Название | Старик-годовик |
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Автор произведения | Владимир Даль |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 2011 |
isbn | 978-5-699-47121-8 |
Aus dem, was die schöpferische Phantasie in der Wirklichkeit vorfindet, schafft sie den „rêve“, die „conception“ oder „idée génératrice“, die vom Künstler in mehreren Schritten in das konkrete Werk umgesetzt und vollendet wird. An ihr scheiden sich für Baudelaire die künstlerischen Geister. Der Künstler, der als „réaliste“ oder „positiviste“ der vorgegebenen Wirklichkeit folgt und die Dinge so darstellt, wie er sie vorfindet, kopiert – mit einem Ausspruch von Delacroix – nur das „Wörterbuch“ der Natur38. Anders der „imaginatif“, der mit Phantasie begabte Künstler, der die Wirklichkeit verwandelt und ihr eine neue Gestalt gibt39. Mit der Kraft seines Geistes will er die Dinge zum „Leuchten“ bringen und Anderen ihren Glanz vermitteln: „Je veux illuminer les choses avec mon esprit et en projeter le reflet sur les autres esprits.“40 „Die Dinge zum Leuchten bringen“ ist ein Bild Baudelaires für die Wiedergabe des Ausnahmezustands41. So bezeichnet er Théodore de Banville als „lumineux“, weil er die „heures heureuses“ wiederzugeben wisse42, und an der Malerei von Delacroix, die beim Betrachter eine „volupté surnaturelle“ erzeugt43, rühmt er ihren „außerordentlichen Glanz“44. Wie und mit welchem Resultat der Dichter mit Hilfe der Phantasie die Wirklichkeit gestalten kann, führt er in dem kurzen Prosagedicht Les Fenêtres vor, in dem das Ich über die Aussagekraft von Fenstern reflektiert45, die im geschlossenen Zustand dem Blick mehr Dinge offenbaren als im offenen. Ein geschlossenes und kaum erhelltes Fenster ist nämlich „mystérieux“ und setzt die Phantasie in Gang, wie das Beispiel zeigt:
Par-delà des vagues de toits, j’aperçois une femme mûre, ridée déjà, pauvre, toujours penchée sur quelque chose, et qui ne sort jamais. Avec son visage, avec son vêtement, avec son geste, avec presque rien, j’ai refait l’histoire de cette femme, ou plutôt sa légende, et quelquefois je me la raconte à moi-même en pleurant.
Si c’eût été un pauvre vieux homme, j’aurais refait la sienne tout aussi aisément.
Et je me couche, fier d’avoir vécu et souffert dans d’autres que moi-même.46
Mit dem wenigen, das durch das geschlossene Fenster von der Gestalt der Frau zu erkennen ist, erfindet das Ich deren Lebens- und Leidensgeschichte, über die es Tränen der Rührung vergießt. Anschließend ist es voller Stolz darüber, in einem Anderen gelebt und gelitten zu haben. Dieser Stolz gehört zum Lebensgefühl im Zustand der Ekstase47, auf die auch die Eigenschaften hinweisen, die dem Fenster zugeschrieben werden – „plus profond, plus mystérieux, plus fécond, plus ténébreux, plus éblouissant“ – und die zum wiederkehrenden ästhetischen Kernwortschatz Baudelaires gehören. „Profond“ begegnet passim im Zusammenhang mit ekstatischen Erlebnissen; „fécond“ ist die Eigenschaft, die er in Les Foules vom Dichter und seiner Phantasie verlangt („poète [au cerveau] actif et fécond“)48; Dunkelheit regt die Phantasie an49 und „éblouissant“ ist die Wirkung des strahlenden Schönen50. Vollends klar wird das Gemeinte, wenn das Ich zum Schluss auf die Frage eines fingierten Lesers, ob die phantasierte Geschichte die „wahre“ sei, antwortet, nicht auf die „réalité placée hors de moi“ komme es an, sondern auf die Wirkung seiner Geschichte, die ihm helfen müsse, zu leben, sich selbst zu fühlen und zu erkennen: „(m’)aid(er) à vivre, à sentir que je suis et ce que je suis.“ Mit diesem Argument setzt Baudelaire dem „vrai“ des herrschenden Realismus sein eigenes künstlerisches Credo von der schöpferischen Phantasie entgegen, mit deren Hilfe er sich in einen Anderen versetzt und in beglückender Weise sein ‚sentiment de l’existence‘ steigert51.
Leitender Gedanke in Baudelaires Vorstellung vom Schönen ist demnach das Erreichen des „état exceptionnel“, des Ausnahmezustandes, sowohl beim Künstler wie beim Rezipienten. Auf diesen wirkungsästhetischen Aspekt des Begriffs hatte schon Poe hingewiesen:
When, indeed, men speak of Beauty, they mean, precisely, not a quality, as is supposed, but an effect – they refer, in short, just to that intense and pure elevation of soul – not of intellect, or of heart – upon which I have commented, and which is experienced in consequence of contemplating ‚the beautiful‘.52
Um den Ausnahmezustand zu erreichen, bedarf es der Phantasie. Daher muss die Darstellung des Schönen so beschaffen sein, dass sie die Phantasie in Bewegung setzt53, die jeden Gegenstand ergänzt und ihm seine besondere Schönheit gibt:
L’œil intérieur transforme tout et donne à chaque chose le complément de beauté qui lui manque pour qu’elle soit vraiment digne de plaire.54
Der Dichter bewirkt das mit Hilfe einer „magischen Verfahrensweise“, einer „sorcellerie évocatoire“ von Sprache und Schreibweise:
Manier savamment une langue, c’est pratiquer une espèce de sorcellerie évocatoire. C’est alors que la couleur parle, comme une voix profonde et vibrante; que les monuments se dressent et font saillie sur l’espace profond; que les animaux et les plantes, représentants du laid et du mal, articulent leur grimace non équivoque; que le parfum provoque la pensée et le souvenir correspondants; que la passion murmure ou rugit son langage éternellement semblable.
Mit diesen Worten beschreibt Baudelaire im Artikel über Théophile Gautier dessen „immense intelligence innée de la correspondance et du symbolisme universels“55. Ein so zustandegekommenes Schönes lässt die Menschen für Augenblicke die irdische Trübsal vergessen und den „rythme immortel et universel“ begreifen56. Und es ist, trotz der Wendung „mon Beau“, kein individualistisches Schönes, denn die Lücken, die von der Phantasie ausgefüllt werden müssen, erzeugen bei den Rezipienten durchaus ähnliche Vorstellungen – „des idées analogues dans des cerveaux différents“ –, wie er in seiner Tannhäuser-Besprechung schreibt, in diesem Fall das Gefühl spiritueller und physischer Glückseligkeit:
[…] la sensation de la béatitude spirituelle et physique; de l’isolement; de la contemplation de quelque chose infiniment grand et infiniment beau; d’une lumière intense qui réjouit les yeux et l’âme jusqu’à la pâmoison; et enfin la sensation de l’espace étendu jusqu’aux dernières limites concevables.57
Mit der Aufnahme des wirkungsästhetischen Aspekts in seinen Begriff des Schönen ergänzt Baudelaire die herkömmlichen Objekteigenschaften um ungewohnte Züge wie „bizarrerie“, „irrégularité“ oder „étrangeté“. Diese Ergänzung kommt der Suche nach der „modernité“ und dem Schönen in der Großstadt entgegen, auch wenn die genannten Eigenschaften sich nicht ausdrücklich auf ein solches beziehen. Zudem müssen nicht alle Eigenschaften des Schönen gleichzeitig oder in gleichem Ausmaß in einem Gegenstand versammelt sein. So verkörpern die eingangs zitierten Lebensschicksale von Verbrechern und anderen Randexistenzen, die im Salon de 1846 als „sujets poétiques et merveilleux“ der großen Städte genannt werden, vor allem den dämonischen Aspekt, dem etwas Provokantes anhaftet. In dem späten Prosagedicht Les Fenêtres verkörpern dagegen ganz gewöhnliche Objekte des Alltags das Schöne, weil sie die Phantasie des Dichters in besonderem Maße anregen. Die dargestellten Lebensformen sind hier großstädtisch und „modern“, aber kaum überraschend, weder die des dichtenden Ichs, das über die Dächer der Stadt blickt, noch die der abgehärmten, immerzu arbeitenden, vielleicht verzweifelten Frau, die offensichtlich die zeitgemäße Variante der „tête séduisante et belle […] de femme“ aus den Journaux intimes ist. Überraschend ist allenfalls ihre Alltäglichkeit. Alle genannten Beispiele stellen jedoch ein menschliches Schönes vor, denn dieses ist für Baudelaire das vorrangig Schöne58. Dem melancholischen, unglücklichen und infernalischen Schönen korrespondiert ein Betrachter, der ebenfalls melancholisch und unglücklich und von alter Schuld geplagt ist, dazu kultiviert und leicht erregbar – der „homme sensible moderne“:
Un tempérament moitié nerveux, moitié bilieux, tel est le plus favorable aux évolutions d’une pareille ivresse; ajoutons un esprit cultivé, exercé aux études de la forme et de la couleur; un cœur tendre, fatigué par le malheur, mais encore prêt au rajeunissement; nous irons, si vous le voulez