Название | Forschen |
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Автор произведения | Niklaus Meienberg |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038551652 |
Über dieses Buch
Sie machten Furore, die Reportagen Meienbergs, erregten Aufsehen, wurden viel gelesen und diskutiert. Sie waren genau recherchiert, dramaturgisch sorgfältig gebaut und brillant geschrieben, ihr streitlustiges Engagement fuhr wie ein frischer Wind in den prätentiös-bildungsbürgerlichen Mief der Feuilletons, und bis heute haben sie ihre Frische bewahrt.
Der Inhalt dieses E-Books entspricht dem Kapitel «Forschen» aus Band 1 der Reportagen, ausgewählt und zusammengestellt von Marianne Fehr, Erwin Künzli und Jürg Zimmerli Limmat Verlag, Zürich 2000:
Quellen und wie man sie zum Sprudeln bringt
Die beste Zigarette seines Lebens
Hptm. Hackhofers mirakulöse Kartonschachtel
Zahl nünt, du bist nünt scholdig
Die Schonfrist
Bonsoir, Herr Bonjour
Bonjour Monsieur
Vorwärts zur gedächtnisfreien Gesellschaft!
Eidg. Judenhass (Fragmente)
1798 – Vorschläge für ein Jubiläum
Die Schweiz als Schnickschnack & Mummenschanz
Die Schweiz als Staats-Splitter
Foto Roland Gretler
Niklaus Meienberg (1940–1993), Historiker, Schriftsteller und Journalist. Er erfand die Reportage neu und dichtete ungeniert mit dem überlieferten Material europäischer Lyrik. Mit seinen Texten zur Zeitgeschichte war er ein grosser Streiter, dessen «Sprachgewalt» auch seine Feinde bewunderten. Wie kein zweiter hat sich Niklaus Meienberg der Öffentlichkeit ausgesetzt, seine ganze Person hat er in seine Texte eingebracht, und mit seiner ganzen Person ist er für sie eingestanden.
Niklaus Meienberg
Forschen
Ausgewählt und zusammengestellt von Marianne Fehr, Erwin Künzli und Jürg Zimmerli
Limmat Verlag
Zürich
Quellen und wie man sie zum Sprudeln bringt*
«Die Reformazzen memen immer, nur die schriftl. Überlieferung sei gültig. Ha!, sagten die Katholen, es gibt auch noch die mündliche. Das ist ein alter Religionskrieg. Und siehe da, deswegen ist die Tradition und ihre Schreibung, die Geschichts-Schreibung, bei K. Urner und G. Kreis und bei der NZZ so fad und so schal, so lau und so schmal, weil sie nicht schöpfet aus dem lebendigen Wasser der Mündlichkeit. Dich aber will ich ausspucken aus meinem Maul, sprach der herr god zebaoth, weil Du mir Langweile erregest unter der Zunge, unter meiner armen lingua, hinter dem Gaumensegel wird es mir so trocken hierzuland, heilantonner, und will Dich verpfeien bis Dir Dein Hendli verdorret, hui bis es tör ist. Und vom gregorianischen Koran verstehen sie auch nichts & haben ein ganz lüggenhaftes Weltgebewde! Gib mir die verlorne Zounge wieder pange lingua gloriosum corporis mysterium, und jetzt, Körperlichkeit in die Sprache sus tätschts.»
Thomas von Aquin, 1983
Es gibt * Eine Antwort auf Äusserungen von Professor Edgar Bonjour in den LNN vom 16. Juli 1977. Bonjour erklärte u.a., mündlichen Quellen könne man weniger vertrauen als schriftlichen, Dokumente seien also in jedem Fall vertrauenswürdiger als Interviews, die ein Historiker mit den betroffenen Personen der Zeitgeschichte führt. Ausserdem müsse der Historiker, also er z.B., «untendenziös» sein und arbeiten. Bonjour: «Der Historiker kommt – unvoreingenommen – aufgrund der Fakten zu einer Wertung. Meienberg hat eine – vorgefasste – Meinung und unterlegt sie mit Interviews und solchen Fakten, die seine These stützen. Das nennt man Tendenz.» Andrerseits müsse es «einem jungen Filmautor durchaus erlaubt sein, eine Tendenz zu haben, eine selbständige, von der offiziellen Meinung unabhängige, kritische Auffassung der Zeitgeschichte zu vertreten. Ein tendenziöser Film braucht keineswegs ein schlechter Film zu sein.» (Film von R. Dindo und N. Meienberg über den Landesverräter Ernst S.) also noch ein liberales Bürgertum, oder wenigstens liberale Bürger. Die Erklärungen von Edgar Bonjour gegenüber der LNN bilden einen hübschen Kontrast zu den Verunglimpfungen, Unterstellungen und Anschwärzungen, die man im Zusammenhang mit Buch und Film über den Landesverräter Ernst S. seit zwei Jahren aus dem konservativ-verstockten Teil des Bürgertums schallen hört.
Man durfte von dorther wirklich viel Schrilles vernehmen: Professoren der Universität Bern beklagen sich beim Oberbürgermeister der Stadt Mannheim über die Auszeichnung, welche «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» am Festival von Mannheim gekriegt hatte; es handle sich dabei, so schrieben die 18 Professoren, von denen 17 den Film gar nicht gesehen hatten, um «neomarxistische Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg». Und in der NZZ unterstellt uns am 7.7.77 ein gewisser Georg Kreis, wir hätten die historische Auseinandersetzung mit «unlauteren Mitteln» geführt (jeder Kaufmann, dem angelastet wird, er führe den Konkurrenzkampf mit «unlauteren Mitteln», würde notabene sofort einen Prozess anstrengen); ausserdem hätten wir unsere Interviewpartner «manipuliert» (eine Frechheit: alle von uns befragten Personen können das Gegenteil bestätigen) und stünden wir insgesamt unter «neolinkem Faschismusverdacht» und würden Elemente einer «totalitären Ideologie» verbreiten.
Der Kontrast zwischen dem aufgeklärten und dem verunklärten Flügel des Bürgertums ist enorm: Hier der suchende, offene Edgar Bonjour, der trotz (oder wegen?) seines hohen Alters immer noch forscht und weiterdenkt, mit einer gewissen Altersradikalität und ohne Rücksichten auf eine Karriere, die hinter ihm liegt, dort die sauertöpfisch-eifernden Ideologen der blockierten Bürgerlichkeit, heftige Streber, die trotz ihrer Jugend nicht mehr suchen müssen, sondern schon alles gefunden haben. Hier der Forscher, dort die Forschen. Hier die Gewissheit von Edgar Bonjour, dass die Schweiz eine unbewältigte Vergangenheit hat; dort die Behauptung, dass Vergangenheitsbewältigung nur ein Vorwand für Agitation sei.
Aber «dort» gibt es betreffs Vergangenheit und ihrer Bewältigung so viele Verrenkungen, Verstockungen und Verstopfungen, dass ein spezieller Artikel diesen Erscheinungen gewidmet werden muss. Hier nur ein paar Gedanken zur Geschichts-Konzeption von Edgar Bonjour. Das Schöne bei Bonjour liegt nämlich darin, dass man ihm widersprechen kann, ohne dass er beleidigt ist. Man kann debattieren mit ihm. Ein Liberaler, von denen die meisten heute ausgestorben sind.
Bonjour schreibt Geschichte aufgrund von schriftlichen Quellen, weil er die Geschichte der Aussenpolitik schreibt, und die kann man natürlich in klassischer Weise aufarbeiten: mit Dokumenten. Bonjour ist skeptisch gegenüber mündlichen Quellen: «Ein von mir dreimal – zum gleichen, wichtigen Gegenstand – befragter Staatsmann beispielsweise hat mir diesen Sachverhalt in drei verschiedenen Versionen geschildert.» Es ist normal, dass «Staatsmänner» ihre mündlichen Erklärungen taktisch dosieren. Ein Pilet-Golaz zum Beispiel, der die Angleichung der Schweiz ans Dritte Reich aktiv betrieb, hätte je nach politischen Umständen und Gesprächspartnern verschiedene Antworten gegeben. Nach dem Sieg der Alliierten über Hitler hatte er alles Interesse, seine Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland zu vertuschen. Wäre aber Hitler siegreich geblieben, hätte Pilet-Golaz seine Pionier-Rolle triumphierend hervorgehoben, und die dankbare Heimat hätte ihm Denkmäler errichtet, und nicht dem General Guisan das nette Reiterstandbild.
Mit schriftlichen Quellen hingegen kann nicht gemogelt werden, da steht auch nach 35 Jahren noch schwarz auf weiss, wenn auch leicht vergilbt, dass Pilet-Golaz zum Beispiel den deutschen Gesandten um Nachsicht gegenüber diesen «Bergbewohnern» bittet, welche die neuen Verhältnisse noch nicht ganz kapiert hätten, während die Regierung doch schon alles vorkehre, um die Schweiz dem «Neuen Europa» einzugliedern. Was man schwarz auf weiss besitzt, kann man getrost nach Hause tragen – aber man besitzt halt nicht mehr alles.
Bonjour erwähnt Akten, die frühere Bundesräte «kofferweise» mit nach Hause genommen haben. Und laut NZZ wurden zum Beispiel sämtliche Akten des militärischen Nachrichtendienstes nach dem Krieg im Gaswerk Fribourg verbrannt. Und Jürg Wille, zur Zeit Hausherr im Willeschen Familiengut Marienfeld, antwortete mir 1974 auf die Frage, ob nicht vielleicht doch Dokumente, die seinen Vater, den Oberstkorpskommandanten Ulrich Wille, belasten könnten, aus dem Familienarchiv