Название | Homer und Vergil im Vergleich |
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Автор произведения | Philipp Weiß |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Classica Monacensia |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783823300137 |
(„Da schliefen die anderen Götter und die pferdegerüsteten Männer | Die ganze Nacht. Aber den Zeus hielt nicht der süße Schlaf, | Sondern er überlegte in seinem Sinn, wie er den Achilleus | Ehre und viele der Achaier verderben sollte bei den Schiffen.“ ÜS Schadewaldt)
Im ersten Buch wird zwar keine akute Bedrohung durch den Krieg beschrieben. Dennoch findet der Schlaf der Krieger – die Götter bleiben von der Kritik ausgenommen – den Tadel der Philologen:
ἱπποκορυσταί] οὓς ἀγρυπνεῖν ἔδει διὰ τὴν τοῦ πολέμου πρόνοιαν. οἱ δὲ τοὺς βασιλεῖς ἤκουον. (schol. bT ad Il. 2, 1c = I 175, 7–8 Erbse)
(„roßgerüstet] Sie hätten wachen müssen, weil sie den Kampf schon vorhersahen. Sie hatten ja die Anführer gehört.“)
Die Einlassung gilt den Achaiern selbst, die am Tag zuvor der Beratung beigewohnt hatten, bei der die Rücksendung der Chryseis und die Überstellung der Briseis an Agamemnon beschlossen worden war (Il. 1, 54–305). Der anonyme Kommentator hat insbesondere die Worte des Achilles im Blick, der den Achaiern unter Eid seine Enthaltung vom Kampf und vielfachen Tod unter den Händen Hektors für den Fall in Aussicht gestellt hatte, dass ihm das Ehrgeschenk genommen würde (Il. 1, 233–244). Nach einer solchen Szene war es dem antiken Kritiker zufolge als unangemessen zu tadeln, dass die Achaier sorglos schliefen.
Wenn nicht die handelnden Figuren für ihr inkonsequentes Verhalten, sondern der Dichter und seine Darstellung getadelt werden, so richtet sich die Kritik auf die fehlende Plausibilität der Darstellung. Auch dafür findet sich in den Homerscholien ein treffendes Beispiel, nämlich am Beginn des zehnten Buches der Ilias (Il.HomerIl. 10, 1–4 10, 1–4):
Ἄλλοι μὲν παρὰ νηυσὶν ἀριστῆες Παναχαιῶν | εὗδον παννύχιοι μαλακῷ δεδμημένοι ὕπνῳ· | ἀλλ’ οὐκ Ἀτρεΐδην Ἀγαμέμνονα ποιμένα λαῶν | ὕπνος ἔχε γλυκερὸς πολλὰ φρεσὶν ὁρμαίνοντα.
(„Da schliefen die anderen bei den Schiffen, die Ersten der All-Achaier, | Die ganze Nacht hindurch, vom weichen Schlaf bezwungen. | Doch den Atreus-Sohn Agamemnon, den Hirten der Völker, | Hielt nicht der süße Schlaf, denn viel bewegte er in dem Sinn.“ ÜS Schadewaldt)
Legt man wieder die zur Parallele im zweiten Buch genannten Kriterien an, so wäre ein Schlafverbot an das achaische Kriegsvolk an dieser Stelle noch eher am Platz als dort. Nach der abgebrochenen Schlacht (Il. 8, 53–349) und der misslungenen Gesandtschaft an Achilles (Il. 9, 182–668) ist der Mut der Achaier geschwunden; an Schlaf sollte in dieser Situation nicht zu denken sein. Der anonyme Kommentator muss also eigens betonen, dass hier eine glaubhafte Darstellung vorliegt, um Homer zu rechtfertigen:
ἄλλοι μὲν παρὰ νηυσὶν ἀριστῆες Παναχαιῶν | <εὗδον παννύχιοι>] εἰκότως· ἀμφότερα γὰρ ὕπνου ἀγωγά, καὶ ὁ ἐκ τῆς μάχης κάματος καὶ ἡ ἐπὶ τῇ ἥττῃ δυσθυμία. (schol. A ad Il. 10, 1–2 = III 1, 7–8 Erbse)
(„Das stellt er glaubwürdig dar: Die beiden Dinge nämlich führen den Schlaf herbei, sowohl die Anstrengung des Kampfes wie auch die Mutlosigkeit infolge der Niederlage.“)
Die Achaier sind nach einem Tag voller Kämpfe und der von Achill abgeschlagenen Bitte um Unterstützung vom Schlaf wie überwältigt (vgl. Il. 10, 2b: μαλακῷ δεδμημένοι ὕπνῳ).11 Diese Gewalt des Schlafes über alle Menschen ist ein Gemeinplatz:
μαλακῷ] τῷ πάντας μαλάσσοντι, ὅθεν καὶ <Il. 24, 5; Od. 9, 373> ‘πανδαμάτωρ’ καλεῖται. (schol. bT et b ad Il. 10, 2b = III 2, 21–22 Erbse)
(„vom weichen] von dem, der alle weich macht, weswegen er auch ‘Allbezwinger’ genannt wird.“)
Die negative Wertung des Schlafes als bedrohliche Macht, die von den Menschen Besitz ergreift, hat ihr Pendant in der positiv besetzten Tugend der ἀγρυπνία, die man besonders von den homerischen Führungsgestalten Agamemnon und Achill einforderte. Am Beginn der homerischen Dolonie wird diese Qualität im Kontrast zu den Achaiern an Agamemnon betont (vgl. Il. 10, 3–4). Die Scholien bemerken dazu:
<ἀλλ’ οὐκ Ἀτρείδην –/ὕπνος ἔχε>] ἀγρυπνεῖ ὁ στρατηγός, πρῶτα μὲν ὅτι τοὺς πρώην πολιορκουμένους πολιορκοῦντας ὁρᾷ, καὶ ὅτι ἡ εἰς Ἀχιλλέα ἐλπὶς ἐξεκέκοπτο, ἧς μάλιστα τὴν αἰτίαν εἶχεν. ἀκήκοε δὲ καὶ τοῦ ὀνείρου λέγοντος· <Il. 2, 24> ‘οὐ χρὴ παννύχιον εὕδειν βουληφόρον ἄνδρα’· τὰ μὲν γὰρ ἄλλα τῆς τύχης, τοῦ δὲ ἀμελεῖν ἡ αἰτία ἀπαραίτητος τοῖς στρατηγοῖς. … (schol. bT ad Il. 10, 3–4 = III 2, 25–36 Erbse)
(„Der Feldherr aber schläft nicht, erstens weil er die kürzlich noch Eingeschlossenen nun angreifen sieht und weil sich seine Hoffnung auf Achilles zerschlagen hat, zu der er die größte Veranlassung hatte. Den Traumgott aber hat er sagen hören: ‘Nicht gebührt es dem richtenden Manne die Nacht zu durchschlummern.’12 Das andere ist den Umständen geschuldet; hart aber ist der Vorwurf der Sorglosigkeit für Feldherren.“)
Dass man auch in Rom epische Texte vor dem Hintergrund dieser homerischen Wertevorstellungen las, zeigen die antiken Vergilkommentatoren. In der Aeneis hat das Motiv des schlafenden Anführers eine wichtige Funktion bei der Charakterisierung der Figuren. Ein Scholion des Servius zeigt, dass man den Schlaf des Aeneas bei der Wegfahrt aus Karthago als anstößig empfand. Servius schreibt zu Aen.VergilAen. 4, 555 4, 555:
carpebat somnos] hoc est quod et paulo post culpat Mercurius, dicens <Aen. 4, 560> ‘nate dea, potes hoc sub casu ducere somnos’? sed excusatur his rebus: nam et certus eundi fuerat, et rite cuncta praeparaverat: aut certe prooeconomia est, ut possit videre Mercurium. rite] recte et ex ordine compositis. et diligenter virum strenuum non ante facit requiescere, quam rite omnia paravisset. ([D]Serv. ad Aen. 4, 555 = I 562, 27–563, 3 Thilo-Hagen)
Servius wendet zwei unterschiedliche Strategien an, um einen potentiellen Tadel an der Stelle, der vielleicht schon in einer der frühen Obtrektationsschriften gegen Vergil erhoben worden war, zu entkräften: Mit dem Stichwort prooeconomia ist der erzählstrategische Aspekt angesprochen, der im Schlaf des Helden die logische Voraussetzung für die folgende Traumerscheinung des Mercurius erkennt, wodurch die narrative Kohärenz gewährleistet wird.13 Das erste apologetische Argument, das Servius vorbringt, bewegt sich hingegen auf einer anderen Ebene, nämlich derjenigen der ethischen Qualität des Helden. Der Schlaf des Helden sei gerechtfertigt, weil Aeneas sicher mit seiner Abreise rechnen konnte und zuvor alle nötigen Vorkehrungen getroffen habe: Seine Sorglosigkeit ist begründet – anders als bei den Achaiern an den oben