Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Фридрих Вильгельм Ðицше |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962815295 |
Der Philosoph schien sich sehr erhitzt zu haben: wir forderten ihn auf, wieder etwas herumzugehn, während er seine letzten Reden stehend, in der Nähe jenes Baumstumpfes, der uns als Zielscheibe für unsere Pistolenkünste diente, gesprochen hatte. Es wurde für eine Zeit unter uns ganz still. Langsam und nachdenklich schritten wir auf und ab. Wir empfanden viel weniger Beschämung, so thörichte Argumente vorgebracht zu haben, als eine gewisse Restitution unserer Persönlichkeit: gerade nach den erhitzten und für uns nicht schmeichelhaften Anreden glaubten wir uns dem Philosophen näher, ja persönlicher gestellt zu fühlen. Denn so elend ist der Mensch, daß er durch Nichts einem Fremden so schnell nahe kommt, als wenn dieser eine Schwäche, einen Defekt merken läßt. Daß unser Philosoph erhitzt wurde und Schimpfworte gebrauchte, überbrückte etwas die bisher allein empfundene scheue Ehrerbietung; für Den, der eine solche Beobachtung empörend findet, sei hinzugesetzt, daß diese Brücke oftmals von der entfernten Verehrung zur persönlichen Liebe und zum Mitleiden führt. Und dieses Mitleiden trat, nach jenem Gefühl der Restitution unserer Persönlichkeit, allmählich immer stärker hervor. Wozu fühlten wir den alten Mann hier nächtlicher Weile zwischen Baum und Fels herum? Und da er dies uns nachgegeben hatte, warum fanden wir nicht eine ruhigere und bescheidenere Form uns belehren zu lassen, warum mußten wir zu Drei in so ungeschickter Weise unsern Widerspruch äußern?
Denn jetzt merkten wir es bereits, wie unbedacht, unvorbereitet und unerfahren unsere Einwendungen waren, wie sehr gerade in ihnen das Echo der Gegenwart wiederklang, deren Stimme der Alte nun einmal im Bereiche der Bildung nicht hören mochte. Unsere Einwendungen waren überdies nicht eigentlich rein aus dem Intellekte entsprungen: der Grund, der durch die Reden des Philosophen erregt und zum Widerstand gereizt war, schien anderswo zu liegen. Vielleicht sprach aus uns nur die instinktive Angst, ob gerade unsere Individuen bei solchen Ansichten, wie sie der Philosoph hatte, vortheilhaft bedacht seien, vielleicht drängten sich alle jene früheren Einbildungen, die wir uns über unsere eigene Bildung gemacht hatten, jetzt zu der Noth zusammen, um jeden Preis Gründe gegen eine Betrachtungsart zu finden, durch die allerdings unser vermeintlicher Anspruch auf Bildung recht gründlich abgewiesen wurde. Mit Gegnern aber, die so persönlich die Wucht einer Argumentation empfinden, soll man nicht streiten; oder wie die Moral für unsern Fall lauten würde: solche Gegner sollen nicht streiten, sollen nicht widersprechen.
So giengen wir neben dem Philosophen her, beschämt, mitleidig, unzufrieden mit uns und mehr als je überzeugt, daß der Greis Recht haben müsse, und daß wir ihm Unrecht gethan hätten. Wie weit zurück lag jetzt der Jugendtraum unserer Bildungsanstalt, wie deutlich erkannten wir die Gefahr, an der wir bisher nur durch einen Zufall vorbeigeschlüpft waren, uns nämlich mit Haut und Haar dem Bildungswesen zu verlaufen, das von jenen Knabenjahren an, bereits aus unserm Gymnasium heraus, verlockend zu uns gesprochen hatte! Worin lag es doch, daß wir noch nicht im öffentlichen Chorus seiner Bewunderer standen? Vielleicht nur darin, daß wir noch wirkliche Studenten waren, daß wir uns noch, aus dem gierigen Haschen und Drängen, aus dem rastlosen und sich überstürzenden Wellenschlag der Öffentlichkeit, auf jene bald nun auch weggeschwemmte Insel zurückziehn konnten!