Emmanuel Lévinas. Barbara Staudigl

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Название Emmanuel Lévinas
Автор произведения Barbara Staudigl
Жанр Документальная литература
Серия utb Profile
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846332627



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Verbindende. Dabei wurde immer die Bedeutung des eigenen Bewusstseins bedacht, nicht aber die des Menschseins mit anderen. Welchen Stellenwert haben Begegnung und Beziehung in dieser Tradition? »Wird nicht alles, was im menschlichen Seelenleben auftritt, alles, was dort geschieht, am Ende gewusst? Das Geheimnis und das Unbewusste, verdrängt oder verfremdet, werden gemessen am oder geheilt durch das Bewusstsein, das sie verloren haben oder das sie verloren hat.« (ZU, 55)

      Beziehung wird nicht durch Erkenntnis konstituiert, sondern durch Begegnung von Angesicht zu Angesicht. Damit negiert Lévinas nicht die Bedeutung von Vernunft und Erkenntnis für das menschliche Dasein. Doch er hält sie für ergänzungsbedürftig durch eine Ordnung, die dieser ontologischen sogar vorausgeht: durch die sinnliche.

      »Der Mensch lässt sich wohl als Gegenstand der Erkenntnis behandeln und zeigt sich dem Wissen im Wahren der Wahrnehmung und im Licht der Sozialwissenschaften. Aber ausschließlich als Objekt betrachtet, ist der Mensch missachtet und verkannt. Nicht, dass die Wahrheit verletzend oder seiner unwürdig wäre. […] Doch wir sind Menschen, bevor wir Wissenschaftler sind, und bleiben es, auch nachdem wir eine Menge vergessen haben.« (AS, 9)

      Mit der Abkehr von einem monologischen Denken steht Lévinas nicht allein in der Tradition, sondern stellt sich selbst bewusst in die Nähe der sog. dialogischen Philosophie.

      Exkurs

       Dialogische Philosophie

      Martin Buber, Ferdinand Ebner und Franz Rosenzweig sind die großen Gestalten der dialogischen Philosophie. Allen dreien gemeinsam ist der jüdische Sozialisationshintergund. Ebner entschied sich für die Konversion zum christlichen Glauben, Rosenzweig plante den Übertritt zum Protestantismus, blieb jedoch aufgrund einer prägenden Erkenntnis Jude und gründete in den Jahren vor seinem Tod ein Freies Jüdisches Lehrhaus. Buber schließlich war überzeugter Jude, der sich um die Erneuerung des assimilierten Judentums ebenso bemühte wie um die Verständigung zwischen Juden und Arabern in Palästina (vgl. Coreth / Ehlen / Haeffner / Ricken, 40ff.).

      Die dialogische Philosophie entfaltete sich nicht unabhängig von der klassischen Tradition. Auch die dialogischen Denker waren von der Fragestellung geleitet, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Reaktion auf den Idealismus, der das Subjekt als das Absolute postuliert hatte, auftat: der Frage nach dem Sein. Die Antwort, die sie auf diese Frage zu geben versuchten: »Sein wird nicht mehr nur verstanden als der absolute Binnenraum des sich selbst hellen Geistes. Sondern es zeigt sich als das sich je neu im Zwischen Ereignende, das in der je neu sich ereignenden Sprache zwischen Menschen hell wird und zum Ausdruck kommt.« (Casper 1984, 354)

      Lévinas weiß sich beeinflusst vom dialogischen Denken. Er spricht voll Wärme von Franz Rosenzweig, den er − da er bereits 1929 im Alter von 43 Jahren verstarb − persönlich nicht kennenlernte, dessen Lehre er aber sehr verbunden war. »Man erkennt in Rosenzweig trotz den schrecklichen Erfahrungen, die uns von seiner Zeit trennen, trotz den deutschen Landschaften, in denen sich dieses Leben abspielt, einen Zeitgenossen und einen Bruder.« (SF, 132)

      Rosenzweig hat bereits 1919 in seinem Werk Der Stern der Erlösung auf die Grenzen der abendländischen Philosophie hingewiesen. Ein Habilitationsangebot nach einer exzellenten Promotion an der Universität Freiburg lehnte er ab mit der Begründung der mangelnden Freiheit im universitären Denken. Dieses Denken lasse sich zwar nicht die Antworten vorschreiben, wohl aber die Fragen (zitiert nach Casper 2002, VI). Rosenzweig stellte wie nach ihm Heidegger und Lévinas die Voraussetzungen des überlieferten philosophischen Denkens in Frage. Dieses habe wohl den sicheren Besitz des vielen Wissens erreicht. Aber erreicht es auch die ursprüngliche Wirklichkeit und die für den Menschen wesentlichsten Fragen? (ebd., VII)

      »Was Rosenzweig selbst interessiert, ist die Entdeckung des Seins als Leben, des Seins als Leben in Beziehung. Die Entdeckung eines Denkens, das das Lieben dieses Seins selbst ist. Die Person fließt nicht mehr in das System ein, das sie denkt, […], um darin zu erstarren und auf seine Singularität zu verzichten. Die Singularität ist für die Ausübung dieses Denkens und dieses Lebens als unersetzlicher Singularität notwendig, der einzigen, die der Liebe fähig ist, der einzigen, die geliebt werden kann, die zu lieben vermag, die eine religiöse Gemeinschaft bilden kann.« (SF, 143)

      Die Singularität des Individuums, die Bedeutung des Lebens als Beziehung sind Themen, die Lévinas auch bei Martin Buber hoch schätzt, der das von Rosenzweig im Jahr 1920 begründete jüdische Lehrhaus in Frankfurt nach dessen frühem Tod noch bis ins Jahr 1938 geführt hat. Mit seiner These »Am Anfang war Beziehung« (vgl. Buber, 15) habe er wie niemand vor ihm dargestellt, dass die dialogische Beziehung zum anderen Menschen einer autonomen und vom Bewusstsein unabhängigen Sinnordnung unterliegt (vgl. Lévinas, AS, 39). Er habe die personale Beziehung von der Intentionaliät des Bewusstseins getrennt und gezeigt, dass es unmöglich ist, die Begegnung mit dem Anderen ins reflektierende Denken einzuholen.

      »Die Dimension der Gemeinschaft ist eine durchgehend sinnvolle Ordnung ethischer Beziehungen, die Beziehung mit der nie assimilierbaren und somit im eigentlichen Sinne un-be-greif-baren, mit Zugriff und Besitz unvereinbaren Andersheit des Nächsten. Die Entdeckung dieser Ordnung in ihrer ganzen Eigentümlichkeit, das Durchdenken ihrer Konsequenzen […] bleiben mit dem Namen Buber verbunden.« (AS, 39)

      Lévinas schätzt Buber und seine ethische Korrektur des abendländischen Denkens, mit der er die Absolutheit des Bewusstseins zurücknimmt, hoch. Auch wenn er selbst weiter und über Buber hinausgeht, auch wenn er das Verhältnis unter Gleichen durch ein asymmetrisches Verantwortungsverhältnis ersetzt: Die geistige Verbundenheit mit Rosenzweig und Buber, zwischenmenschliche Beziehungen nicht an Erkenntnis rückzubinden, bleibt bestehen.

      »Die irreduzible und letztendliche Erfahrung der Beziehung scheint mir in der Tat woanders zu liegen: nicht in der Synthese, sondern im Von-Angesicht-zu-Angesicht der Menschen, in der Sozialität im moralischen Sinn. Aber man muss verstehen, dass die Moral nicht wie eine zweite Schicht oberhalb einer abstrakten Reflexion über die Totalität und ihre Gefahren ist; die Moral hat eine unabhängige und vorrangige Tragweite. Die Erste Philosophie ist eine Ethik.« (EU, 59)

      Literatur

      Lévinas, Emmanuel: Die Philosophie und die Idee des Unendlichen, in: SpA, 185-208

      Krewani, Wolfgang: Einleitung: Endlichkeit und Verantwortung, in: SpA, 9-51

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