Johann Wolfgang von Goethe – Basiswissen #01. Bert Alexander Petzold

Читать онлайн.
Название Johann Wolfgang von Goethe – Basiswissen #01
Автор произведения Bert Alexander Petzold
Жанр Философия
Серия Basiswissen
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783985870011



Скачать книгу

3. Goethe wird schwärmerischer Dichter und Student (1765–1771)

      Mit 16 Jahren fühlte sich Goethe der Stadt Frankfurt, aber gemäß dem Alter wahrscheinlich auch dem Elternhaus, überdrüssig. Goethe wollte studieren, sein Ziel die Universität Göttingen, wo er unter Christian Gottlob Heyne und Johann David Michaelis die Altertumskunde studieren wollte, um seiner Dichtkunst mehr Substanz zu verleihen. Sein Vater war ebenfalls der Meinung, dass der Sohn, dem bisher jegliches Wissen spielerisch zugefallen war, bereit für ein Studium war. Mit dem Studienfach und -ort hingegen war er nicht d’accord.

      Johann Caspar hatte zu seiner Zeit die Universität in Leipzig besucht, Jura studiert und hegte weiterhin einige Kontakte, die er bei Bedarf spielen lassen konnte. Für ihn stand außer Frage, dass der Zögling in die eigenen Fußstapfen zu treten hatte. Goethe erinnert sich, wie der Vater stundenlang über seine Studienzeiten schwadronierte, ließ ihn reden und machte sich „kein Gewissen“ daraus.

      Am 27. September 1765 hieß es also: Abschied nehmen von den Frankfurter Freunden. Unter den Kumpanen Johann Jakob Riese, Ludwig Moors und Johann Adam Horn ging nur Horn ebenfalls nach Leipzig und auch erst ein halbes Jahr später.

      Goethe erreichte die sächsische Messestadt am 3. Oktober 1765. Leipzig war damals von etwa gleicher Größe und internationaler Umtriebigkeit wie Frankfurt, präsentierte sich aber nicht altertümlich verwinkelt, sondern modern, mit breiten Straßen, Blockquartieren und einheitlichen Fassaden. Studenten hausierten in durchaus komfortablen Zwei-ZimmerQuartieren, die unweit des berühmten „Auerbachs-Keller“ entfernt lagen. Auch Goethe würde in naher Zukunft schon häufig hier verkehren.

      Leipzig stand im Zeichen des Rokokos, die Mode war bunt, auffällig, schick und kostspielig. Für den jungen Goethe spielte Geld kaum eine Rolle, die Apanagen des Vaters beliefen sich monatlich auf hundert Gulden. Im Arbeitervolk war das ein gutes Jahresgehalt. Goethe genoss den Luxus in vollen Zügen, noch im Oktober 1765 prahlte er gegenüber dem Freund Riese: „Hühner, Gänse, Truthahnen, Enten, Rebhühner, Schnepfen, Feldhühner, Forellen, Hasen, Wildbret, Hechte, Fasanen, Austern pp. Das erscheinet täglich.“ Goethe lud Kommilitonen ins teure Theater ein und schmückte sich in modischster Kleidung. An der Universität fiel er auf, man machte sich etwas lächerlich über den jungen Mann, Geschmack ließ sich eben auch damals nicht kaufen.

      Die anfängliche Euphorie musste recht schnell einer gewissen Ernüchterung weichen. Zum einen vermisste der junge Goethe seine Freunde, oft fühlte er sich sozial isoliert, denn die einheimischen gehobeneren Gesellschaften, in denen er freilich zügig verkehrte, störten sich an der vorlauten Art und am Dialekt des Frankfurters. Gleichzeitig tangierten ihn seine Studien nicht, an Riese schrieb er bereits ein halbes Jahr nach der Prahlerei:

      „Da sah ich erst, dass mein erhabener Flug, wie er mir schien, nichts war als das Bemühen des Wurms im Staube, der den Adler sieht zur Sonn' sich schwingen, und wie der hinauf sich sehnt. Er sträubt empor und windet sich und ängstlich spannt er alle Nerven an – und bleibt im Staub.“

      Literarisch galten in Leipzig Professor Christian Fürchtegott Gellert und Johann Christoph Gottsched als die Koryphäen, und zu Gotthold Ephraim Lessing, der ja auch in Leipzig studiert hatte, traute er sich kaum aufzuschauen. Treffen mit Gellert und Gottsched nahmen Goethe die Ehrfurcht vor „großen Männern“, denn beide erschienen ihm für die Zeiten unpassend. Großen Einfluss hatten darüber Johann Michael Stock und Adam Friedrich Oeser, die ihm das Zeichnen und den Kupferstich lehrten. Dabei machte ihn Oeser speziell mit dem Klassizismus bekannt.

      Neben den Künsten entdeckte Goethe in Leipzig seine größte Leidenschaft. Der mittlerweile 17-Jährige begegnete zu Gast im Schönkopschen Weinhaus der Tochter der Wirtsleute, Anna Katharina, genannt Käthchen, und verliebte sich in sie. Die Liebelei war schnell von Goethes Eifersucht geprägt, welche die Verehrte wohl lang, laut ihm, mit „unglaublicher Geduld“, aber eben nicht ewig aushielt. In einem Brief an den Leipziger Freund Behrisch spricht er davon, dass man mit Liebe angefangen habe und jetzt mit Freundschaft ende und glücklich sei.

      In Wahrheit nahm Goethe die Trennung nur schwerlich auf, auch weil ihm die Eifersucht als unangenehme Seite an ihm offenbart wurde. In Verbindung mit den stetig schleppenden Studien wurde Goethe regelrecht übermannt und brach zusammen. Im Juli 1768 erlitt er einen lebensgefährlichen Blutsturz, der ihn mit dem Tod ringen ließ. Die Genesung ging langsam vonstatten. Am 28. August 1768, seinem neunzehnten Geburtstag, reiste er schlussendlich gen Frankfurt ab, wo er ein einjähriges Moratorium einlegte.

      Zurück in der Vaterstadt, sah sich Goethe mit der Unzufriedenheit des Patriarchen konfrontiert, denn er hatte nach drei Jahren des Studiums nichts vorzuweisen, was dem Vater von wert war. Goethe reflektierte über seine Briefe, denen er die meisten seiner Gedichte aus dieser Zeit angehängt hatte, und musste sich hier der eigenen Unzufriedenheit stellen. Er bemerkte einen „gewissen selbstgefälligen Dünkel“, sein Stil kam ihm vor wie eine platte Nachahmung des vornehmen Tons.

      Immer noch schwer gebeutelt durch die Krankheit, feilte Goethe an eben jenen Gedichten und veröffentlichte dann 1769 eine Sammlung in Kollaboration mit dem Freund Theodor Breitkopf unter dem Titel: „Neue Lieder, in Melodien gesetzt von Bernhard Theodor Breitkopf“. Seine erste Veröffentlichung verblieb ohne Namensnennung des Autors.

      Im Oktober 1769 entschied sich Goethe dazu, nach Straßburg zu ziehen, mitunter wieder, weil der Vater es wünschte, denn er hatte während seinem Studium selbst einige Zeit in der französischen Stadt verbracht. Natürlich sollte Goethe endlich sein Studium beenden, er aber plante von Straßburg nach Paris, der kulturellen Hauptstadt der Welt, überzusiedeln.

      Anfang April 1770 kam Goethe in Straßburg an und quartierte sich in der Nähe des Alten Fischmarkts ein. Belebt vom wieder guten gesundheitlichen Zustand, nahm er sich vor, Straßburg nicht ohne Abschluss zu verlassen. Das Pauken ging ihm leicht von der Hand und so bestand er am 27. September 1770 das Kandidaten-Examen. Er war damit vorlesungsfrei und musste nur noch eine Dissertation abliefern.

      Das ebenfalls altertümliche Straßburg ließ Goethe im Vergleich zum modernen Leipzig eher kalt, einzig das Münster faszinierte ihn immens. Später hielt er in dem Text „Von deutscher Baukunst“ den ersten Eindruck fest:

      „Mit welcher unerwarteten Empfindung überraschte mich der Anblick, als ich davor trat. Ein ganzer großer Eindruck füllte meine Seele, den, weil er aus tausend harmonierenden Einzelheiten bestand, ich wohl schmecken und genießen, keineswegs aber erkennen und erklären konnte. Da offenbarte sich mir in leisen Ahndungen der Genius des großen Werkmeisters.“

      Nach dem schnellen Studienerfolg war Goethe nun bedacht, die „freie, gesellige, bewegliche Lebensart“ in Straßburg auszukosten. Er machte schnell Bekanntschaft mit dem Mittagstisch um Mamsell Lauth, wo er ebenfalls die neuen Freunde Johann Daniel Salzmann und Franz Lersé kennenlernte. Im Rahmen jener Gesellschaft wurde ihm auch der damals nur fünf Jahre ältere, aber schon berühmte und formidable Johann Gottfried Herder vorgestellt. Über Herder bemerkte Goethe bewundernd:

      „Da seine Gespräche jederzeit bedeutend waren, er mochte fragen, antworten oder sich sonst auf eine Weise mitteilen, so musste er mich zu neuen Ansichten täglich, ja, stündlich befördern. Ich ward mit der Poesie von einer ganz andern Seite, in einem andern Sinne bekannt als bisher. Und zwar in einem solchen, der mir sehr zusagte.“

      Herder war Goethe gegenüber kritisch, tadelte ihn oft, von Herder „konnte man niemals eine Billigung erwarten, man mochte sich anstellen, wie man wollte“. Dieser Umstand bewegte den jungen Goethe später dazu, Herder nie bei größeren Projekten einzuweihen, da seine „Tadelsucht“ ihm sonst die Motivation geraubt hätte.

      Bei einem Ausritt durchs Umland im Sommer 1770 wurde Goethe vom Freund Engelmann mit der Familie Brion in Sessenheim bekannt gemacht. Goethe verliebte sich in die Tochter Frederike und schrieb ihr von Straßburg aus:

      „Liebe neue Freundin, ich zweifle nicht, Sie so zu nennen, denn wenn ich mich anders nur ein klein wenig auf die Augen verstehe, so fand mein Aug' im ersten Blick die Hoffnung zu dieser Freundschaft in ihrem. Und für unsere Herzen wollt ich schwören. Sie, zärtlich und gut wie ich sie kenne, sollten sie mir, da ich sie so lieb