Vorwort In allen Herzen klang noch die Erregung über die grauenhaften Einzelheiten nach, welche 1899 die Gerichtsverhandlung in der Reichshauptstadt Wien gegen das entmenschte Ehepaar Josef und Juliane Hummel zu Tage gebracht hatte, die ihr eigenes Kind, die kleine Anna, in grausamster Weise Jahre hindurch zu Tode marterten . Dieser Fall entrollte ein grauenvolles Bild entmenschten Wütens gegen das eigene Blut, das himmelschreiende Martyrium eines unschuldigen Kindes, das von seinen leiblichen Eltern zu Tode gequält wurde. Dafür ist in den Gerichtschroniken kaum ein Beispiel vorhanden. Die Verurteilung Beider zum Tode wurde deshalb auch mit allgemeiner Genugtuung aufgenommen. Die Volksstimme hatte in seltener Einmütigkeit die Befreiung der Menschheit von diesen «Eltern»gefordert. Keine Stimme des Mitleides hatte sich für die Verurteilten erhoben. Juliane Hummel hatte die letzte Nacht ihres Lebens in einem unterbrochenen Halbschlaf zugebracht. Manchmal stöhnte sie schwer auf und warf den Körper dabei unruhig auf dem Ruhebett umher. Gegen 4 Uhr morgens betrat der Inspektionsarzt des Inquisitenspitals die Armensünderzelle. Er fand Juliane Hummel bereits wach und ganz apathisch, doch konstatierte er völlig normalem Puls. Nachdem sie die Kommunion empfangen hatte, brachte man sie wieder zurück in die Armensünderzelle und reichte ihr ein kleines Frühstück. Schließlich sackte sie auf dem Stuhl vor dem Tisch, auf welchem sie saß, völlig in sich zusammen. Dabei hielt sie den Blick auf das Fenster gerichtet, durch welches bereits das Tageslicht hereindrang. Als die Turmuhr dreiviertel acht zu schlagen begann, zuckte sie ängstlich zusammen, erhob sich und ging mit schweren Schritten durch das Zimmer. Wie eine Ewigkeit und doch wie rasch werden ihr die letzten 15 Minuten, die sie noch zu leben hatte, vorgekommen sein!
Vorwort Die ersten Februartage des Jahres 1935 erlebten die Berliner bei meist trüben, regnerischem Wetter und ziemlich frischen Winden. Also kein großer Grund, das anstehende Wochenende im Freien zu verbringen. Nur wer unbedingt mußte, verließ das wärmende Heim. In Berlin Friedrichshain, Berlins Nordosten, lag Otto Jünemann zu Hause krank im Bett. Immer und immer wieder kreisten seine Gedanken nur um ein Thema – das schon längere Zeit zerrüttete Verhältnis zu seiner unordentlichen, über ihre Verhältnisse lebende, genußsüchtige Schwägerin Charlotte Jünemann. Er hatte sie schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen, ahnte aber, daß seine beiden kleinen Neffen und seine kleine Nichte in der Wohnung wiederum sich selbst überlassen waren, zumal er die drei Kinder vor einigen Tagen schon einmal allein angetroffen hatte. Seinen Bruder Bernhard hatte man schon vor geraumer Zeit wegen Schwachsinns in einer Berliner Heilanstalt untergebracht, sodaß die drei Kinder des Ehepaares ausschließlich der «Obhut» der Frau anvertraut waren. Am 3. Februar 1935 erhob er sich von seinem Krankenlager und lief, obwohl er sich sauelend und sehr schwach fühlte, aber von Sorge getrieben, in die nicht weit von seiner Wohnung entfernt liegende Weinstraße 27, zur Kellerwohnung seiner Schwägerin um nach deren Kindern zu sehen. Was nun folgte ließ die Emotionen der Bevölkerung hochkochen. Ein Aufschrei des Entsetzens ging durch Berlin und ganz Deutschland…