Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Фридрих Вильгельм Ðицше |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962815295 |
Der Gebildete ist jetzt vor Allem historisch gebildet: durch sein historisches Bewußtsein rettet er sich vor dem Erhabenen; was dem Philister durch seine »Gemüthlichkeit« gelingt. Nicht mehr der Enthusiasmus, den die Geschichte erregt – wie doch Goethe vermeinen durfte – sondern gerade die Abstumpfung alles Enthusiasmus ist jetzt das Ziel dieser Bewunderer des nil admirari, wenn sie Alles historisch zu begreifen suchen; ihnen müßte man aber zurufen: »Ihr seid die Narren aller Jahrhunderte! Die Geschichte wird euch nur die Bekenntnisse machen, die eurer würdig sind! Die Welt ist zu allen Zeiten voll von Trivialitäten und Nichtigkeiten gewesen: eurem historischen Gelüste entschleiern sich eben diese und gerade nur diese. Ihr könnt zu Tausenden über eine Epoche herfallen – ihr werdet nachher hungern wie zuvor und euch eurer Art angehungerter Gesundheit rühmen dürfen. Illam ipsam quam iactant sanitatem non firmitate sed ieiunio consequuntur. (Dialogus de oratoribus cap. 25). Alles Wesentliche hat euch die Geschichte nicht sagen mögen, sondern höhnend und unsichtbar stand sie neben euch, Dem eine Staatsaktion, Jenem einen Gesandtschaftsbericht, einem Andern eine Jahreszahl oder eine Etymologie oder ein pragmatisches Spinnengewebe in die Hand drückend. Glaubt ihr wirklich, die Geschichte zusammenrechnen zu können wie ein Additionsexempel und haltet ihr dafür euren gemeinen Verstand und eure mathematische Bildung für gut genug? Wie muß es euch verdrießen zu hören, daß Andre von Dingen erzählen, aus den allerbekanntesten Zeiten heraus, die ihr nie und nimmer begreifen werdet!«
Wenn nun zu dieser historisch sich nennenden, der Begeisterung baaren Bildung und zu der gegen alles Große feindseligen und geifernden Philisterthätigkeit noch jene dritte brutale und aufgeregte Genossenschaft kommt – Derer die zum »Glücke« rennen –, so giebt das in summa ein so verwirrtes Geschrei und ein so gliederverrenkendes Getümmel, daß der Denker mit verstopften Ohren und verbundenen Augen in die einsamste Wildniß flüchtet – dorthin wo er sehen darf, was Jene nie sehen werden, wo er hören muß, was aus allen Tiefen der Natur und von den Sternen her zu ihm tönt. Hier beredet er sich mit den an ihn heranschwebenden großen Problemen, deren Stimmen freilich ebenso ungemüthlich-furchtbar, als unhistorisch-ewig erklingen. Der Weichliche flieht vor ihrem, kalten Athem zurück, und der Rechnende läuft durch sie hindurch, ohne sie zu spüren. Am schlimmsten aber ergeht es mit ihnen dem »Gebildeten«, der sich mitunter in seiner Art ernstliche Mühe um sie giebt. Für ihn verwandeln sich diese Gespenster in Begriffsgespinnste und hohle Klangfiguren. Nach ihnen greifend wähnt er die Philosophie zu haben, nach ihnen zu suchen klettert er an der sogenannten Geschichte der Philosophie herum – und wenn er sich endlich eine ganze Wolke von solchen Abstraktionen und Schablonen zusammengesucht und aufgethürmt hat, so mag es ihm begegnen, daß ein wahrer Denker ihm in den Weg tritt und sie – wegbläst. Verzweifelte Ungelegenheit, sich als »Gebildeter« mit Philosophie zu befassen! Von Zeit zu Zeit scheint es ihm zwar, als ob die unmögliche Verbindung der Philosophie mit Dem, was sich jetzt als »deutsche Cultur« brüstet, möglich geworden sei; irgend ein Zwittergeschöpf tändelt und liebäugelt zwischen beiden Sphären herum und verwirrt hüben und drüben die Phantasie, Einstweilen ist aber den Deutschen, wenn sie sich nicht verwirren lassen wollen, ein Rath zu geben. Sie mögen bei Allem, was sie jetzt »Bildung« nennen, sich fragen: ist dies die erhoffte deutsche Cultur, so ernst und schöpferisch, so erlösend für den deutschen Geist, so reinigend für die deutschen Tugenden, daß sich ihr einziger Philosoph in diesem Jahrhundert, Arthur Schopenhauer, zu ihr bekennen müßte?
Hier habt ihr den Philosophen – nun sucht die zu ihm gehörige Cultur! Und wenn ihr ahnen könnt, was das für eine Cultur sein müßte, die einem solchen Philosophen entspräche, nun, so habt ihr, in dieser Ahnung, bereits über alle eure Bildung und über euch selbst – gerichtet! –
Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen.
(1873.)
Vorwort.
(Vermutlich 1874.)
Bei fern stehenden Menschen genügt es uns, ihre Ziele zu wissen, um sie im Ganzen zu billigen oder zu verwerfen. Bei näher stehenden urtheilen wir nach den Mitteln, mit denen sie ihre Ziele fördern: oft mißbilligen wir ihre Ziele, lieben sie aber wegen der Mittel und der Art ihres Wollens. Nun sind philosophische Systeme nur für ihre Gründer ganz wahr: für alle späteren Philosophen gewöhnlich ein großer Fehler, für die schwächeren Köpfe eine Summe von Fehlern und Wahrheiten, als höchstes Ziel jedenfalls aber ein Irrthum, insofern verwerflich. Deshalb mißbilligen viele Menschen jeden Philosophen, weil sein Ziel nicht das Ihre ist; es sind die ferner stehenden. Wer dagegen an großen Menschen überhaupt seine Freude hat, hat auch seine Freude an solchen Systemen, seien sie auch ganz irrthümlich: sie haben doch einen Punkt an sich, der ganz unwiderleglich ist, eine persönliche Stimmung, Farbe; man kann sie benutzen, um das Bild des Philosophen zu gewinnen: wie man vom Gewächs an einem Orte auf den Boden schließen kann. Die Art zu leben und die menschlichen Dinge anzusehn ist jedenfalls einmal dagewesen und also möglich: das »System« ist das Gewächs dieses Bodens, oder wenigstens ein Theil dieses Systems – –
Ich erzähle die Geschichte jener Philosophen vereinfacht: ich will nur den Punkt aus jedem System herausheben, der ein Stück Persönlichkeit ist und zu jenem Unwiderleglichen,