Die moderne Erlebnispädagogik. Rainald Baig-Schneider

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Название Die moderne Erlebnispädagogik
Автор произведения Rainald Baig-Schneider
Жанр Документальная литература
Серия Praktische Erlebnispädagogik
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783944708102



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Begriff wird anschließend noch von weiteren Pädagogen / -innen verwendet, allerdings entwickelt er sich zu keinem „Leitbegriff“ der Pädagogik dieser Zeit. Dementsprechend selten taucht der Begriff „Erlebnispädagogik“ explizit auf:

      Es ist interessant, dass sowohl Kurt Hahn als auch Waltraud Neubert etwa zur gleichen Zeit an einer „Pädagogik des Erlebens oder des Erlebnisses“ arbeiteten, ohne sich aufeinander zu beziehen. Und dies, obwohl beide „reformpädagogisch geprägt“ waren:

      Zusammengefasst bedeutet dies: die Grundlagen der Erlebnispädagogik und auch die Begrifflichkeit wird in der Zwischenkriegszeit ausformuliert. Dafür werden zwei Begriffe verwendet: Erlebnistherapie und Erlebnispädagogik. Beide Begriffe können der Reformpädagogik zugeordnet werden. Wie oben erwähnt, sind beide Konzepte Alternativkonzepte zum „öffentlichen Erziehungswesen“. Dementsprechend handelt es sich in beiden Fällen um Gegenmodelle.

      Beide Ansätze sind Gegenentwürfe zum vorherrschenden Schulsystem bzw. dessen didaktischer Ausrichtung, zumindest in ihren Anfangsphasen. Allerdings geht es um Alternativen zum aktuellen System und nicht um die Abschaffung der Institution Schule. Somit geht es im Fall der Erlebnistherapie um die Schaffung einer „Reformschule“ und im Falle der Erlebnispädagogik um die Einführung einer „Reformdidaktik“. Die Arbeit von Waltraud Neubert steht ganz im Zeichen eines didaktischen Reformversuchs von Schule und Hahn setzt seine Erlebnistherapie in Form von Internatsschulen um. 1920 gründet er die Internatsschule Schloss Salem, der bald noch weitere folgen (dazu mehr in Kapitel 4.4). In beiden Fällen handelt es sich also um schulische Erziehungskonzepte, zumindest was die institutionelle Umsetzung betrifft. Damit sind beide Konzepte zwar Gegenkonzepte was ihre didaktische Gestaltung betrifft, aber prinzipiell stellen sie reformierte Ergänzungen des (öffentlichen) schulischen Erziehungswesens dar. Beiden Konzepten liegt die Institution Schule zugrunde, beide richten sich an die Zielgruppe Kinder und Jugendliche und sind somit schulische Erziehungskonzepte. Diese Ausrichtung auf das „System Schule“ verändert sich erst im Laufe der Zeit bzw. erfährt in Form der so genannten Kurzschulen eine Ausweitung (dazu mehr in den Abschnitten 4.4.3 und 7.1)

      Allerdings wird nur der Ansatz von Kurt Hahn langfristig, auch institutionell, umgesetzt. Der Grund dafür liegt wohl in der „Kraft der Bündelung“ der verschiedensten „erlebnisorientierten reformpädagogischen Ansätze“, in der „Erlebnistherapie“:

      Aber neben dieser Entwicklung einer „Sammeltheorie“ ist der Grund für das nachhaltige Wirken von Kurt Hahn wohl seinem Organisationstalent und seiner charismatischen Ausstrahlung zuzuschreiben. Kurt Hahn ist als wirklicher „handlungsorientierter“ Pädagoge zu sehen. Während in der Wissenschaft über Begrifflichkeiten diskutiert wird, gründet Hahn eine Schule nach der anderen. Selbst nach dem Gang ins Exil nach England dauert es nicht lange und schon wird die nächste (Internats)Schule gegründet. Durch seine Tätigkeiten schafft er ein Fundament, auf dem die heutige, so genannte „moderne Erlebnispädagogik“ noch immer aufbaut. Diese Spannung zwischen „Aktionismus“ versus „gelehrtem Diskurs“ ist auch heute noch spürbar und wird an vielen Stellen erwähnt: hier die praktischen Erlebnispädagogen / -innen, dort die verkopften Theoretiker / -innen. Allerdings handelt es sich dabei um einen weit über die Grenzen der Erlebnispädagogik vorkommenden Topos. Tatsache ist auf jeden Fall, dass, im Gegensatz zu Waltraud Neubert, Kurt Hahn noch heute präsent ist: einerseits durch die aktuelle, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seiner „Erlebnistherapie“ und andererseits in „materieller“ Form durch seine Schulgründungen (siehe dazu Kapitel 4.4).

      Zentraler Leitbegriff der Erlebnistherapie und der Erlebnispädagogik ist das Erlebnis. Dabei ist es gerade der Begriff des „Erlebnisses“, der in der „modernen Erlebnispädagogik“ sehr kritisch hinterfragt wird. Im Prinzip gibt es drei Hauptkritikpunkte:

       Erlebnisse sind nicht pädagogisch (methodisch-planvoll) provozierbar bzw. erzeugbar.