Название | Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik |
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Автор произведения | Andreas Suchanek |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | Das Erbe der Macht |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783958343696 |
Tomoe wirkte wie eine japanische Geschäftsfrau auf einem Vorstandsmeeting, als sie durch den Raum schritt. »Es muss eine andere Möglichkeit geben.«
»Wenn ich dich daran erinnern darf, dass dieser Rat so seine Erfahrung mit Verrätern gemacht hat«, gab Leonardo zu bedenken.
»Das ist einhundertsechsundsechzig Jahre her«, erwiderte Tomoe aufgebracht. »Und wir hätten es damals bemerken können. Immerhin war er gegen die Errichtung des Walls, das hat er immer wieder deutlich gesagt. Wen wundert es? Zeit seines ersten Lebens als Nimag war er es gewohnt, Macht auszuüben. Aber darum geht es heute nicht.«
Wie gebannt hing Clara an den Lippen der anderen Frau. Überhaupt war ihre Ausstrahlung überwältigend. In jeder Geste, jedem Schritt und jedem Wort wurde die lange Lebenserfahrung deutlich. Sie mochte Tomoe.
»Wir sollten uns alle beruhigen«, mahnte Einstein mit unerschütterlicher Ruhe.
»Ach, Albert«, widersprach sie. »Hier geht es um zu viel. Falls tatsächlich einer von uns Verrat übt, hatte er über Jahrzehnte Zugriff auf die Artefakte. Möglicherweise ist das Erdbebenartefakt nicht das einzige, das verändert wurde. Darf ich dich an einen gewissen Steinzauber erinnern, der euch drei beinahe in hübsche Gartenfiguren verwandelt hätte? Stell dir vor, dieser geht hier im Castillo los. Das gäbe ein beeindruckendes Stillleben. Aber solche Manipulationen zu offenbaren ist ein gewaltiger Aufwand. Wir müssten jedes Artefakt in den Katakomben überprüfen.«
»Genau darum geht es«, erklärte Leonardo. »Jede Diskussion ist überflüssig. Ich habe Gryff Hunter bereits informiert. Er hat eine Untersuchung eingeleitet, trägt die Fakten zusammen und wird prüfen, wo sich jeder von uns zu welchem Zeitpunkt aufgehalten hat. Sobald die Unschuld eines Ratsmitgliedes feststeht, wird diese Person die Artefakte untersuchen. Wir müssen in der Tat davon ausgehen, dass weitere manipuliert wurden.«
»Besteht die Chance, dass ein anderer Zugriff auf die Artefakte genommen hat?«, fragte Tomoe. »Bevor wir tatsächlich das letzte Mittel einsetzen, möchte ich sichergehen.«
»Nein«, erklärte Johanna sofort. »Du weißt selbst, dass der Senescentis-Zauber niemanden in die Katakomben lässt, ohne ihn innerhalb von Augenblicken altern und sterben zu lassen. Bleiben alternativ also nur Mitglieder des dunklen Rates übrig. Die kommen jedoch nicht durch den Kristallschutz. Andernfalls hätten sie zweifellos viel mehr Schaden angerichtet.«
»Ich kann einer Wahrheitsfindung nicht so einfach zustimmen«, erklärte Tomoe kategorisch. »Dadurch würden Dinge offenbart werden, die ich als privat betrachte.«
»Gryff Hunter ist verschwiegen. Aber, wie erwähnt, soll eine Wahrheitsfindung nur das letzte Mittel sein«, sagte Leonardo.
Clara bekam unweigerlich eine Gänsehaut. Gleichzeitig kehrten ihre Kopfschmerzen zurück. Der Gedanke, dass eine fremde Person in ihren Geist eindrang, um Wissen direkt zu extrahieren, war beängstigend. Tomoes Widerstand war verständlich. Leider schützte das auch den Verräter.
»Bedauerlicherweise müssen wir in unsere Überlegungen miteinbeziehen, dass der Verräter auch weiterhin einen Plan verfolgt«, sagte Johanna. »Falls es Jennifer tatsächlich gelingt, den Folianten lesbar zu machen, hätte die betreffende Person Zugriff auf die Prophezeiungen.«
»Nun denn, dann sollte Gryff tatsächlich jede Unterstützung erhalten, die wir gewähren können«, lenkte Tomoe ein. »Nur so können wir all das schnell hinter uns lassen. Ich muss dringend zurück nach Japan, die Holding steht vor einer wichtigen Akquise.«
»Immer die Geschäfte«, warf Leonardo ein.
»Lass diese Provokation«, forderte die Unsterbliche. »Woher, glaubst du, kommt das Geld, das in unsere geheimen Häuser, das Castillo, die Materialien und Waffen fließt? Und die Gehälter, die den Lichtkämpfern zugehen? Sicher nicht von deinen Schriften.«
Ein wütendes Wortgefecht zwischen Leonardo und Tomoe folgte, was Einstein mit einem Seufzen und Johanna mit einem Augenrollen kommentierte.
»Ich wusste es!«, rief Chloe triumphierend, worauf Clara zusammenzuckte.
»Was denn?«
»Na, schau hin.« Die Freundin deutete abwechselnd auf Tomoe und Leonardo. »Es gab doch Gerüchte, dass sie auch mal ein Paar waren. Leo hat es faustdick hinter den Ohren. Zuerst Johanna und nun Tomoe. Oder umgekehrt. Keine Ahnung. Aber so wie die sich streiten, waren die mal ein Herz und eine Seele.«
»Hm. Du könntest recht haben.«
Man sagte Leonardo tatsächlich nach, dass er ein Frauenheld war. Der Unsterbliche war ein Meister im Flirten. Johanna wirkte völlig gelassen, als sie die beiden betrachtete, von Eifersucht keine Spur. Aber vermutlich genügten ein paar Jahrzehnte, um jeden Groll wegen eines gebrochenen Herzens abzulegen. Dabei blieb natürlich offen, wer von beiden das, was immer zwischen ihnen gewesen war, beendet hatte.
Gebannt lauschten sie dem Wortgefecht und den Beleidigungen, die mal auf Japanisch, mal auf Italienisch und sogar auf Lateinisch hin- und herflogen. Ohne die Übersetzung durch Leonardos Kontaktstein, der den jeweiligen Sprachwechsel deutlich machte und übersetzte, hätten sie nichts davon verstanden. Was manchmal zweifellos besser gewesen wäre.
»Gleich werden sie versehentlich einen Zauber loslassen«, flüsterte Chloe. »Wo ist das Popcorn, wenn man es braucht?«
Einstein rettete die Situation. »Gut, gut, wir haben wohl alle unsere Meinung deutlich gemacht. Sollen wir diese Sache vertagen, bis Gryff uns einen ersten Bericht abliefert?«
»Gute Idee«, befand Tomoe.
Langsam leerte sich der Saal.
Einzig Leonardo und Johanna blieben zurück.
»War das wirklich notwendig?«, fragte die Unsterbliche.
»Ja«, erwiderte er. »Sie ist es nicht.«
»Was?«
»Die Verräterin«, erklärte er. »Tomoe hasst Verrat, Privatsphäre ist ihr wichtig, und sie ist stets geradeheraus.«
»Bist du sicher?«
»Ich würde mein Leben darauf verwetten.«
Johanna seufzte. »Sind wir mal ehrlich, das ergibt bei niemandem hier einen Sinn. Ich meine, ernsthaft, Albert?«
Leonardo nickte. »Was ist mit Thomas? Hast du ihn in letzter Zeit gesehen?«
»Er ist von der Bildfläche verschwunden. Kontakt kommt nicht zustande. Er taucht ja öfter ab, doch langsam mache ich mir Sorgen.«
»Wir könnten ein Suchteam ausschicken, aber wenn er nicht gefunden werden will … er ist wie jeder von uns. Nach ein oder zwei Lebensspannen ist jeder zu sehr Individualist, als dass er sich von anderen gängeln lässt.«
Ein Hämmern an der Tür riss sie aus den Gedanken.
Leonardos Blick wurde glasig, was darauf hindeutete, dass er seinen Weitblick einsetzte. »Du lieber Himmel, es ist Christian Grant. Vermutlich will er mich wieder dazu überreden, ihn für einsatzfähig zu erklären.«
»Sehe ich da ein graues Haar?« Johanna lachte.
»Er ist hartnäckig, das muss man ihm lassen«, gestand Leonardo. »Aber wenn er nicht bald damit aufhört, versetze ich ihn an den Nordpol.«
»Das wäre gemein«, erwiderte die Unsterbliche. »Das Haus steht doch schon ewig leer. Außerdem haben wir uns darauf geeinigt, niemanden mehr dorthin zu verbannen. Das war in den Achtzigern?«
»Den Siebzigern, meine Liebe. Wird da jemand alt?« Leonardo grinste. »Aber von mir aus. Dann versetze ich ihn woanders hin. Irgendeine einsame Insel, auf der er Liegestütze machen kann.«
»Ich denke, wir haben genug gesehen«, sagte Clara.