Название | Populisten – rhetorische Profile |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Dialoge |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783893080021 |
Personelle Dimension: Populistische Bewegungen bilden sich häufig um eine charismatische Führerfigur, von der sie existenziell abhängig sind. Hier können populistische Bewegungen bisweilen Züge einer ‚politischen Religion' (Eric Voegelin) aufweisen. Manche populistischen Bewegungen sind so auf ihren Anführer fixiert, dass es gar keine normalen Parteistrukturen gibt. Geert Wilders’ ‚Partij voor de Vrijheid‘ in den Niederlanden etwa hat nur zwei Mitglieder: Geert Wilders und die Geert Wilders Foundation. Allerdings besitzen nicht alle populistischen Gruppierungen und Parteien einen charismatischen Führer (vgl. Mudde/Kaltwasser 2014).
In der Figur des – überwiegend männlich codierten – Führers laufen alle Dimensionen des Populismus schließlich zusammen, denn der Populist ist ein Tabubrecher und Kritiker, der sich ‚etwas traut‘ und zugleich von Eliten und Medien ‚untergebuttert‘ wird. Ein zentrales Element der öffentlichen Selbstinszenierung des Populisten ist deshalb die Stilisierung zum Opfer. Er ist insofern eine äußerst medientaugliche und -affine Figur, als in ihm zugleich ein Prozess der Mediatisierung politischer Kommunikation kulminiert, der sich seit dem Aufstieg moderner Massenmedien nach dem Zweiten Weltkrieg immer weiter beschleunigt hat: Der Populist als Führerfigur lebt nahezu ausschließlich von seinem Image, das er im Rahmen öffentlichkeitswirksamer medialer Events konstruiert, und nicht durch die Formulierung, Propagierung, Verteidigung und Durchsetzung politischer Inhalte und Programmatiken (engl. issues), also durch Argumentation und Diskurs (zur Entgegensetzung von image und issue Schulz 2011, 239–241). In dieser Lesart wäre der Aufstieg des Populismus Ergebnis (und Endpunkt?) einer Entwicklung, die in der Forschung unter den Stichworten ‚Amerikanisierung‘ und ‚Modernisierung‘ der politischen Kommunikation seit Jahrzehnten diskutiert wird.
Dietmar Till
Vernunft am Ende? Populismus als Abschied von der deliberativen Demokratie
Demokratien sind auf einen gesellschaftlichen Diskurs angewiesen, darauf, dass politische Entscheidungen in einem kommunikativen Prozess ausgehandelt werden. Im Laufe der Demokratiegeschichte entstanden Institutionen wie das Parlament und die Parteien sowie Kommunikationsformen wie die Diskussion und die Debatte, die demokratische Entscheidungen befördern. Die Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der Demokratien schienen dabei lange Zeit auf eine zunehmende Rationalisierung hinauszulaufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg markiert etwa die Unterzeichnung der UNO-Charta ein nachhaltiges Bekenntnis zu Menschenrechten und Vernunftprinzipien. Diese Orientierung an der vernünftigen Entscheidung und das Vertrauen in die Institutionen und Kommunikationsformen repräsentativer Demokratien sind jedoch durch Populisten in die Krise geraten. Demokratische Institutionen werden als ineffizient diffamiert, als elitär gebrandmarkt und durch das Propagieren einfacher Lösungen und den Appell an den gesunden Menschenverstand in Frage gestellt. Durch ein Klima der Angst und Bedrohung werden die Menschen in die Arme der Populisten getrieben. Das gelingt auch in wirtschaftlich gesicherten Staaten, denn es sind weniger objektive Bedrohungen und pure Not, die Menschen zu den Populisten treiben, als vielmehr eine Bedrohungslage, welche die Populisten selbst erzeugen. Damit werden Emotionen zum Handlungsmaßstab und rationale Überlegung wird diskreditiert.
In einer deliberativen Demokratie gilt Vernunft als Legitimationsgrund menschlichen Entscheidens und Handelns. Seitdem sich in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts Joseph M. Bessette, John Rawls und Jürgen Habermas mit dem Modell deliberativer Demokratie, die auf Partizipation der Bürger und rationale Problemlösung aus ist, auseinandergesetzt haben, schienen die Vorteile einer deliberativen Demokratie unzweifelhaft. In der Folge haben sich in der politischen Praxis und oft auch der gesetzgeberischen Regulierung mehr und mehr Staaten diesem Modell angeschlossen, das nach dem Ende der Sowjetunion als beinah konkurrenzlos erschien.
Freilich hat das deliberative Politikmodell immer wieder auch Kritik ausgelöst, da es ein hohes Maß an bürgerlicher Beteiligung fordert, Entscheidungsprozesse eher verlangsamt als beschleunigt, aber es erschien doch Vielen als Gebot der Vernunft. Mit dem Populismus scheint dieses „Projekt der Moderne“ (Habermas 1981) in Auflösung zu sein. Rationalität wird kritisch beäugt, wissenschaftliche Fakten werden in Zweifel gezogen, alternative Fakten an die Stelle einer vernunftorientierten Politik gesetzt. Statt vernünftiger Diskussion und differenzierter Debatte werden Emotionalisierung, Polarisierung und Polemik zu zentralen kommunikativen Mustern einer deklarativen Demokratie, in der die Verkündigung von Positionen und Meinungen an die Stelle der vernünftigen Überlegung tritt. Der mediale Wandel scheint diese Entwicklung zu befördern: Soziale Medien eröffnen einen großen Diskursraum, der aber wird nicht zur Deliberation, also vernünftigen Überlegung, genutzt, sondern scheint Emotionalisierung und polemische Auseinandersetzung zu begünstigen. Damit sind gerade die Sozialen Medien zur Machtbasis populistischer Akteure geworden.
Inwieweit verständigungsorientiertes deliberatives Handeln paradigmatisch für politisches Handeln ist bzw. werden kann, lässt sich zwar berechtigt fragen. In einer Parlamentsdebatte geht es ja gerade auch nicht um eine Verständigung der politischen Gegner, hier ist nicht der Konsens, sondern der Konflikt als Ziel der Rede auszumachen. Aber auch die Debatte ist rational ausgerichtet, es geht in ihr um ein Austesten von Positionen, das rhetorische Gegeneinanderstellen von Begründungen, um zu sehen, welche Seite die stärkeren Geltungsansprüche vorbringen kann (Kramer 2006). Aufgabe der klassischen Massenmedien war es dann, solche Diskurse für die Mehrheit zu erschließen.
Deliberative Politik lässt durchaus unterschiedliche Staatsmodelle zu. Nach dem liberalen Verständnis genießen die Bürger staatlichen Schutz, politische Rechte geben dem Einzelnen die Möglichkeit, seine Interessen zur Geltung zu bringen. Politik nach dem liberalen Modell vollzieht sich im Medium der Debatte, nämlich als Kampf um Positionen, wobei jeweils durch das Urteil der Wähler eine Entscheidung stattfindet. Im republikanischen Modell haben die Bürger vor allem das Recht zur politischen Teilnahme am Staat, verfügen also über Kommunikationsrechte, durch deren Wahrnehmung sie den Staat gestalten, ja recht eigentlich hervorbringen. Dieses Modell bietet dem Diskurs, der Suche nach einem Konsens, einen großen Raum: „Die Existenzberechtigung des Staates liegt nicht primär im Schutz gleicher subjektiver Rechte, sondern in der Gewährleistung eines inklusiven Meinungs- und Willensbildungsprozesses, in dem sich freie und gleiche Bürger darüber verständigen, welche Ziele und Normen im gemeinsamen Interesse aller liegen.“ (Habermas 1999, 280)
Den verschiedenen Modellen deliberativer Demokratie steht nun im Populismus ein Ansatz entgegen, der den rationalen Anspruch aufgegeben hat. Es werden in deklarativer Weise politische Positionen in den Diskurs eingebracht und von Populisten, die an der Macht sind, dann auch konsequent umgesetzt. Trump etwa regiert häufig per Dekret an den demokratischen Entscheidungsinstanzen vorbei. Deklarative Politik lässt sich schwer mit der Arbeit in Ausschüssen und Parlamenten vereinen, sie ist schnell und direkt, aktionistisch, nicht reflektiert. Viele Populisten versuchen zudem die eigene Rolle zu stärken und präsidiale Verfassungen zu etablieren, um ihren Handlungsspielraum zu vergrößern, man denke nur etwa an die Türkei, an Ungarn oder Polen. Zudem ist der kritische Journalismus ein Angriffsziel vieler Populisten, wie man in Polen, Ungarn und neuerdings auch in Österreich sehen kann. Mechanismen republikanischer Teilhabe, die auf die „Gewährleistung eines inklusiven Meinungs- und Willensbildungsprozesses“ aus sind, werden also in ihrer Arbeit eingeschränkt. Unabhängige Medien rücken unter stärkere staatliche Kontrolle, klassische Massenmedien werden mit Slogans angegriffen und zum Feind erklärt, wo sie doch die Aufgabe kritischer Bewertung und gesellschaftlicher Inklusion haben. Twitter und Facebook können aber diesen kritischen Journalismus eben nicht ersetzen. Politische Kommunikation im Hashtag-Modus erlaubt keine differenzierte Auseinandersetzung.