Humanbiologie. Hynek Burda

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Название Humanbiologie
Автор произведения Hynek Burda
Жанр Математика
Серия utb basics
Издательство Математика
Год выпуска 0
isbn 9783846341308



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sehr zweifelhafte Art ist H.georgicus (mit einem Alter von ca. 1,8 mya), die auf Funde aus der georgischen Lokalität Dmanisi zurückgeht. Es handelt sich wahrscheinlich um eine lokale Population von H.ergaster und den ersten Bewohner des westlichen Eurasiens (Box 2.5). Wichtige Merkmale des georgischen Menschen sind seine relativ geringe Körpergröße und der Gebrauch primitiver Steinwerkzeuge (Oldowankultur), ein Merkmal, das er mit „Habilinen“ und ursprünglichen Populationen von H.ergaster teilte (Tab. 2.2). Interessanterweise ähnelt das Gebiss von H.georgicus eher dem Gebiss alter afrikanischer Menschenarten; und Steinwerkzeuge aus Yunnan in Südwest-China sind nur wenig jünger. Auch dies könnte auf eine basale phylogenetische Stellung von H.georgicus und eine weitere Verbreitung hinweisen.

      2.5.3 Homo erectus im engen Sinne

      Diese seit Langem (seit 1891) bekannte asiatische Art lebte während eines sehr langen Zeitraums zwischen 1,8 mya bis ein paar tya im südöstlichen Asien, nämlich in Indonesien („Pithecanthropus“) und China („Sinanthropus“) (Tab. 2.1, Abb. 2.9 und 2.10). Sekundär hat sie sich auch in Westeurasien ausgebreitet und ist zurück nach Afrika (ca. 1 mya) gewandert. H.erectus ist der unmittelbare Nachkomme des afrikanischen H.ergaster. Im Unterschied zu seinem afrikanischen Vorfahren, von dem er sich 2 mya getrennt hatte, war H.erectus an der Evolution des modernen Menschen nicht unmittelbar beteiligt. Interessanterweise finden wir bei den asiatischen Populationen von H.erectus keine Acheuléen-Werkzeuge (Tab. 2.2), obwohl der afrikanische H.ergaster sie schon gebrauchte. Es kann sich entweder um den „Beweis“ der sehr frühen Abspaltung der asiatischen von der afrikanischen Linie (noch vor der Erfindung der Acheuléen-Technologie) handeln, oder um einen Hinweis auf die Nutzung anderer, weniger fossilisierbarer Materialien für die Werkzeugherstellung in Asien (Bambus?).

      Abb. 2.10: Schädel von Homo erectus. Für den Schädel charakteristisch sind die flache, fliehende Stirn, die mächtigen Überaugenwülste, der verlängerte, niedrige Hirnschädel, die großen, robusten Jochbögen, das nach vorne vorspringende Gesicht und die mächtigen Kiefer.

      2.6.1 Homo antecessor

      Eine wenig bekannte Art aus der Sierra de Atapuerca in Spanien (0,8–0,2 mya) ist der H.antecessor, der älteste fossile Mensch in Europa und wahrscheinlich der basale Angehörige der afroeuropäischen Linie, die vom H.ergaster zum modernen Mensch führt. Ungefähr aus demselben Zeitraum stammen auch einige in Ost-England (also relativ nahe an der Grenze zur borealen Klimazone) gefundene menschliche Spuren und Steinwerkzeuge. Ob ihr Hersteller H.antecessor war, ist schwer zu beurteilen, aber wir kennen heute keine andere Menschenart, die damals Europa bewohnte. (Allerdings ist Vorsicht geboten: Eine neue Datierung evolutionärer Ereignisse, die auf der Mutationsrate zwischen den nachfolgenden Generationen beruht (Kapitel 3.2), ermöglicht auch andere, unorthodoxe Interpretationen der Fossilien.)

      2.6.2 Homo heidelbergensis

      H.heidelbergensis ist eine heterogene Sammlung von afrikanischen und eurasischen (von Spanien bis China, vielleicht auch Westindien) Populationen aus dem Zeitraum 600–250 tya. Es handelt sich eindeutig um einen Menschen vom heutigen Typ, der sehr wahrscheinlich fähig war, artikuliert zu sprechen und über ein komplexes Symbolverhalten verfügte (Bestattung der Toten?). Aus diversen Populationen des Heidelbergmenschen entstanden offensichtlich die späteren Arten H.neanderthalensis (direkte Vorfahren vom Neandertaler werden manchmal auch als „H.steinheimensis“ bezeichnet) und H.sapiens (über afrikanische Übergangsformen „H.rhodesiensis“ oder „H.helmei“). Der mittels der Molekularuhr geschätzte Zeitpunkt der Divergenz von Neandertaler und modernem Mensch (über 500 tya) entspricht gerade jenem Zeitpunkt, als sich diverse Formen im Rahmen des Komplexes heidelbergensis-steinheimensis-rhodesiensis-helmei aufspalteten. Zu diesem heterogenen Komplex gehört wahrscheinlich auch der sogenannte „H.cepranensis“ von der Apenninen-Halbinsel/Italien (ursprüngliche Datierung 0,8–0,9 mya, nach heutigen Angaben deutlich jünger) (Box 2.7).

      Box 2.7

      Sima de los Huesos 2013

      Zum Schluss des Jahres 2013 wurde die mitochondriale DNA-Sequenz aus einem ca. 400.000 Jahre alten Oberschenkelknochen aus der Fundstelle Sima de los Huesos im Atapuerca-Gebirge im Norden Spaniens publiziert. Weil es sich um Überreste der „Spezies“ Homo heidelbergensis handelt (zwar mit vielen „neandertaloiden“ Merkmalen, was aber nicht überraschend ist, denn aus den europäischen Populationen von H.heidelbergensis sind ja Neandertaler entstanden) konnte man erwarten, dass die Analyse diese Population als eine Schwestergruppe der Neandertaler oder Schwestergruppe der Neandertaler plus moderner Menschen, identifizieren würde. Weder noch: Der Mensch von Sima de los Huesos ist dem rätselhaften altaischen Denisova-Menschen nah verwandt, bzw. seine Mitochondrien sind den Denisova-Mitochondrien verwandt (was nicht das gleiche sein muss), aber die Verwandtschaft zwischen der spanischen und altaischen Population (bzw. deren Mitochondrien) scheint geringer zu sein als die verwandtschaftliche Beziehung von Neandertaler und modernem Menschen. Die Widersprüche zwischen den auf der mitochondrialen und Kern-DNA beruhenden Ergebnissen weisen auf eine Kreuzung der Denisovaner mit noch älteren Formen (ostasiatischer H.erectus?) hin. In jedem Fall zeigt sich, dass die alten menschlichen Populationen weit verbreitet und wahrscheinlich auch sehr mobil waren. (Was beunruhigt, ist die Tatsache, dass bisher jeder alte Fund, von dem es gelungen ist, DNA zu isolieren, unsere Sicht der Phylogenese des Menschen wesentlich geändert hat – was erwartet uns noch? Letztendlich befindet sich nur ein paar Hundert Meter von der Fundstelle in Sima de los Huesos entfernt die Lokalität Gran Dolina, aus der der noch ältere H.antecessor beschrieben wurde …)

      2.6.3 Homo neanderthalensis

      Der bekannteste fossile Verwandte des modernen Menschen bewohnte Europa, den Nahen Osten und Westasien (östlich bis zum Altai). Das Alter dieser Spezies reicht von 350 (270–440) bis 30–40 Tausend Jahre (spätere Schätzungen werden in letzter Zeit angezweifelt). Es ist also fast sicher, dass er in einigen Teilen seines Verbreitungsareals langfristig mit dem modernen Menschen koexistierte. Bei H.neandertalensis handelte es sich um eine Form, die zunächst Gebiete der gemäßigten Zone bewohnte und sich später an die kalten Bedingungen des letzten Glazials adaptierte. Neandertaler waren robuster als heutige Menschen (einschl. eines größeren Gehirnvolumens) (Abb. 2.11). Biologisch und kulturell stellen sie das Taxon dar, das dem heutigen Mensch evolutionär am nächsten steht – die Übereinstimmungen überwiegen deutlich die Unterschiede (Box 2.8). Häufige, umfangreiche und geheilte Verletzungen weisen darauf hin, dass sich die Jagdtechnik von Neandertalern von der des modernen Menschen unterschied. Sie beruhte eher auf einem Kontaktkampf mit der Beute, während moderne Menschen auf das Erfinden und Weiterentwickeln von Fernwaffen (Bögen und Pfeile, Wurfspeere) hinarbeiteten.

      Abb. 2.11: Schädel von Homo neanderthalensis mit typischen Merkmalen.

      Box 2.8

      Wie sahen unsere Vorfahren aus?

      Wenn wir uns die Rekonstruktionen von Neandertalern in der populärwissenschaftlichen Literatur anschauen, registrieren wir eine bemerkenswerte „Evolution“ dieser Art – von menschenaffenartigen Bestien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zu der heutigen Sicht auf Neandertaler als Menschen, die wir in der U-Bahn wahrscheinlich kaum bemerken würden. Es geht nicht darum, dass die neue Sicht bestimmt genauer ist, aber darum, dass alle Rekonstruktionen auf visuellen und emotional bedeutenden Merkmalen beruhen, über die wir bei ausgestorbenen Arten nichts wissen. Australopithecinen werden heute oft dargestellt mit menschlichen Augen mit weißer Sklera und markant gefärbten Regenbogenhäuten, nicht mit den schimpansenartigen Augen. Mit einigen wenigen Pinselzügen (und in Photoshop noch einfacher) kann man den Australopithecus vermenschlichen oder entmenschlichen, beliebig nach Wunsch.

      Alles weist darauf hin, dass Neandertaler eine artikulierte Sprache besaßen: die Anatomie des Stimmapparats und des hypoglossalen und spinalen Kanals (Kapitel 7.9.4), außerdem der Besitz des menschlichen Typs des „Sprachgens“ FOX2P (siehe auch Kapitel 7.9.3). Für Neandertaler ist die Moustérien-Werkzeugkultur (Tab. 2.2, Abb. 2.7) typisch, die kontrollierte