Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Название Jugendgerichtsgesetz
Автор произведения Herbert Diemer
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Серия Heidelberger Kommentar
Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783811407299



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5 Abs. 3 zeigt, nicht. Zum Verhältnis zu Zuchtmitteln und Jugendstrafe s. § 5 Rn. 15 ff., 18. Zur Unzulässigkeit, Maßregeln der Besserung und Sicherung durch eine Weisung nach § 10 anzuordnen oder deren gesetzlichen Voraussetzungen zu umgehen vgl. § 10 Rn. 16–19.

II. Einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung

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      Für die einzelnen Maßregeln der Besserung und Sicherung gelten die jeweils einschlägigen Vorschriften des StGB (insbesondere auch § 62 und § 67 StGB), so dass auf die dazu vorliegende Literatur und die Rechtsprechungsnachweise verwiesen werden kann. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf durch das JGG veranlasste Besonderheiten. Zur verfassungsrechtlichen Problematik der Anordnung von Maßregeln, wenn der Täter nicht therapiefähig ist, eine Behandlung ablehnt oder der Mittel eines psychiatrischen Krankenhauses nicht bedarf, s. etwa Kruis StV 1998, 94.

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      Die Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die sich allein nach § 63 StGB bestimmen, sind gerade bei Jugendlichen besonders sorgfältig zu prüfen, insbesondere hinsichtlich seiner Gesamtpersönlichkeit, wobei bei Sexualtätern insbesondere die Pubertät zu berücksichtigen ist, hinsichtlich der Art seiner Erkrankung, seines Vorlebens und seiner Lebensbedingungen und aller sonst in Frage kommenden Umstände (BGH NJW 1951, 450 f.; BGHSt 37, 373; NStZ 1993, 527 [Böhm]; SchlHOLG SchlHA 1957, 161; ThürOLG Beschl. v. 29.1.2007 – 1 Ws 16/07). Von der Vernehmung hierfür in Betracht kommender Auskunftspersonen kann nicht mit der Begründung abgesehen werden, dass ein bestimmtes Verhalten als wahr unterstellt wird (SchlHOLG a.a.O.). Je länger die Unterbringung dauern soll, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges sein (BVerfG StV 1986, 160). Zur Unterbringung bei fehlender strafrechtlicher Verantwortlichkeit (§ 3) s. § 3 Rn. 28–30).

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      Da Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht werden, nach dem das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Einzelnen gerechten Ausgleich verlangen (BVerfG StV 1986, 162), darf eine Abhilfe der Gefährdung der Rechtsordnung nicht auf andere Weise als die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zu schaffen sein; dabei ist zu prüfen, ob eine ausreichende Sicherung in diesem Sinne etwa durch Familienmitglieder, ggf. mit Unterstützung durch das Jugendamt, erreicht werden kann (BGH NJW 1951, 450 f.) oder ob der Zweck der Maßregel nicht auch durch die weniger beschwerende Maßregel der Unterbringung in einer Erziehungsanstalt erreicht werden kann (BGH NStZ 1993, 527 [Böhm]). Erst wenn über die Unmöglichkeit solcher weniger einschneidender Maßnahmen Klarheit geschaffen ist, hat das Gericht eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (BGH NJW 1951, 450 f.). Die Unterbringung eines 17-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus kann immer nur in besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein (BGH NStZ 1991, 384 = MDR 1991, 1188 f.; BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 1). All diese Gesichtspunkte sind in der Hauptverhandlung festzustellen und im Urteil darzulegen.

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      Es genügt die bestimmte Wahrscheinlichkeit, der Jugendliche werde die Rechtsordnung künftig unmittelbar bedrohen (BGH GA 1959, 339 [Herlan]). Nicht erforderlich ist indessen, dass verbindlich vorhergesagt werden kann, der Jugendliche werde anschließend keine Gefahr mehr für die Sicherheit der Allgemeinheit sein. Fehlende Erfolgsaussichten stehen – anders als bei der Unterbringung nach § 64 StGB (Rn. 7) – der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht grundsätzlich entgegen, weil diese Maßregel in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit dient und die Heilung nur ein erwünschter Nebenzweck ist (für Erwachsene: HansOLG Hamburg MDR 1995, 947 f. m.N.). Grundsätzlich zur Anordnung der Unterbringung eines Jugendlichen in einem psychiatrischen Krankenhaus vgl. BGH MDR 1991, S. 1188 f.

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      Die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 7; § 61 Nr. 2 StGB) bestimmen sich nach § 64 StGB. Außerdem gelten die zu Rn. 2 dargelegten Grundsätze. Die Maßregel wird in einer Einrichtung vollzogen, in der die für die Behandlung suchtkranker Jugendlicher erforderlichen besonderen therapeutischen Mittel und sozialen Hilfen zur Verfügung stehen (§ 93a). Liegen die Voraussetzungen des § 64 StGB vor, so hat das Gericht grundsätzlich die Unterbringung anzuordnen, selbst wenn eine aus seiner Sicht geeignete Anstalt nicht gefunden werden kann (BGHSt 28, 327; BGH NStZ 1990, 102; s. § 5 Rn. 10; a.A. Ostendorf § 7 Rn. 5).

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      Die Anordnung nach § 64 steht im gebundenen Ermessen des Gerichts („soll“), so dass sie bei Vorliegen aller Voraussetzungen ergehen muss, wenn nicht besondere Gründe eine Ausnahme erforderlich machen. Es muss sich um therapiebezogene Ausnahmegründe handeln, um Fälle also, in denen zwar eine Erfolgsaussicht gerade noch bejaht werden kann, die Ausgangsbedingungen aber derart ungünstig sind, dass durch ein Absehen von der Unterbringung der Maßregelvollzug von einem faktisch nicht zu leistenden Therapieaufwand, der für die aussichtsreicheren Fälle die knappen Ressourcen entzöge, entlastet werden kann (BT-Drucks. 16/1344, S. 12 f.). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers kann dies der Fall sein, wenn die Verständigung mit dem Probanden nicht oder nur über einen Dolmetscher möglich, die Ausweisung des Straftäters zu erwarten oder bei diesem eine Disposition zur Begehung von Straftaten festgestellt ist, die nicht wesentlich auf den Hang zu übermäßigem Drogenkonsum, sondern auf andere oder weitere Persönlichkeitsmängel zurückzuführen ist (BT-Drucks. 16/1344, S. 12 und Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 16/5137, S. 10). Vor diesem Hintergrund wird die bisherige Rechtsprechung des BGH, nach der mangelhafte oder fehlende Sprachkenntnisse des Angeklagten bei der Unterbringungsanordnung außer Betracht zu bleiben haben, in dieser Allgemeinheit nicht mehr aufrecht zu erhalten sein (BGH StV 2008, 138).

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      Ein fehlender Therapieplatz in einer vorhandenen Anstalt ist danach auch nach der Änderung des § 64 in eine „Soll“-Vorschrift (Gesetz v. 16.7.2007, BGBl. I, S. 1327) kein ausreichender Grund für ein Absehen von der Unterbringung oder für einen Vorwegvollzug der Jugendstrafe entgegen § 67 Abs. 1 StGB (BGH MDR 1978, 803 [Holtz]; Beschluss v. 13.10.1981 – 1 StR 491/81; BGH NStZ 1981, 492; NStZ 1982, 132; s. auch Rn. 17). Es ist aber andererseits nicht verfassungswidrig, wenn die Vollstreckung der Jugendstrafe, die ursprünglich nach der Maßregel vollzogen werden sollte, angeordnet wird, nachdem sich herausgestellt hat, dass es an einer geeigneten