsten aus konkretem Anlass (Streit Kaiser Ludwigs des Bayern mit dem Papst) fest, dass der von ihnen gewählte König unabhängig von der Bestätigung (Approbation) durch den Papst seine Herrschaftsrechte im Reich ausüben dürfe. Mit der Einschränkung des Königswahlrechts auf die Kurfürsten wurde die Adelsherrschaft gestärkt. Bei der Königswahl setzten die Kurfürsten das Erbrecht des Königs außer Kraft, denn zum König gewählt wurde, wer den Kurfürsten die größten Zugeständnisse machte und ihnen nicht zu mächtig werden konnte. So kam es zu den sog. »springenden Wahlen«, d.h. die Dynastien wechselten häufig, und jeder König war gezwungen, sich von Neuem eine eigene Machtgrundlage (Hausmacht) aufzubauen, was auf Kosten des Reichs gehen musste. Erst den Habsburgern, die sich eine beachtliche Hausmacht aufbauen konnten, gelang es, ab 1438 die Königskrone für ihre Dynastie zu behaupten. Die Kurfürsten ließen sich ihre Stimme für die Königswahl fürstlich vergüten, wenn nicht in Geld, dann in Form von Zugeständnissen (Privilegien). Ein förmliches Wahlversprechen, eine »Wahlkapitulation«, verlangten die Kurfürsten erstmals 1519 von Karl V., als dessen Wahl zum römisch-deutschen König anstand, denn dieser war als König von Spanien und Herrscher über die Niederlande zum Zeitpunkt der Königswahl bereits so mächtig, dass es den Kurfürsten ratsam erschien, sich abzusichern.

      Erstmals und endgültig festgelegt wurde der Modus der Königswahl reichsrechtlich 1356 durch Kaiser Karl IV. in der Goldenen Bulle, dem bedeutsamsten Gesetz, welches jemals im Alten Reich erlassen wurde. Danach wählten die sieben Kurfürsten bzw. deren Vertreter den König. Im Gegenzug erhielten die Kurfürsten für ihre Territorien wichtige Rechte. Die Kurfürstentümer durften nicht geteilt werden; die Primogenitur (Nachfolge nach Erstgeburtsrecht) in den Kurfürstentümern wurde festgesetzt. Mit der Kurwürde waren die Erzämter verbunden, welche die Wahrnehmung bestimmter symbolischer Funktionen bei feierlichen Handlungen am Königshofe betrafen, welche hinsichtlich der vier alten Erzämter (Erzschenk, Erztruchsess, Erzmarschall, Erzkämmerer) nur bei der Königskrönung ausgeübt wurden, während die neueren Erzämter reine Titel