Название | Die politischen Ideen |
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Автор произведения | Ulrich Thiele |
Жанр | Документальная литература |
Серия | marixwissen |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783843802420 |
Demokratisch ist die Vertragskonzeption des Second Treatise of Government aus zwei Gründen: Erstens enthält sie normative Aussagen über Staatsverfassungen, die mit den ursprünglichen Rechten der Individuen auf Leben, Freiheit und Eigentum unvereinbar sind. So sei insbesondere die absolute Monarchie inconsistent with civil society. Insofern nämlich ein absoluter Monarch Richter in eigener Sache bliebe, würde er im Unterschied zu seinen Untertanen den Übertritt in den bürgerlichen Zustand verweigern: [T]hose persons are still in the state of nature (Second Treatise, VII, 90).
Zweitens ist Lockes Gesellschaftsvertragstheorie als volkssouveränitär zu bezeichnen, weil sie die Staatsgründung aus einen demokratischen Akt der Gesetzgebung hervorgehen lässt, der seinerseits zuallererst eine gesetzgebende Gewalt zu institutionalisieren hat: Das erste und grundlegende positive Gesetz aller Staaten ist daher die Begründung der legislativen Gewalt [the establishing of the legislative power] – so wie das erste und grundlegende natürliche Gesetz, welches selbst über der legislativen Gewalt gelten muss, die Erhaltung der Gesellschaft und […] jeder einzelnen Person in ihr ist. Diese legislative Gewalt ist nicht nur die höchste Gewalt des Staates, sondern sie liegt auch geheiligt in jenen Händen, in die die Gemeinschaft sie einmal gelegt hat (XI, 134).
Nach Locke ist der Staat kein Zweck an sich selber, sondern wesentlich Mittel. Es dient dem überpositiven Naturrecht der Menschen, welches die Selbsterhaltung der Gesellschaft sowie aller ihrer Mitglieder fordert. Der schlechterdings für jede Staatsgründung elementare Akt sei aber nicht etwa wie bei Hobbes die Errichtung einer monopolisierten Zwangsgewalt, sondern die Einrichtung einer gesetzgebenden Gewalt. Die Bestimmung des Legislativorgans sei eine derart folgenschwere Entscheidung, dass sie unbedingt durch ein positives Verfassungsgesetz festgeschrieben werden müsse.
Doch der Gesellschaftsvertrag ermächtigt nicht nur eine Personengruppe zur Gesetzgebung, sondern er legt dem Gesetzgeber auch bestimmte Verpflichtungen auf. Lockes Second Treatise of Government enthält normative Aussagen, die dem Souverän Schranken auferlegen, indem sie die rechtstaatlichliberale Komponente der Volkssouveränitätslehre betonen:
So sei es der parlamentarischen Legislative erstens untersagt, willkürliche Macht über Leben und Schicksal des Volkes auszuüben. Insofern nämlich die Legislativkörperschaft als vermittelndes Organ der rechtlichen Selbstorganisation der Gesellschaft anzusehen sei, könne sie niemals das Recht haben, die Untertanen zu vernichten, zu versklaven oder mit Vorbedacht auszusaugen (XI, 135). Denn Gesetze, die die Untertanen wie willenlose Sachen behandelten, könnten unmöglich aus dem Willen der Bürger hervorgegangen sein.
Zweitens kann sich die Legislative oder höchste Gewalt nicht die Macht anmaßen, durch willkürliche Maßnahmeverordnungen [extemporary arbitrary decrees] zu regieren, sondern ist gehalten, nach öffentlich verkündeten stehenden Gesetzen und durch anerkannte und autorisierte Richter für Gerechtigkeit zu sorgen und Recht zu sprechen (XI, 136).
Die Hierarchie der verschiedenen Normsetzungskompetenzen an deren Spitze die Gesetzgebung stehen soll, verlangt strikte Gewaltenteilung und zwar sowohl in organisatorischer als auch in normlogischer Hinsicht. Die Gesetzgebung darf sich nur eines bestimmten Typs von Rechtsnormen bedienen, die nicht nur durch einen formellen Gesetzesbegriff, sondern auch durch einen materiellen bestimmt sind: Gesetze haben positive, öffentlich verkündete, dauerhaft geltende Rechtsnormen zu sein, die dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz genügen, also auf jede Diskriminierung von Minderheiten verzichten.
Außerdem wird dem Souverän untersagt, sich seiner Gesetzgebungskompetenz ganz oder teilweise zu entäußern. Indem das Volk vermöge des Gesellschaftsvertrages eine moralische Person mit der Legislationskompetenz ausstattet, überträgt sie ihr demnach sowohl ein Recht als auch eine Pflicht, die von Seiten des Verpflichteten nicht aufgekündigt werden kann: [Die] Legislative [kann] die Gewalt, Gesetze zu geben, nicht in andere Hände legen. Da diese Gewalt ihnen vom Volk übertragen wurde, können sie diejenigen, die sie in Händen haben, nicht an andere weitergeben. Einzig das Volk kann die Staatsform [the form of the commonwealth] bestimmen (XI, 140).
Als oberste vom Volk verliehene Gewalt kann demnach Souveränität weder geteilt werden noch auf andere Personen übertragen werden. Denn die Legislation ist kein ursprüngliches Recht jenes Organs, sondern stammt aus einer allem positiven öffentlichen Recht normativ vorausliegenden Rechtsphäre, dem Naturrecht. Das Volk, dem naturrechtlich alle Gewalt zukommt, beauftragt nämlich zuallererst eine besondere Personengruppe mit der stellvertretenden Ausübung seines Gesetzgebungsrechtes. Kein Parlament kann demnach von sich behaupten, Eigentümer der Souveränität zu sein.
Im Original wird noch deutlicher, dass die Legislative eine vom Volk entliehene Kompetenz besitzt, die ursprünglich diesem eigen ist und jederzeit dem jetzigen Stellvertreter genommen und auf eine andere Körperschaft übertragen werden könnte: The Legislative cannot transfer the power of making laws to any other hand; for it being but a delegated power from the people, they who have it cannot pass it over to others. The people alone can appoint the form of the commonwealth, which is by constituting the legislative, and appointing in whose hand that shall be (XI, 141).
Da aber auch die Gesetzgebung nur eine treuhänderische, um bestimmter Zwecke willen auszuübende Gewalt (fiduciary power) ist, verbleibt die allerhöchste Gewalt nach wie vor beim Volk. Denn dieses steht auch über der Legislative, die sie bestimmten Personen zur stellvertretenden Ausübung anvertraut und die sie jederzeit auf andere Personen übertragen kann, wenn der Zweck, die Sicherung von Freiheit und Eigentum, vom bisherigen Gesetzgeber verfehlt wurde: And thus the community perpetually retains a supreme power of saving themselves from the attempts and designs of any body, even of their legislators, whenever they […] carry on designs against the liberties and properties of the subject (XI, 149).
Weil Gesellschaft und Staat nicht identifiziert werden, sondern der Staat als bedingt taugliches Instrument gesellschaftlicher Selbsterhaltung individueller Freiheiten betrachtet wird, kann das Volk im Extremfall ein (freilich ungeschriebenes) Widerstandsrecht in Anspruch nehmen. Dieser Fall tritt laut Locke aber nicht nur dann ein, wenn die Regierung sich über die Vorgaben des Gesetzgebers hinwegsetzt und tyrannisch herrscht (ebd., XVIII, 199 ff.), sondern ebenso wenn die Legislative den Gesellschaftsvertrag verletzt. Dies geschieht insbesondere durch willkürliche Gesetzgebung, die das fundamental, sacred, and unalterabel law of self-preservation verletzt (XIII, 148), um dessentwillen die Individuen ihre ursprüngliche Freiheit aufgaben:
Das Volk ist daraufhin jeden weiteren Gehorsams entbunden und ist jener Zuflucht überlassen, die allen Menschen gemeinsam gegen Macht und Gewalt von Gott gegeben ist. Wann immer daher die Legislative dieses grundlegende Gesetz der Gesellschaft überschreiten und […] den Versuch unternehmen sollte, entweder selbst absolute Gewalt über Leben, Freiheit und Besitz des Volkes an sich zu reißen oder eine solche Gewalt in die Hände eines anderen zu legen, verwirkt sie durch einen solchen Vertrauensbruch jene Macht, die das Volk mit weit anderen Zielen in ihre Hände gegeben, und die Macht fällt zurück an das Volk. Das Volk hat dann ein Recht, zu seiner ursprünglichen Freiheit zurückzukehren und durch die Errichtung einer neuen Legislative (wie sie ihm selbst am geeignetsten erscheint) für sein eigenes Wohlergehen und seine Sicherheit zu sorgen (XIX, 222).
Mit Händen zu greifen ist hier Lockes Intuition, die Art von Gesetzen, mittels derer ein Souverän geschaffen wird, müsse von prinzipiell anderer Qualität sein, als die Gesetze, die danach von eben dieser mit der Gesetzgebung beauftragten Instanz verabschiedet werden: Die ersten Gesetze müssten eigentlich konstituierende Gesetze genannt werden und die zweiten wären entsprechend als konstituierte Gesetze zu bezeichnen. Ihr Urheber wäre im ersten Fall das Volk, dem alle konstituierende Gewalt zukäme, und im zweiten Fall das Parlament, welchem vom Volk eine konstituierte Gewalt zur stellvertretenden Ausübung übertragen wurde.
Der