Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43. Friedrich Gerstecker

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mir tönte und rauschte es wie ferner Donner. Es war mein Schlafkamerad, der da oben schnarchte, und dass das Gewicht, welches auf meinem Magen lag, auch mein Schlafkamerad sein musste, unterstand jetzt gar keinem Zweifel mehr.

      Ich versuchte nun, den Koloss zu bewegen; es war aber eine Unmöglichkeit. Ich stieß, ich rief, – alles umsonst. Wie ein Fels lag er, wenigstens teilweise, auf meiner Brust und schien ganz gefühllos zu sein. Als alle bis dahin gemachten Versuche, ihn zu wecken, erfolglos blieben, erinnerte ich mich zum Glück meiner Halstuchnadel, die ich den Abend vorher nicht abgenommen hatte; mit Mühe brachte ich den Arm herum, nahm die Nadel aus dem Tuche und stach sie mit fester Hand in den auf mir liegenden Fleischklumpen. Ein plötzliches gewaltiges Strecken und Dehnen, das mir augenblickliche Linderung verschaffte, war der Erfolg meines Angriffs, die Bewegungen aber wurden schwächer und schwächer, das Gewicht auf mir ward mit jedem Augenblicke wieder schwerer und unerträglicher, und um nicht eine vollständige zweite Auflage zu erleiden, musste ich meinen Angriff erneuern.

       „What the devil is Tat? help, murder!“ schrie eine tiefe Bassstimme über mir, und durch einen plötzlichen Ruck meiner Last fühlte ich mich frei. Wie ein Aal schlüpfte ich unter dem Gewichte hervor und sah nun bei dem matten Scheine der von der Decke herunterhängenden Lampe ein so komisches Bild, wie mir wohl bis dahin nie vorgekommen war.

      Der starke schwerfällige Mann, der im oberen Rahmen ohne Matratze schlief, war zu gewichtig für die schon lange Jahre gebrauchte Leinwand gewesen und im Schlafe mit dem schwersten Teile seines Körpers durchgebrochen, der dann den ersten festen Anhaltspunkt auf meinem Magen fand. Durch meinen Nadelstich aufgeschreckt, hatte er sich gedehnt und mich dadurch für einen Augenblick befreit, den ich auch nicht unbenutzt ließ . Als er aber jetzt in seine alte Lage, mit womöglich noch etwas größerer Stärke und Schwere, zurückfiel, war die Stütze verschwunden, die Leinwand gab nach, und der noch nicht ganz Erwachte saß auf meinem Bett, während sein Oberkörper nebst den Füßen noch in seinem eigenen hing, und schrie Mord und Zeter.

      Alles sprang auf, zu sehen, was es gäbe, und groß war der Jubel, als man den Dicken so gefangen sah.

      Gegen Morgen kamen wir nach Lockport, wo der Kanal einige 60 Fuß steigt, und wo fünf doppelte Schleusen angebracht sind; an einer Seite zum Hinaufgehen, an der anderen zum Herunterkommen der Kanalboote.

      In Lockport hörte ich jetzt, dass ich, um den Niagarafall zu besuchen, viel besser tun würde, gleich hier das Boot zu verlassen und zu Fuß nach den gar nicht mehr so weit entfernten Fällen hinüberzugehen. Von Buffalo aus sollte ich viel weiter haben und könnte dorthin später immer kommen. Dem Rat folgte ich und erreichte auch schon nachmittags um zwei Uhr dieses kolossalste Wasserwunder der Erde.

      Ich erlasse mir aber jede Schilderung; kalte Zeichnungen und Tausende von guten und schlechten Beschreibungen dieses göttlichen Schauspiels sind schon in alle Weltgegenden ausgegangen – ich will ihre Zahl nicht vermehren. Aber einen gewaltigen Eindruck machte es auf mich; ich konnte nur staunen und beten; es war zu gewaltig groß.

       Das Herz noch von dem herrlichen Naturwunder voll, wollte ich nicht in der kleinen Stadt Manchester, die dicht am Falle liegt, übernachten und verfolgte den ersten sich mir zeigenden Weg ins Land hinein, teils um zu jagen, teils um ein Haus für Nachtherberge aufzusuchen.

      Dunkler und immer dunkler wurde die Welt, tiefer und immer tiefer der Kot, als ich endlich zum guten Glück den Schein eines Lichtes bemerkte, der wie ein leitender Stern durch die dichter und dichter werdende Finsternis brach. Es war die stille, freundliche Wohnung eines pennsylvanischen Schmieds, der sich hier im Staate New-York angesiedelt hatte, und der mit wohltuender Gastfreundschaft den Hungrigen speiste und dem Müden ein warmes Bett bereitete. Hier sowohl wie bei mehreren anderen Farmern hörte ich, dass Kanada ein schönes Land sei, dass Wild dort im Überfluss die Wälder fülle und Bären und Wölfe nicht selten dem kühnen Jäger zu schaffen machten.

      Hier war Aussicht auf ein interessantes Leben. – Kanada – Bärenjagd – schon die beiden Worte genügten, neue fröhliche Bilder vor mir aufzurollen. Wohin ich ging, blieb sich ja überhaupt ganz gleich. Das Land wollte ich kennen lernen, und ob ich damit im Norden oder Süden begann, kam auf eins heraus.

      So besann ich mich denn auch nicht lange, und schon am 1. November brachte mich ein Dampfboot von Lewisville, einem kleinen Städtchen am Niagara, nach Toronto, wo ich aber nur eine Nacht verweilte, indem ich sehr spät ankam und gleich am nächsten Morgen früh mit einem anderen Boote weiter nach Hamilton ging.

       Hamilton ist ein freundliches Städtchen am Ontariosee in Kanada, und obgleich es nur eine kurze Strecke von der Grenze der Vereinigten Staaten entfernt liegt, kann man doch einen großen Unterschied, sowohl im Allgemeinen als in vielen Kleinigkeiten erkennen. Der größte Teil der in Kanada Angesiedelten besteht aus Engländern, Schotten oder Iren, und diese haben meistens, wie es mir wenigstens in der sehr kurzen Zeit, in der ich dort war und beobachten konnte, vorkam, ihre alten Gewohnheiten beibehalten. Auch ist das Geld dort englisch, obgleich das amerikanische ebenfalls gangbar ist, und umsonst würde man auf der anderen Seite des Sees nach Zepter und Kronen suchen, die hier so häufig wie im Vaterlande Aushängeschilder und Wappen zieren.

      Ich hatte mir in Hamilton den Fuß vertreten und musste Freitag, den 3. November, so unangenehm es mir auch war, dort liegen bleiben; doch am Sonnabend früh zog ich, genesen und jubelnd, beim schönsten Wetter wieder hinaus in die liebe herrliche Gotteswelt und hatte, wie das vergnügte Schulmeisterlein Wuz, Mitleiden mit den Leuten in allen Gassen, dass sie dableiben mussten. Von Hamilton ging ich nach Dundas, auch am Ontario, nahm von da nördlichen Kurs an und wanderte auf die Stadt Preston zu, bog jedoch zwei Meilen vorher rechts ab, um nach New-Hope zu marschieren, wo, wie ich gehört hatte, ein alter deutscher Jäger wohnen sollte.

      Am Sonntagnachmittag kam ich glücklich nach New-Hope, und dort die Wohnung des alten Deutschen erfragend, langte ich den Abend mit Dunkelwerden, bei derselben an. Er war nicht zu Hause, aber sechs Kinder von jeder Größe schauten mit ihren klaren Augen verwundert zu dem Fremden und seiner ausländischen Tracht empor. Der Wirt mit seiner Hausfrau war in der Kirche, und die älteste Tochter, ein Mädchen von sechzehn Jahren, lehrte die kleineren Geschwister Buchstabieren und Lesen aus einem alten vergriffenen, wer weiß ob begriffenen, Katechismus. Ich setzte mich ruhig in eine Ecke, die Ankunft der Alten erwartend, und lauschte dem Geplauder der Kinder.

      Endlich erschienen die beiden Häupter der Familie – der alte Mann gehörte zur Religion der Tunker und ließ den vollen Bart unter dem Kinne wachsen – und begrüßten, als sie nur erst einmal die an ihnen hinaufspringenden Kinder abgewehrt hatten, den Fremdling auf das Herzlichste.

       Zuerst schien mich der Alte allerdings meiner Bewaffnung halber mit etwas misstrauischen Augen zu betrachten, denn Kanada stand am Vorabend der nur wenige Wochen später ausbrechenden Revolution, und diese „ruhigen Deutschen“ schienen keine besondere Freude an der wachsenden Unruhe zu finden. Als ich ihm aber sagte, was die Ursache meines Besuches war, wurde er rasch zutraulich, legte seinen Kirchenstaat ab, und wir setzten uns dann zu dem warmen Ofen, den man in Kanada der großen Kälte wegen häufig statt der Kamine findet.

      Das Gespräch drehte sich meistens um den Ackerbau und die Jagd. Der Alte schien den ersten aus dem Grunde zu verstehen und liebte die zweite leidenschaftlich. Das war der Mann für mich. Er erzählte mir viel von dem früheren Reichtum an Wild, der aber jetzt der stärkeren Bevölkerung wiche, und klagte über die vielen Jagdverderber, die in den Wald gingen und durch vieles Schießen das Wild verscheuchten, ohne je mehr zu bezwecken, als dass sie einen armen Hirsch verkrüppelten. Ich glaube, er stichelte. Auch rühmte er sich, beim Truthahnschießen selten gefehlt zu haben. Das Truthahnschießen findet hier noch ganz so statt, wie es Cooper so trefflich in seinem „Ansiedler“ beschreibt. Da die Nacht schon weit vorgerückt war, wies mir der Alte ein Lager unter dem Dache an, dem es wahrlich nicht an Luft fehlte; doch schlief ich herrlich.

      Er hatte mir am Abend von einem nur wenige Meilen entfernten See gesagt, wo sich eine ungeheure Menge von Enten aufhalten sollte, und mit Tagesanbruch machte ich mich auf, mir einige Braten zu holen.

      Mein neuer Bekannter hatte mir wohl ungefähr die Richtung angegeben, in der ich den See finden könne, an einen Weg aber war gar nicht zu denken; doch glaubte ich, das Wasser auch