Название | Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43 |
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Автор произведения | Friedrich Gerstecker |
Жанр | Документальная литература |
Серия | maritime gelbe Buchreihe |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753191874 |
Am 18. Juli flog das Schiff lustig durch die Wellen, die Segel von günstigem Winde, unsere Herzen von neuerwachter Hoffnung geschwellt. Heute hatten sich sogar die Oldenburger Bauern auf dem Verdeck versammelt und sangen im Chorus ein sehr schönes Lied, von dem der Kehrreim immer lautete: „In Amerika können die Bauern in den Kutschen fahren“, wobei sie das „s“ sehr deutlich von dem „ch“ trennten. Mit den Kutschen möchten sich die guten Leute wohl geirrt haben; „Schiebkarren“ könnten da eher am Platze sein; doch geht ja nichts über die Hoffnung, was wären wir ohne sie.
„Morgen kommen wir an Land!“ – Wie ein leises Flüstern lief das Wort erst über Deck und drang bis in die untersten, entferntesten Räume. – An Land – das so tausendmal und heißersehnte Land – und wie oft waren wir schon darauf vertröstet worden, wie oft hatten wir uns darauf gefreut. – Land – es liegt ein eigener Zauber in dem Worte, und nur der begreift ihn, der draußen in See der fernen Küste mühsam zustrebt und vor drängender Sehnsucht indessen fast zu vergehen meinte, bis der rastlose, zuckende Fuß den festen, heiligen Boden wieder betreten könne.
Ob wir uns aber auch zehnmal umsonst darauf gefreut, die Sehnsucht danach war deshalb nicht schwächer, eher stärker geworden, und als es leise, ganz leise im Osten anfing zu dämmern, sprang ich aus meiner Hängematte, die ich mir schon seit einiger Zeit selbst gemacht hatte, da ich das Schlafen in dem engen Räume nicht mehr aushalten konnte, und lief hinauf auf die Vorbramrahe.
Ruhig, nur von einem leisen Südostwinde gekräuselt, lag das Meer tief unter mir und schien tanzend und spielend dem gewaltigen Schiffe erst auszuweichen und ihm dann plätschernd zu folgen. Ich kletterte in die oberste Stenge hinauf, umfasste dieselbe mit dem linken Arme und atmete mit Wonne die reine Morgenluft. Heller und heller wurde der Horizont, klarer, immer klarer die Aussicht, die Nebel schwanden, ein fernes dumpfes, donnerähnliches Brausen schlug an das lauschende Ohr; das war die Brandung. – Dort, dort lag Amerika, und immer deutlicher trat jetzt ein schwacher blauer Streifen über dem dunkeln Wellenhorizonte hervor. „Land!“ schrie ich hinunter vom Mast, und „Land, Land!“ tönte es im Zwischendeck von einer Lippe zur anderen.
Wie Ameisen aus ihrem bedrohten Bau, so krochen aus dem engen Eingangsloche jetzt die schlaftrunkenen Passagiere eilfertig hervor, stellten sich vorn ans Bugspriet hin, rissen die verschlafenen Augen auf und schrien: „Land!“ Natürlich konnte unten vom Verdeck aus noch niemand etwas erkennen.
Auch der lange Schneider kam, in einer Hand seinen Butterteller, in der anderen einen Schiffszwieback, aufs Verdeck gesprungen, als er Land rufen hörte, setzte beides schnell auf einen der Hühnerkästen, die von ihrem gewöhnlichen Stande weggenommen und erst den Tag vorher vor die Winde hingestellt worden waren, und eilte mit den anderen vorn hin, das ersehnte Land zu erspähen.
Wilhelm, der wahrscheinlich dachte, dass er Amerika noch früh genug zu sehen bekommen würde, ließ sich ruhig auf einem der Hühnerkästen nieder, und natürlich nirgends anderswo als gerade in die Butter, welche die Nacht hindurch unten im warmen Zwischendeck weich geworden war. Mit den Fersen dabei gemütlich gegen die Latten klopfend, saß er da, pfiff, die Hände im Schoß gefaltet, und sah träumend ins Blaue. Der Schneider, nicht unnützerweise um seine Butter besorgt, die er, vertrauend auf allgemeine Redlichkeit, gewissermaßen auf offener Straße hingesetzt hatte, kehrte zurück und blieb starr vor Verwunderung mit offenem Munde stehen, als er dieses Bild unschuldiger Gemütlichkeit und Seelenruhe in seiner Butter sitzen sah. Wilhelm, nichts Böses ahnend und von dem Erstaunen des Schneiders ergötzt, verzog das Gesicht zu einem breiten Lächeln, wobei er immer noch zu pfeifen versuchte.
Endlich löste sich die Zunge des Erstaunten. „Nee, der Unglücksmensch“, rief er aus, sprang auf den sich dessen nicht versehenden Wilhelm zu, riss ihn übers Knie, und die Kehrseite desselben mit tiefer Betrübnis den Umstehenden zeigend, rief er aus: „Do hat er se.“
Näher und näher kamen wir jetzt der so lange ersehnten Küste. Schon konnte man das waldige Land, schon grüne Felder erkennen, jetzt die einzeln vorstehenden Bäume, jetzt Häuser, Farmerwohnungen und Leuchttürme; es war ein wundervoller Anblick. Doch nicht lange genossen wir ihn, denn der Kapitän getraute sich nicht, näher zum Ufer zu laufen; wir lavierten daher wieder ab, so dass wir gegen Abend das Land kaum noch vom Wasser unterscheiden konnten.
Am 19. Juli fuhren wir wieder mit vollen Segeln darauf zu. Um elf Uhr ungefähr kam ein kleiner Kutter uns entgegen; die nordamerikanische Flagge flatterte an seiner Segelstange; wir hissten die Bremer Flagge auf. Es war der Lotse.
Jetzt kam neues Leben an Bord. So nahe vor dem Hafen wurde frisches Wasser ausgeteilt, da das Seewasser, mit dem wir uns bis jetzt abgerieben hatten, keine Seife annimmt, und das ganze Schiff glich eher einer Reinigungsanstalt als etwas anderem. Überall wurde geputzt und blank gemacht. Hier schmückte sich eine junge israelitische Dame vor einem Stückchen Spiegelglas mit falschen Ohrringen, dort wusch sich ein armer Teufel noch in der Geschwindigkeit ein Hemde aus; an jener Seite saßen mehrere Frauen und kämmten und bürsteten die Kinder, und an dieser stiegen ein halbes Dutzend, schon fix und fertig, in ihrem schönsten Sonntagsstaat stolz einher. Dort, an der Winde, ach ja, da lagst du, lieber Seiler, auf dem Bauche, du besaßest nur das eine Paar Beinkleider, du Armer, und hattest diese auf der langen Überfahrt durchgesessen; aber mit erbarmendem Mitleiden im Blick bog sich der lange Schneider über dich und setzte dir einen großen schwarzen Flicken auf den defekten Teil, – eine Träne glänzte in seinen großen blauen Augen – es verdunkelte sich, die Nadel stach zu tief, und mit gewaltigem Satze sprangst du, lieber Seiler, in die Höhe und hieltest die Hand auf den Flicken.
Der Lotse, ein schöner, großer Mann, der, wie alle amerikanischen Lotsen, ganz unähnlich den unseren, die in ihrem groben blauen Pilotenzeuge einhergehen, höchst geschniegelt und modern mit schwarzem Frack und Zylinder angezogen war, brachte uns bald in die Einfahrt des New-Yorker Hafens nach Staten Island.
Wo nehme ich jetzt die Feder her, das zu beschreiben, was wir sahen, das zu schildern, was wir fühlten? Der Anblick des im lieblichsten Grün prangenden, mit üppigen Feldern und köstlichen Gebäuden besäten Landes, zwischen denen hier und da wieder der dunkelgrüne herrliche Urwald durchschimmerte, der rechts und links zur Beschützung des Hafens angelegten Forts, des freundlichen, blauen Himmels über uns, der nur leise plätschernden Wogen unter uns, machte mir das Herz aufgehen, und mich trieb es, allein zu sein. Ich stieg hinauf in den Mastkorb und schaute von dort mit entzückten, warum soll ich's leugnen, mit nassen Augen das wundervolle Land, das uns hier mit liebenden Armen zu umfangen schien, und unwillkürlich drängte sich mir die Frage auf: „Warum ist das nicht die Heimat, warum musste ich alles, alles verlassen, an dem das Herz hing, um diesen Anblick zu erkaufen?“
Die Matrosen, die wie Katzen die Strickleitern heraufliefen, störten mich in meinen Betrachtungen; die Segel wurden befestigt, und in wenigen Minuten rauschte der schwere Anker in die Tiefe.
Unter gelber Flagge kam jetzt ein kleines Schiff von Staten Island; es brachte einen Arzt an Bord, der die Mannschaft und die Passagiere untersuchen musste, um sich zu überzeugen, ob sie alle gesund seien. Glücklicherweise waren unsere drei Pockenkranken genesen; die Leutchen sahen alle wohl und frisch aus, so dass der gute Doktor trotz seiner sechseckigen Brille keine Spur vergangener Krankheit finden konnte und mit einem „All well“ das Schiff verließ. Gegen Abend sprangen H., unser Doktor und ich wieder über Bord, uns zu baden.