Die Ratten. Textausgabe mit Kommentar und Materialien. Gerhart Hauptmann

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Название Die Ratten. Textausgabe mit Kommentar und Materialien
Автор произведения Gerhart Hauptmann
Жанр
Серия Reclam XL – Text und Kontext
Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783159614892



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die Piperkarcka gegen die Entreetür gedeckt ist. Die Piperkarcka verschwindet. Frau John und Bruno bleiben allein.)

      BRUNO.

      Wat wiste denn mit die barmherzige Schwester?

      FRAU JOHN.

      Det jeht dir nischt an, verstehste mich.

      BRUNO.

      Ick frage ja man, weil det de vor det Mächen so ängstlich ’ne Wand machen dust. Sonst is et mich doch wahaftig Pomade.

      FRAU JOHN.

      Det soll dir ooch immer Pomade sind.

      BRUNO.

      Danke Komma, denn kann ick woll abtippeln.

      FRAU JOHN.

      Lump, weeßt du woll, wat du mir schuldig bist?

      BRUNO

      (pomadig). Wat regste dir denn uff? Wo stoß ick dir denn? Wat wiste? Ick muss jetzt zu meine Braut. Mir schläfert. Vorichte Nacht hab ick unter Sträucher in Tierjarten plattjemacht. Und juterletzt is Kohlmarcht bei mich. (Er kehrt seine Hosentaschen um.) Folgedessen muss ick jehn ’n Stück Brot verdienen.

      FRAU JOHN.

      Hierjeblieben! – und nich von de Stelle! – oder du krist, und wenn det de jaulst wie’n kleener Hund, kriste nimmermehr, wenn’t bloß’n Pfennich is, krist de von mich! Bruno, du jehst uff schlechte Weje.

      BRUNO.

      Ick wer woll immer jejen de janze Welt … noch wat! … wer ick der Potsdamer sind. Soll ick etwa nich jehn, wo ick scheen bei Huldan zu leben krieje? (Er zieht eine schmutzige Brieftasche.) Nich ma’n dreckigen Pfandschein ha ick mehr in de Plattmullje drin. Wat wiste von mich, un denn lass mir abschrenken.

      FRAU JOHN.

      Von dir? Wat ick will? For wat wärst du woll nitze? Du bist zu nischt weiter nitze, als det eene [18]Schwester, wo nich richtig in Koppe is, mit so’n Lump un Tagedieb Mitleid hat.

      BRUNO.

      Kann sind, det de in Koppe manchmal nich richtig bist.

      FRAU JOHN.

      Unser Vater hat oft zu mich jesacht, wo du schonn mit fünf, sechs Jahre alt schlechte Dinge jetrieben hast, det mit dir in Leben keen Staat weiter nich zu machen is un det ick dir sollte loofen lassen. Un mein Mann, wo richtig un orntlich is … vor so’n juten Mann: du darfst dir nich blicken lassen.

      BRUNO.

      Jewiss doch, det weeß ick ja allens, Jette! Aber so eenfach schiebt sich det nu eemal nu eben nich. Wat wiste? Ick weeß, ick bin mit’n Ast uff’n Puckel, wenn det’n ooch det’n keener sieht, un nich in Zangzuzih uff de Welt jekomm. Ick muss sehn un mir mit mein Ast mangmang helfen. Na jut so! wat wiste? von wejen de Ratten brauchst du mir nich. Du wist bloß wat mit die Dohle vertussen.

      FRAU JOHN

      (die Faust drohend unter Brunos Nase). Verrat du een eenziget kleenet Sterbenswort: denn mach ick dir kalt. Denn bist du ’ne Leiche!

      BRUNO.

      Na weeßte, vastehste, ick mache mir dinne. (Er steigt die Treppe hinauf.) Womeeglich komm ick, mir nischt dir nischt, noch ma in Schokoladenkasten rin.

      (Er verschwindet durch die Bodenklappe. Frau John löscht eilig die Lampe und tappt sich zur Bibliothekstür. Sie geht in die Bibliothek, schließt aber die Tür hinter sich nicht ganz.

      Die Geräusche eines verrosteten Schlosses und Schlüssels, der darin umgedreht wurde, sind vernehmlich gewesen. Ein leichter Schritt kommt nun den Gang herauf. Vor[19]übergehend war der Berliner Straßenlärm, auch Kindergeschrei aus den Hausfluren vernehmlich geworden. Leierkastenmusik vom Hof herauf.

      Mit scheuen Bewegungen erscheint Walburga Hassenreuter. Das Mädchen ist noch nicht sechzehn Jahre alt und sieht hübsch und unschuldig aus. Sonnenschirm, fußfreies helles Sommerkleidchen.)

      WALBURGA

      (stutzt, horcht, sagt dann ängstlich). Papa! – Ist schon jemand hier oben? – Papa! Papa! (Sie horcht lange gespannt und sagt dann.) Es riecht ja hier so nach Petroleum! (Sie findet Streichhölzer, entzündet eines davon, will die Lampe anstecken und verbrennt sich an dem noch heißen Zylinder.) Au! – Donnerwetter, wer ist denn hier? (Sie hat aufgeschrien und will fortlaufen. Frau John erscheint wieder.)

      FRAU JOHN.

      I, Freilein Walburga, wer wird denn jleich Lärm machen! Sein Se man friedlich! Det bin ja bloß ick.

      WALBURGA.

      Gott, hab ich aber einen ganz entsetzlichen Schreck bekommen, Frau John.

      FRAU JOHN.

      Weshalb denn, Freilein? Wat suchen Se denn heit an Sonntag hier?

      WALBURGA

      (Hand auf dem Herzen). Mir steht noch immer das Herz ganz still, Frau John.

      FRAU JOHN.

      Wat hat’s denn, Freilein Walburga? Wer ängstigt Se denn? Sie missen det doch von Ihren Herrn Vater wissen, det ick Sonntag und Wochentag hier oben mang die Kisten und Kasten zu tun habe, mit Staub-Abbürsten und Motten-Auskloppen. In drei, vier Wochen, wenn ick jlicklich mit die zwölf- oder achtzehnhundert Theaterlumpen eemal rum bin und fertig bin, fängt et doch immer wieder von frischen an.

      [20]WALBURGA.

      Ich hab mich erschrocken, weil sich der Lampenzylinder noch ganz heiß anfasste, Frau John.

      FRAU JOHN.

      Nu ja, de Lampe hat ebent jebrannt, un ick hab se vor eene halbe Minute ausjepustet. (Sie hebt den Zylinder ab.) Mir brennt et nich! Ick hab harte Hände! (Sie zündet das Docht auf.) Na, nu wird Licht! Nu hab ick se wieder anjestochen. Wat is nu Jefährliches los? Ick sehe nischt.

      WALBURGA.

      Hu, Sie sehen ja aus wie ein Geist, Frau John.

      FRAU JOHN.

      Wie soll ick aussehn?

      WALBURGA.

      Das ist, wenn man so aus der prallen Sonne ins Finstere kommt … in diese muffigen Kammern hinein, da ist man wie von Gespenstern umgeben.

      FRAU JOHN.

      Na, kleenet Jespenst, weshalb kommen Se denn? – Sind Se alleene, oder is noch jemand? – Kommt am Ende Papa noch nach?

      WALBURGA.

      Nein! Papa ist heute zu einer wichtigen Audienz nach Potsdam hinaus.

      FRAU JOHN.

      Und wat suchen denn also Sie nu woll hier?

      WALBURGA.

      Ich? Ich bin einfach spazieren gewesen.

      FRAU JOHN.

      Na, denn sehn Se man wieder, det Se fortkomm. In Papan seine Rumpelkammer scheint keene Pfingstsonne nich.

      WALBURGA.

      Sie sollten auch, so grau wie Sie aussehen, mal lieber raus an die Sonne gehn.

      FRAU JOHN.

      I, Sonne is bloß for feine Leite! Wenn ick man alle Dache meine paar Pfund Staub und Dreck uff de Lunge krieje – jeh man, Kindken, ick muss an de Arbeet! –, mehr brauch ick nich: ick lebe von Müllstoob und Mottenpulver. (Sie hustet.)

      [21]WALBURGA

      (ängstlich). Sie brauchen Papa nicht sagen, dass ich hier oben gewesen bin.

      FRAU JOHN.

      Ick? Ick habe woll sonst nischt Besseret zu tun.

      WALBURGA

      (scheinbar leichthin). Und sollte Herr Spitta nach mir fragen …

      FRAU JOHN.

      Wer?

      WALBURGA.

      Der