Das politische Bewusstsein ist der Versuch einer radikalen Dekonstruktion der politischen Philosophie, die für Geoffroy de Lagasnerie vollständig auf Fiktionen beruht. Ein politisches Bewusstsein, das die Welt so sieht, wie sie ist, nämlich als Schlachtfeld antagonistischer Kräfte, kann und muss auf solche Fiktionen verzichten.
Wenn wir über Politik nachdenken, verwenden wir meist totalisierende Kategorien (Volk, Gemeinwille, Volkssouveränität), mystifizierende Narrative (Gesellschaftsvertrag,deliberative Demokratie) oder abstrakte Begriffe (der Gesetzgeber, der politische Körper, der Bürger). Obwohl wir ihre fiktive Natur erkennen, halten wir sie für notwendig. Aber warum sollte politisches Denken auf Fiktionen beruhen? Und was passiert, sobald wir mit diesen Denkweisen brechen und die Realität so betrachten, wie sie ist? Lagasnerie plädiert dafür, eine realistische Konzeption des Staates, des Rechts und unserer Erfahrung als Subjekte zu entwickeln. Dabei skizziert er eine «reduktionistische» Theorie, die zur Aufhebung der Gegensätze führt, die die ganze Geschichte der politischen Philosophie strukturieren: zwischen Demokratie und Kolonie, legitimer und illegitimer Gewalt, Rechtsstaatlichkeit und Willkür oder politischem Verbrechen und gewöhnlicher Kriminalität. Ein Werk, das den Rahmen der politischen Theorie tiefgreifend erneuert.
Die Idee eines «zweiten Lebens», die François Jullien in Auseinandersetzung mit den Klassikern des chinesischen Denkens entwickelt, meint nicht Wiedergeburt oder neues Leben, sondern zeichnet einen Weg der stillen Verwandlung vor.
In diesem Essay lässt François Jullien die Begründer des Taoismus in einen Dialog mit europäischen Denkern treten. Dabei entwickelt er die Idee eines «zweiten Lebens»: Diskret und ohne Bruch findet eine Verschiebung in unserem Leben statt – es trifft nunmehr seine eigenen Entschlüsse und gestaltet sich um. Es belebt sich neu, kommt wieder in Gang, richtet seine Vorhaben und Ziele aus und gibt bislang unergründet gebliebene Möglichkeiten frei. Indem wir unsere Freiheit schrittweise entfalten, aus der Wiederholung heraustreten und Klarheit erlangen, leben wir fortan nicht mehr bloß, sondern beginnen zu existieren.
Für Jacques Derrida bildete die Tätigkeit als Lehrender zeitlebens eine Quelle seines Denkens und Schreibens. Mit Die Todesstrafe liegt nun ein weiteres der Seminare Derridas vor.
Reflexionen über das «Vergeben» und das «Nichtvergebbare» führen Derrida zur Befragung der Todesstrafe als irreversible Sanktion. Im Fokus stehen dabei vor allem drei Begriffe, die sich als problematisch erweisen: Souveränität, Ausnahme und Grausamkeit. Es stellt sich die Frage, warum internationale Konventionen die Abschaffung grausamer Strafen fordern, insbesondere der Todesstrafe, ohne die Staaten je dazu zu verpflichten – mit der Begründung, dass ihre Souveränität zu achten sei. Ausgehend von vier paradigmatischen Fällen zum Tode Verurteilter (Sokrates, Jesus, Al Halladsch, Jeanne d'Arc) wird anhand kanonischer Texte (Beccaria, Kant, Hugo, Camus, Genet, Badinter) und einschlägiger Rechtsdokumente die Logik und Rhetorik dieser Argumentation untersucht. Konkrete Bezugspunkte bilden dabei die Bewegungen zur Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich und den USA.
Kann man einen Meineid aus Zerstreuung begehen? Nicht mit der Absicht, das Gesetz zu übertreten, sondern einfach, weil man «nicht daran denkt»? Der Meineid, vielleicht, 2002 verfasst, fragt nach dem Verhältnis von Lüge und Fiktion. Was geschieht, wenn die Grenze von Geschichtenerzählen und Lügen undeutlich wird?
Ausgehend von der Lektüre des Romans Der Meineid des Übersetzers und Schriftstellers Henri Thomas untersucht Jacques Derrida die komplexe Figur des Meineids. Dabei schließt er an seine früheren Arbeiten über Vergebung, Versprechen, Lüge, Zeugenschaft und deren Verhältnis zur literarischen Fiktion an. Die Stilfigur des Anakoluths – des abrupten Abbruchs der Rede –, die Thomas' Text prägt, erlaubt es Derrida, nach den Figuren des «Vielleicht» und des «als ob» zu fragen, die die literarische Fiktion heimsuchen. Wie steht es um das Geheimnis der Literatur, um ihre Verantwortung und die des Erzählenden, wenn die Grenze zwischen Lüge und Fiktion, zwischen Geschichtenerzählen und Lügen undeutlich wird?
Peter Engelmanns Buch erklärt Dekonstruktion als Philosophie, zeigt ihre Anknüpfungspunkte in der Philosophie und ihre antitotalitäre politische Motivation, die für ihr Verständnis wichtig ist.
Dekonstruktion, der philosophische Ansatz Jacques Derridas, ist die weltweit erfolgreichste und zugleich unbekannteste philosophische Innovation seit Heideggers Fundamentalontologie. In unzähligen Verästelungen hat sich Dekonstruktion in den verschiedensten künstlerischen und literarischen Praktiken etabliert, ohne dass damit eine klare Vorstellung über diesen Begriff und diese philosophische Strategie verbunden wäre. Die antitotalitäre politische Motivation der Dekonstruktion, die für ihr Verständnis wichtig ist, blieb fast völlig ausgeblendet. Tatsächlich macht es Dekonstruktion schwer, sie in einer nüchternen Wissenschaftssprache zu beschreiben, weil sie jede letzte begriffliche Festlegung systematisch verweigert. Diese Eigenschaft ist nicht nur der Kern der philosophischen Intervention Derridas, sondern auch die notwendige Bedingung einer antitotalitären politischen Haltung, die nicht selbst wieder totalitär erstarrt. Engelmann zeigt, dass es mit Saussures Semiotik eine nüchterne Wissenschaftssprache gibt, mit der Derrida Dekonstruktion entwickelt hat und mit der man Dekonstruktion begreifen kann, ohne mit der beschreibenden Sprache ihre Eigenheiten und Erkenntnismöglichkeiten zugleich wieder zu verdecken. Das Buch stellt Dekonstruktion in den größeren Rahmen historischer und zeitgenössischer differenzphilosophischer Ansätze und macht sie so im Kontext philosophischer Diskursivität verständlich.
In dem zweijährigen Seminar über Die Todesstrafe wird das in Europa bereits erledigt geglaubte, aber irritierend oft wiederauftauchende Thema der Todesstrafe ebenso umfassend wie strikt erörtert, wobei auch tagesaktuelle Bezüge aufblitzen.
Das zweite Studienjahr wagt nach einer kurzen Anknüpfung an die zentralen Begriffe des vergangenen Jahres – Souveränität, Ausnahme und Grausamkeit – einen Neuanfang. Dieser ist durch drei Fragen gekennzeichnet, die sich durch die Lektüre diverser Texte (von Kant, Freud, Reik, Heidegger, aber auch Kafka und Benjamin) ziehen: «Was ist ein Akt? Was ist ein Alter? Was ist ein Begehren?» Neben der Frage, ob es sich bei der Todesstrafe um eine Fremd- oder eine Selbst-Bestrafung handelt, geht es auf einer grundlegenderen Ebene um drei Formen der Verurteilung: die zum Sterben im Allgemeinen, zum Sterben in kurzer Zeit (z. B. an einer Krankheit) und die Verurteilung zum Tode durch ein Strafgerichtsurteil. Hierbei zeigt sich, dass nur Letztere eine Entscheidung impliziert, die Entscheidung des Anderen.