Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur. Manuel Caballero González

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Название Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur
Автор произведения Manuel Caballero González
Жанр Документальная литература
Серия Classica Monacensia
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823300045



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ihrem Sohn MelikertesMelikertes in die Kluft stürzt, und schließlich weil sie, von Themisto gedrängt, verursacht, dass die Tochter des HypseusHypseus ihre Kinder tötet.

      Aus diesem Grund wird jede Version7 mit den Anfangsbuchstaben des Namens von InoIno und derjenigen Charaktere benannt, die die Schlüsselfiguren in der jeweiligen Version spielen. Demnach wird die erste Version als I-P-H bezeichnet, da, abgesehen von Ino, die meist als grausame StiefmutterStiefmutter der Kinder von NepheleNephele gilt, Phrixos und Helle die wichtigsten Achsen der Erzählung bilden, sowohl weil Phrixos’ OpferOpfer das Eintreten des rettenden WidderWidders bewirkt, sowie die Fahrt nach KolchisKolchis und das goldene VliesGoldenes Vlies, das diese SageSage mit dem Zyklus der ArgonautenArgonauten verbindet, als auch weil die FluchtFlucht der HelleHelle den SturzSturz in das MeerMeer verursacht, das in Zukunft ihren Namen tragen wird. Die zweite Version ist die I-L-M-Version, da, abgesehen von Ino (hier besorgte AmmeAmme des Sohnes ihrer Schwester SemeleSemele), LearchosLearchos und MelikertesMelikertes diejenigen sind, die eine wesentliche Rolle in der Erzählung spielen: Der erste wird zum OpferOpfer des wahnsinnigen Athamas; der zweite wird zusammen mit seiner Mutter auf der Flucht vor seinem Vater in einen TopfTopf geworfen, wie einige Autoren sagen, oder in die Tiefe des Meeres, wie die meisten behaupten. Die dritte Version wird I-T genannt, weil, abgesehen von Ino (hier SklavinSklavin), Themisto diejenige ist, die der Erzählung ein besonderes Gewicht verleiht, da zwei ihrer Kinder von der Hand ihrer eigenen Mutter sterben werden und diese sich schlieβlich das Leben nimmt, als sie, wie in den meisten unserer Quellen berichtet wird, diesen tragischen Fehler entdeckt.

      Einige Autoren haben eine allgemeine rationalistiche Deutung des Mythos von Athamas vorgeschlagen, indem sie das archetypische8 Modell dieser Legende rekonstruieren.

      Nach Escher „ist [Athamas] ein Eponym der AthamanenAthamanen, deren Namen die ,athamantischen Ebenen‘ in ThessalienThessalien und BöotienBöotien verraten“9. In historischer Zeit befinden sich die Athamanen sowohl in Epirus als auch in Heraklea neben dem Iti-Gebirge. Die böotischen eponymischen Lokalitäten der Kinder des thessalischen Paares Athamas-Themisto deuten auf die MigrationMigration von Völkern hin. Jedoch hat die Sage von Phrixos seine Urwurzel in einem athamantischen KultKult; daher wird Phrixos zum Sohn des Athamas und seine Mutter, die nicht von dieser Welt stammende Nephele, zur Frau des Aioliden. Viel später wird Ino in Böotien mit Athamas in Verbindung gebracht, dessen Sohn Phrixos war. Damit kam Athamas zum Kreise des Dionysos. „Diese boiotische Sage mit mannigfacher Sondergestaltung im einzelnen ist die herrschende geworden“10. Escher schlägt also eine Migration von Thessalien nach Böotien vor.

      Auch Robert bietet seine eigene Meinung über den Mythos des Athamas. Seines Erachtens wird die Rolle des Widders in dieser SageSage der Lächerlicheit preisgegeben. Robert hält das Hilfsmittel, das Phrixos zur Rettung gegeben wird, für etwas Künstliches, das bei den Lesern analoge Episoden der Weltliteratur aufruft, wie das OpferOpfer der Iphigenia in der griechischen Welt oder das des Isaac in der Bibel. Deshalb schließt der deutsche Gelehrte: „…hier liegt deutlich eine spätere Entwicklung vor, die durch die Verbindung der Phrixossage mit der Fahrt der Argo bedingt ist“11. Der Grund des Opfers war eine hartnäckige DürreDürre mit einem entsprechenden Ernteausfall im Land des Athamas. Die Ursache ist also natürlicher Art und entspringt nicht der Intrige einer StiefmutterStiefmutter. Robert glaubt, der natürliche Ursprung des Unheils begründet, „daß Phrixos sich freiwillig zum Opfer anbietet“12. Die Einführung einer böswilligen Stiefmutter ist eine spätere Entwicklung; es ist sogar unmöglich, dass Ino ursprünglich die die Intrige planende Figur war; sie scheint diese Rolle erst seit Euripides übernommen zu haben. Helle hatte überhaupt keine Beziehung zu dem Opfer des Phrixos; ihr Leben schwebt erst bei späteren Überlieferungsträgern13 in Gefahr und ist als Eponym des HellespontHellesponts dargestellt. Robert zufolge „stehen die thessalische und die boiotische Athamas-Sage anfänglich völlig unabhängig voneinander da“14. In der thessalischen Sage geht es um das MenschenopferMenschenopfer in AlosAlos, in der anderen Fassung um den Hass der HeraHera gegen SemeleSemele und deren Familie.

      Krappe beschränkt sich auf die I-P-H-Version und schlägt Folgendes vor: „Athamas répudie Néphélè et épouse une femme mortelle qui lui donne plusieurs enfants. Jalouse de sa rivale qu’elle hait, Néphélè provoque une famine, sachant que par ce moyen le fils de sa rivale sera inmolé à l’autel. Pour sauver son enfant d’une mort terrible, la pauvre mère se suicide et devient une divinité bienveillante“15. Dieser Vorschlag leuchtet mir nicht ein. Nirgendwo liest man, dass Ino um das Leben ihres Sohnes fürchtet, weil kein Text Learchos oder MelikertesMelikertes als versöhnende Opfer vorschlägt, die die DürreDürre beenden können. Auch ist nirgendwo zu lesen, dass Ino sich tötet, um ihren Sohn vor dem Tod auf dem Opferaltar zu retten.

      Sehr interessant ist die holistische Deutung von Fontenrose (S. 149–150). Diesem Autor zufolge ist das, was hier als I-T bezeichnet wird, eine ganz böotische und keine thessalische Legende. Sie „was told in Orchomenus and all about the Lake CopaisCopais region“16. In der Tat bildete dieser von schottischen und französischen Ingenieuren im XX. Jh. entwässerte SeeSee ein Dreieck mit den Städten AkraiphiaAkraiphia nach Osten, HaliartosHaliartos nach Süden und OrchomenosOrchomenos nach Nordosten. Die I-P-H Version mit dem Motiv von PotipharPotiphar „belongs to Thessaly; for Nephele and Phrixus are certainly Thessalian figures“17. Fontenrose beruft sich auf das Werk von Müller, der, wenn er die Rolle der Frau von Kretheus erläutert, „offenbar einer Thessalischen und eigenthümlich Iolcischen Sage folgt18. Denn auch Phrixos heißt ein IolcierIolcier“19. Zwar stellt Fontenrose nicht fest, welche von diesen Versionen die älteste ist, aber er deutet an, dass jede Version, nachdem sie sich in ihrer Entstehungsregion etabliert hat, auf die andere trifft und sich die von mir genannte I-P-H Version ergibt. Den griechischen und lateinischen Autoren zufolge befindet sich diese Version in HalosHalos oder Orchomenos. In Bezug auf die Geschichte von Ino ist die Nachricht von Paus. I 42, 7PausaniasPaus. I 42, 7 über die Ankunft von Ino in MegaraMegara von Bedeutung: „if it was in the Megarid that a triangle tale was first told about Ino, the story passed thence to Thebes, Ino’s original home, and to other Boeotian cities, where it took several forms and also merged with the legends that had grown up around Athamas“20. Fontenrose behauptet, Ino wurde mit LeukotheaLeukothea wegen ihrer Rolle als Athamas’ Frau in den Geschichten, die von einem Mann mit zwei Frauen handelten, gleichgesetzt; diese Identifizierung wurde in KorinthKorinth und auf dem IsthmosIsthmos stärker vertreten. Der Grund dafür liegt vielleicht in den Kulten zu Ehren der Ino, die in dem nahe Korinth gelegenen Megara gefeiert wurden. In diesem Zusammenhang – so Fontenrose weiter – wurde Melikertes in dieser Stadt zum Sohn der Ino. In der Tat ist der Name ihres Sohnes jeweils anders: Melikertes in Korinth, PalaimonPalaimon in TenedosTenedos. Mit einem Wort: die Geschichte von Leukothea-Palaimon hatte im Hinblick auf die Isthmischen SpieleIsthmische Spiele eine aitiologische Funktion.

      Auf diese drei Arten von Geschichten beruft sich Fontenrose21, um den mythischen Stamm der Legenden von Athamas – abgesehen von der Geschichte der Ino und der von Aedon-ProkneAedon-Prokne – zu rekonstruieren. Ihr Schema könnte das folgende sein:

       1) Ein Mann hat Kinder von seiner ersten Frau; er heiratet eine zweite Frau, die ihm auch Kinder schenkt. Die StiefmutterStiefmutter hasst ihre StiefkinderStiefkinder und intrigiert gegen sie. Am Ende aber tötet sie ihre eigenen Kinder und verliert selbst das Leben.

       2) Ein Mann hat einen erwachsenen Sohn von seiner ersten Frau; er heiratet noch einmal, und diese Frau verliebt sich in ihren Stiefsohn, der sie ablehnt. Sie beschuldigt ihn bei seinem Vater, der ihr glaubt. Der Sohn flieht. Der Vater entdeckt später die Wahrheit und bestraft seine Frau.

       3) Ein Mann hat eine heimliche Geliebte. Seine Frau entdeckt dies und ist eifersüchtig. Sie entwickelt Hass gegen ihren Mann und in dem Vorhaben, ihn zu bestrafen, bestraft sie den einzigen Sohn, den sie von ihm hat. Der Mann wiederum bestraft sie.

      Die ersten beiden Modelle können unter einer einzigen Überschrift zusammengefasst werden; meiner Meinung nach ist der Kern beider Erzählungen die Figur der StiefmutterStiefmutter; der Unterschied liegt in dem Hass und der Intrige, die entweder gegen das Stiefkind aus Liebe oder gegen die StiefkinderStiefkinder aus NeidNeid gerichtet sind. Aus diesem Grund können m.E. beide Erzählungen als die ,von der neidischen Stiefmutter‘ oder die ‚von der verliebten Stiefmutter‘